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Kleines Archiv für Musikphilosophie


zu den Gesamtinhaltsverzeichnissen
2016030900 Ent-ich-lichung als Ziel --- Egotismus als Methode
2016030901 Archaismen
2016030902 Das melodische Intervall der Sexte abwärts
2016030903 Große Intervalle abwärts in der Kunst der Fuge
2016030904 Verkleinert zur Unsterblichkeit
2016030905 Betonungsprobleme
2016030906 Bruckner ... und Klick!
2016030907 Was soll die Neue Musik?
Eine Antwort für Mathematiker

^inh 2016030900 editorial
Ent-ich-lichung als Ziel --- Egotismus als Methode

Das geschaffene Werk ist immer weiser als sein Autor.
Auctor = Urheber = Heber = Schöpfer. Der, der es aus dem Unterbewußten nach oben holt.
Mit der Schöpf-Kelle aus dem "unermeßlich tiefen Brunnen der Zeit", wie er sich im eigenen Kopfe findet.

Aber "Schöpfer" klingt etwas sehr groß, wird heute wohl eher als "Welten-Schöpfer" konnotiert. Und nichts läge uns ferner.

Ganz im Gegenteil, und da kann Verfasser nur für sich selber sprechen, alles was er so "schöpfen" durfte hat ihn, als es dann mal fertig war und er aus dem flow wieder auftauchen durfte, stets überrascht.
Das Werk ist weiser als er selber, -- er selber fühlt nicht nur als Antenne, als Resonator, als Ausführender, als Werkzeug, als Opfer.
Das Werk hingegen ist Produkt der übermenschlichen kulturellen Evolution als ganzer.

Das Werk also tendiert zu größtmöglicher Objektivität, und sein Autor sollte es darin unterstützen. Die Person sollte sich da raushalten, Marotten, Vorlieben, Gewohnheiten sollten sich verflüchtigen, damit die Kunst selber möglichst ungehindert zu sprechen anheben kann.

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So ist es auch für den Hörer, den Betrachter, den Analysierenden:
Als "historische Person" ist der Autor stets völlig uninteressant.

Sehr interessant hingegen ist er als Beispiel:
"Aha, dessen Geist kann also A und B gleichzeitig denken. Interessant!
Interessant auch, dass er daraus nicht die Konsequenz C ziehen kann, die mir doch so naheliegend scheint ..."

Auf diese Weise betrachtet ist auch der Geist des Urhebers von Interesse. Nämlich von weiterführendem Interesse, da seine Betrachtung etwas über die möglichen Bahnen des menschlichen Geistes per se aussagt.

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Das Ich ist eine Illusion. Eine schmerzhafte. Eine (unter Umständen) notwendige. Nicht für mich, ich sitze hier und schreibe und beziehe Rente und brauche deshalb das "Ich" nichtmehr. Das braucht man nur, wenn man nach AUSZEN treten muss.

Die Aufhebung des Ich ist der Moment des Eins-Seins mit der Welt, ist der Moment der höchsten Erfülltheit und des tiefsten Friedens.
Auch andere Höhepunkte, der sexuelle, der musikalische, der schmerzhafte, können dieses Aufheben bringen. Wenn sie denn gelingen. Denn das ist ihr tiefster Sinn.

Am schönsten aber ist die ruhige Aufhebung, die begierdelose. Und diese ist auch die nachhaltigste, in die wir einst eingehen wollen.

Aber das Erleben von Musik, das wirksame Ergriffen-Sein und Fortgetragen-Sein im rezeptiven Vorgang kann davon ein Erahnen sein, ein Vorgeschmack, ein Ansporn. Wenn die psycho-interne Modellbildung, das innere Vorwissen einer Stelle und deren gewalttätige Präsentation vom Tutti des Orchesters zusammenfallen; wenn beide den eigenen Willen, den Willen aller derer auf der Bühne, den Willen des Komponisten und den Tonwillen als solchen in dieselbe Richtung drängen lassen, dann kann eine solche Einheit erzielt werden.
(wie Verfasser jüngst geschehen bei Zf. 19 im Finale einer Aufführung von Mahlers Zweiter , -- und ENDLICH traten ihm die Thränen in die Augen, denn das ist es ja, wofür wir ins Konzert gehen !-)
Das sind die Momente transzendentaler Ekstase, wo die Wände des Konzertsaales aufspringen und das Licht der Ewigkeit hindurchscheint.

Ent-ich-ung als Ziel jeder künstlerischen Produktion, der Kultur als solcher und des eigenen Lebens.

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Dem extrem entgegensetzt scheint zunächst das in diesen Schriften angewandte Prinzip des "Egotismus". Verfasser schreibt hier "als Künstler" und nicht "als Wissenschaftler". Dies ist eine grundlegend andere Haltung. ZWAR bemüht er sich auch hier, zunehmend, Prinzipien wissenschaftlichen Schreibens einfließen zu lassen, also z.B. den allgemeinen Stand von Literatur und Forschung gebührend zu berücksichtigen, Quellen zu nennen, etc.

ABER die Grundhaltung ist eine andere: (a) maßt er sich an, aus dem praktischen täglichen Umgang mit der "Frau Musica höchstderoselbst" Erkenntnisse zu gewinnen, die seine ganz persönlich gefärbte Meinung auch für andere interessant und damit mitteilungswürdig macht, -- aus seiner praktischen kompositorischen Tätigkeit auch theoretische Autorität zu beziehen.

Weiterhin (b) beschränkt er sich auf die Bereiche, die ihn persönlich angehen, und (c) stellt die Einzelerkenntnisse, so es denn welche sind, in das Beziehungsnetzwerk eigener Arbeiten und eigenen Erlebens.

Alles hier gesagte ist also auf dieses eine "ICH" bezogen, welches diese Erkenntnisse und Erfahrungen hat machen dürfen. Dies tut Verfasser aber nur als Methode. Nichts liegt ihm ferner als zu behaupten, dass dieses eine "ICH" interessant wäre, oder gar interessanter als seine Mit-"ICHS". Im Gegenteil, er ist sich selbst nicht mehr als sein eigenes Versuchskaninchen. Diese Selbst-Bezüglichkeit dient dem Aufweisen der Vernetzungs-Struktur, und diese dient wiederum nur der Forschung, wie und auf welche Weise derartige Netze geknüpft und wahrgenommen werden können.
Ego-tismus im Sinne des (wertfreien) expliziten Sich-Beziehens auf das "ICH" als Sammelbecken von Erfahrungen und Seilerei von Beziehungen in aller Ausschließlichkeit und ermüdenden Ausführlichkeit ist also notwendig, insoweit Forschungsgegenstand sein soll, wie der menschliche Geist, also der Weltgeist selbst, wenn er sich im Kopfe eines Menschen beliebt zu materialisieren, denn funktioniert.

^inh 2016030901 phaenomen
Archaismen

Archaismen sind Kontext-Phänomene.

In einem Musikstück sind es Momente, Klänge, Strukturen, die dem Hörer bruchartig als "älter als der Rest" erscheinen. Dies bewirkt eine andere Aura des Gehörten,

Also abhängig vom Sach-Kontext des Werkes wie vom Kopfe des Hörers. Nichtsdestotrotz kann ein bewußtes Spiel mit Archaismen in manchen Situationen durchaus angenommen werden.

Ein erstes wichtiges Beispiel ist der Aufmarsch der Kriegszüge im dritten Akt der Oper Lohengrin:

Die zweite Szene endet mit der Katastrophe: Elsa stellt die verbotene Frage, Telramund dringt ein und wird erstochen, Lohengrin kündigt für den nächsten Morgen statt dem Aufbruch zur Ungarnschlacht eine Erklärung seiner Herkunft an. Damit ist sein Zusammenleben mit Elsa beendet.

Musikalisch endet dies mit dem Motiv "nie sollst du mich befragen", in a-moll, der Tonart seines zweiten Auftretens, um den Durschluss beraubt, und in der Motiv-Abfolge B-B-A-A.

Dann folgt die "Königs-Fanfare", 16 Takte ein reiner C-Dur-Dreiklang.
(Allerdings wird hier zum ersten Mal das "Gralsmotiv" in die Bühnen-Trompeten eingebaut: zum ersten Mal erklingt dort der a-moll-Klang Tp und das Diegetische diffundiert in das Nicht-Diegetische

Der folgende Morgenanbruch bringt szenisch den Aufmarsch der verschiedenen Truppen, die unter Lohengrins Führung gegen die Ungarn ziehen sollen. Dem entspricht ein dreimaliges Auftritt eines dezidierten Marschthemas, in Es-Dur, F-Dur und C-Dur. Diese werden getrennt durch Fanfaren-Flächen, die von verschiedenen Naturtrompeten auf der Bühne geblasen werden und eigentlich nur je einen einzigen Dreiklang beinhalten.
Folgende Darstellung nimmt eine Sechzehntel für einen Takt:

Aufmarsch der Truppen im dritten Akt Lohengrin

Die Einzelnoten bedeuten die Marscheinsätze, die weitausgreifend harmonisiert sind. Die als Akkorde notierten Fanfarenflächen enthalten neben dem Tonika-Klang maximal die Dominante.

Ausnahme ist wieder die Königstrompete in C-Dur: Diese leitet den finalen Marscheinsatz in C-Dur ein, und in ihr erklingt unvermittelt ein a-moll-Klang, die Tp dieser Tonart, siehe "X". Dies ist ein deutlicher Archaismus: eine a-funktionale Fortschreitung, die bisher in dieser brutalen Rhythmisierung und mit der emphatisch betonten Quinte aufwärts ausgespart worden war. Der Effekt bei im Raum verteilten Bläsern ist frappant. (Verfasser meint sich schlagartig auf einen mittelmäßigen Mittelaltermarkt versetzt !-)

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Als Archaismus erlebbar auch der deutlich herausgestellte, kadenzierende Triller der Trompete am Ende von Takt 410 im Finale von Mahlers Siebenter Sinfonie.
Warum nur?
Weil die Trompetenkunst in der ganzen Klassik in Vergessenheit geraten war und von Haydn bis Schumann nur noch vier verschiedene Partialtöne in ausgehaltenen Noten geblasen werden konnten, -- Triller verbindet der zeitgenössische Hörer also automatisch mit "Bach-Trompete" und der hohen Kunst des Barock.
Also deutlich eine Aura des Vergangenen, deutlich archaisch.

^inh 2016030902 phaenomen
Das melodische Intervall der Sexte abwärts

Das melodische Intervall der absteigenden Sexte ist in vielen Kontrapunktlehren verboten. Begründung ist meist, dass es für Sänger schwer zu intonieren sei, nämlich nur durch eine im Kopfe vorweggenommene Oktav-Umkehr der hingegen sehr einfach zu intonierenden (kleinen und großen) Aufwärts-Terz.

Die einzelnen Kontrapunktlehren gehen weit auseinander, was den Gebrauch der melodischen Sexten überhaupt angeht, siehe die Diskussionen in [schenkerKp], aber zumeist wird mindestens eine der beiden fallenden Sexten verboten.

In der Tat finden sie sich selten. Die berühmteste Stelle bei J.S.Bach ist wohl das Thema des Vierten Duettes BWV 805; das Intervall ergibt sich aus der aufs expressivste deformierten Dreiklangsbrechung. Es überlebt im Comes, da getreu der Regel der tonalen Beantwortung dritte mit sechster Stufe beantwortet wird (sowie sechste mit dritter):

Fallende Sexte am Anfang des letzten Duettes BWV 85

In der ganzen Kunst der Fuge gibt es deutlich mehr fallende Septimen (verminderte wie kleine) als Sexten, und auch diese sind selbstverständlich seltene und signifikante Ausnahme. Dies ist umso deutlicher, als die fallende Quinte, nur knapp kleiner, ab der Einführung der Umkehrungsform des Themas in Cp III ja ubiquitär erklingt.

Der Kanon Cp XII gleicht durch die Reduktion der Stimmenzahl im Vordergrund durch eine "interen Zweistimmigkeit" im Partitensinne je Stimme aus. Dadurch entstehen hier zum ersten Mal auch mehrere fallende Sexten, aber eher als "Nebenprodukte" von Dreiklangsbrechung und interner Mehrstimmigket (T.8, 45, 50, 54).
Ähnlich Cp XIV (T.19f, T.37).

Cp XIII bringt dann mit deutlichster Emphase zur Mitte des augmentierten und figurierten Themas die fallende verminderte Septime, und genau einmal (plus Wiederholungen) die fallende Sexte T.28.

Als Ziel dieser schrittweisen Einführung kann dann gesehen werden Cp XV, der Augmentationskanon, wo in der zweiten Stimme die fallende Sexte der signifikante Themenkopf wird, auf natürlichste Weise begründet als Umkehrung der Exklamatio, die völlig neu hier als Figuration des Hauptthemenkopfes eingeführt wird:

Fallende Sexte in der Kunst der Fuge, Augmentationskanon

(Dann nochmals T.24 e''-g', T.30 a'cis'T.40 c'''-es'').

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Auffällig wurden die mit diesem Intervall verbundenen Schwierigkeiten und seine psycho-interne Herleitung bei einer Chorprobe zu Mendelssohns Wie der Hirsch schreit. Die allerletzten Takte im Sopran lauten:

Mendelssohn, Schluss von "Wie der Hirsch schreit", Sopran

Einerseits fiel die Intonation der fallenden Sext T.187 überraschend schwer! Das c'' zwei Takte vorher, mit C7 harmonisiert, konnte nicht ohne etwas Übung wiederverwendet werden um das "von" anzuspringen.
Andererseits sang der Chor "freiwillig" bei "X" ein f'' statt dem vorgeschriebenen d'', als Parallelbildung dzur Quarte vorher, und damit sogar etwas markanter als der Komponist selber, und hatte mit der sich ergebenden fallenden Sexte f''-a' keinerlei Schwierigkeit, obwohl dort auch ein Harmoniewechsel stattfindet.

Eine ähnliche Schwierigkeit zeigt eine exzeptionelle Stelle, fast ist man geneigt, einen Schreibfehler anzunehmen, in der Alt-Stimme in Wie schön leucht uns der Morgenstern BWV1 im T.195 des Kopfsatzes: der Sprung c''-es' in die Septime von F7, nachdem vorher lange durchgängig e erklang, ist sehr schwer zu intonieren.

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Bei Wagner ist die fallende Sexte auch seltene Ausnahme. Beispiel Motiv der "Wälsungenliebe" / "Sangst Du mir nicht" aus Sf-3:

Fallende Sexte im Siegfried, "Wälsungenliebe"

Darüber hinaus auch deutlich im Siegfried-Idyll, wie hier besprochen.

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Ganz im Gegensatz zu allen diesen Komponisten ist bei Bruckner die fallende Sexte geradezu ubiquitär! Als wollte er sich in diesem Punkte deutlich von allen Vorläufern absetzen. Kaum ein "Gesangsthema" oder langsamer Satz kommt ohne dieses Intervall aus.

Es beginnt schon mit dem Seitensatz der Ersten Sinfonie:

Fallende Sexte im Bruckner, Erste Sinfonie, erster Satz, Gesangsthema

Hier ist die fallende Sexte noch sehr unauffällige Gegenstimme, entsteht nebenbei, als Ergebnis einer rein begleitenden Dreiklangsbrechung. Aber die sich über das Gesamtwerk hin entwickelnde komplexe, ja über-komplexe Satztechnik seiner Gesangsgruppen beginnt genau hier, mit diesen drei ersten Tönen!

Das Problem des Adagios der Ersten Sinfonie ist, dass das erste Thema zunächst nicht sehr substantiell-markant ist. Umso deutlicher aber sein ff-Höhepunkt:

Fallende Sexte im Bruckner, Erste Sinfonie, Adagio, Hp des ersten Themas

Die folgenden Beispiele sprechen für sich selbst.
Erste Sinfonie, Finale, Seitensatz:

Fallende Sexte im Bruckner, Erste Sinfonie, Finale, Gesangsthema

Zweite Sinfonie, erster Satz, Seitensatz:

Fallende Sexte im Bruckner, Zweite Sinfonie, erster Satz, Gesangsthema

Zweite Sinfonie, Finale, Seitensatz:

Fallende Sexte im Bruckner, Zwei Sinfonie, Finale, Gesangsthema

Dritte Sinfonie, Adagio, zweites Thema:

Fallende Sexte im Bruckner, Dritte Sinfonie, Adagio, zweites Thema

Dritte Sinfonie, Scherzo, zweites Thema:

Fallende Sexte im Bruckner, Dritte Sinfonie, Scherzo, zweites Thema

Dritte Sinfonie, Finale, Seitensatz:

Fallende Sexte im Bruckner, Dritte Sinfonie, Finale, Gesangsthema

Das Hauptthema der Vierten Sinfonie ist ein Sonderfall, da bei der Rezeption die Nebennotenbewegung deutlich überwiegt: das ces'' wird auf die umgebenden b' bezogen, die Sexte ist eher ein "totes Intervall". Dennoch darf sie natürlich in dieser Liste nicht fehlen:

Fallende Sexte im Bruckner, Vierte Sinfonie, erster Satz, Hauptthema

Schon der Seitensatz dieses ersten Satzes ist wieder eindeutig:

Fallende Sexte im Bruckner, Vierte Sinfonie, erster Satz, Gesangsthema

...und ebenso der Seitensatz des Finales

Fallende Sexte im Bruckner, Vierte Sinfonie, Finale, Gesangsthema

In der FÜnften Sinfonie fehlt die fallende Sechste, zur Abwechslung. Dafür aber wieder überaus thematisch im Adagio der Sechsten Sinfonie (siehe auch unsere Diskussion der umgekehrten Exclamatio.):

Fallende Sexte im Bruckner, Sechste Sinfonie, Adagio, erstes Thema

Und im Seitensatz des Finales dieser Sechsten. Zwar durch die Gegenstimmen etwas verdeckt, aber gleich in zwei Spielanweisungen als "stets hervortretend" bezeichnet. (Man beachte die zunehmende Komplexierung dieser Satztechnik dieser Gesangsthemen, z.B. im Vergleich mit dem obenstehenden und substantiell recht ähnlichen II.1.SS.)

Fallende Sexte im Bruckner, Dritte Sinfonie, Finale, Gesangsthema

Dann erst wieder in dieser Deutlichkeit im Trio des Scherzos der Achten:

Fallende Sexte im Bruckner, Achte Sinfonie, Trio des Scherzos

Diese wirkt wie eine erste, zaghafte Regung der sich zu schierer Apotheose steigernden weiteren Auftritte der fallenden Sexte. So im zweiten Thema des Adagios:

Fallende Sexte im Bruckner, Achte Sinfonie, Adagio, zweites Thema

Und dann der Seitensatz des Finales, den der Meister selbst als seinen bestgelungensten Satz bezeichnete:

Fallende Sexte im Bruckner, Achte Sinfonie, Finale, zweites Thema

Dies setzt sich fort in der Neunten Sinfonie, erster Satz, Seitensatz. Hier wird allerdings die Verdichtung weitergetrieben, als das für den Gesamteindruck zentrale Intervall zeitlich über den ganzen Kontrapunkt gestreckt wird, und so eher "subkutan" und unterbewußt den Ausdruck determiniert:

Fallende Sexte im Bruckner, Neunte Sinfonie, erster Satz, zweites Thema

In der Fortspinnungssektion ab T.105 wechseln sich dann fallende Septimen und abermals fallende Sexten ab, immer auf der Suche nach der stärksten Ausdruckskraft. Der Höhepunkt der weiteren Entwicklung kombiniert diese Intervalle; seine beiden Hauptstimmen lauten

Fallende Sexte im Bruckner, Neunte Sinfonie, erster Satz, zweites Thema

Während im letzten Satz, dem Finale, die Septime ihre Apotheose erlebt, aufsteigend im Hauptmotiv, aber auch absteigend in dessen Umkehrung, findet sich die letzte fallende Sexte an einer ganz unscheinbaren Stelle, nämlich im zweiten Theme des Trios des Scherzos:

Fallende Sexte im Bruckner, Neunte Sinfonie, Trio, zweites Thema

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Bei Gustav Mahler spielt die fallende Sexte eine Hauptrolle erst mit seinem allerletzten Satz, dem Adagio aus der Neunten Sinfonie.

Fallende Sexte in Finale von Mahlers Neunter

Nach einer zweitaktigen einstimmigen Einleitung folgt das Hauptthema "K", das einen konventionellen vierstimmigen "Choralsatz" darzustellen versucht, wenn auch mit einer sehr baldigen charakteristischen weiten harmonischen Ausweichung (nach A-Dur, also tG).

Dieses tritt am Kopfe der entsprechenden Formteile immer wieder auf. Zwischen denen erklingen Formteile eines zweiten Themas, in unterschiedlicher Länge von einem zweitaktigen Zwischenspiel sich ausweitend bis zu über dreißig Takten.
Dabei erleiden beide Themen eine Geschichte zunehmender Variierung, Differenzierung und schließlich Auflösung. (Da die beiden Viertakter, mit denen das erste Auftreten von K beginnt, sehr ähnlich sind, und sich in diesem Prozess weiter annhähern, gibt es keine notwendigermaßen eindeutige Zählweise der Auftritte von K.)

Sein erstes Wieder-Erscheinen (Z2 oben, T.17) wird vorbereitet durch eine vierstimmige Variante der Einleitungsfigur, in deren Verlauf durch interne Zweistimmigkeit und Vorhalts-/Nebennoten-Bildungen fallende große Intervalle entstehen, darunter eine Sexte, die dann, erstmal noch unaufdringlich, in die Figurierung des Themas selber hineindiffundiert.

Sein nächstes Wieder-Erscheinen T.49 ist für unser Thema unergiebig, aber in T.64 wird eine seiner Stimmen in interne Zweistimmigkeit aufgeflöst, was eine ganze Flut von "espressiver" großer Intervalle auslöst, siehe Zeile Z3. Der zweite Viertakter bringt fast genau dasselbe in kontrapunktischer Vertauschung, s. Zeile Z4.

Dann folgt der bisher längste Formteil mit dem zweiten Thema, dann eine Steigerung ab T.110, die eine Fülle von espressiven fallenden großen Intervallen bringt, darunter auch zwei Sexten: T.100 ais''-cis', T.112 h''-dis''.

Entscheidend aber ist T.126, die auf den völligen Zusammenbruch des Satzhöhepunktes nach T.118 mit seinen Quintparallelen (vergleiche hier) folgende Reprise, -- vielleicht die optimistischste, heroischste, vertrauensvollste und tröstlichste Stelle der gesamten Musikgeschichte, wo das Jauchzen über die Vergänglichkeit zur Einwilligung in die Notwendigkeit wird.

Größten Anteil an dieser Wirkung haben die drei letzten Noten der Hornstimme c'-d'-e', die C-Dur mit A-Dur vereinen und letzte Gewißheit in der Vereinigung des Unvereinbaren finden.
Anteil aber auch die fallende Sexte, die dazu hinleitet: sie ist totes Intervall und höchste Espressivität gleichzeitig, und deshalb, jedenfalls für den Verfasser, die vielleicht wichtigste Inkarnation dieses transzendenten Phänomenes überhaupt.

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In den folgenden weiteren Zersetzungs- und Auflösungsphasen häufen sich die espressiv fallenden Intervalle, wobei allerdings die Septimen, auch verminderte überwiegen. Es treten allerdings auch Sexten auf, so T.141 fis''-a', und T.149 ces''''-es''' markiert sogar den Hochton des ganzen Satzes. Ja, die daran anschließende Abwärtsbrechung b'''-as'''-f'''-des'''-a'' inbT.152 kann sogar in mehrfacher Hinsicht als ihr letztes Nachleuchten gehört werden.

^inh 2016030903 monograph
Große Intervalle abwärts in der Kunst der Fuge

Im Rahmen unserer Suche nach fallenden Sexten fällt auf, dass in der Kunst der Fuge diese äußerst selten sind, und stets signifikant auftreten, und dass ähnliches gilt für die fallenden Septimen.

Deshalb also hier eine Übersichtstabelle, die schon versucht, diese Phänomene zu kategorisieren. Sie enthält alle abwärtsgerichteten Sprünge innerhalb einer Stimme größer oder gleich der Sexte, allerdings ohne Oktave, die ja ubiquitär ist.

Die Sucher erfolgte "manuell", in den Stimmsystemen der Graeserschen Ausgabe. Wieder einmal erwies sich die Abwesenheit von Custodes als sehr hinderlich. Und eine automatische Auswertung mittels "tscore" als sehr wünschenswert. Es können also durchaus einzelne Auftritte übersehen worden sein, und Verfasser wäre für Hinweise dankbar.

"Super-tote" Intervalle, also getrennt durch Pausen länger als ein Takt, wurden nicht untersucht.

Als ein Ergebnis kann festgehalten werden, dass überraschenderweise selbst bei "völlig toten" Intervallen die Stimmführungsregeln fast immer strengstmöglich eingehalten werden und Sext, Sept und Nonensprünge fast nicht auftreten. Das zeigt einen hohen Grad der Internalisierung dieser Verbote.

Weiterhin ist eine signalhaft-espressive Verwendung an Satzhöhepunkten festzustellen, resp. eine Häufung entsprechend gewisser Satzstrukturen, siehe Anmerkungen.

Man beachte dass diesen wenigen fallenden Intervallen Hunderte von ansteigenden Sexten gegenüberstehen!

Die Nummerierung der Sätze und Takte folgt der Gräser-schen Ausgabe, jedoch nennen wir XVII seinen XVIII und XVIII seinen XIX.

I T.13 S c''-d' kl Sept (interne Zweistg.)
T.13 A es'-fis verm Sept (interne Zweistg.)
T.23 S d''-e' kl Sept (Stimm-Xung)
T.50 A d''-f' gr Sexte (trennende Pause, totes Int.)
T.70 S b''-cis'' verm Sept Höhepunkt/Spitzenton
T.77 S b''-cis'' verm Sept Höhepunkt/Spitzenton
II T.22 S d''-f' gr Sexte (interne Zweistg.)
III T.14 S g''-h' kl Sexte (totes Intervall)
T.48 A c''-e' kl Sexte (totes Intervall)
IV T.41 T a'-cis' kl Sexte (interne Zweistg.)
T.60 A c''-e' kl Sexte (totes Intervall)
T.70 A b'-c' kl Sept (totes Intervall)
T.70 T f'-g gr Sexte (totes Intervall)
T.134 T a-h, kl Sept (totes Intervall)
V T.74 B b-a, kl None (totes Intervall)
T.86 T d'-e kl Sept (trennende Pause, totes Int.)
VI T.25 B d'-e kl Sept espressivo!
T.62 S a'-c' gr Sexte (totes Intervall, Lagenwechsel)
VII T.24 B d-c, gr None (trennende Pause, totes Int.)
T.27 A b'-d' kl Sexte (totes Intervall)
T.35 T a-cis kl Sexte (trennende Pause, totes Int.)
T.36 B a-b, gr Sept (trennende Pause, totes Int.)
T.49 A c''-es' gr Sexte espressivo!
VIII T.18 T f'-e kl None (totes Intervall)
T.21 S d''-f' gr Sexte espressivo, Kadenz
T.28 T a'-h kl Sept (trennende Pause, totes Int.)
T.29 T f'-g kl Sept (trennende Pause, totes Int.)
T.30 T d'-e kl Sept (trennende Pause, totes Int.)
T.35 T a'-cis kl Sext+Okt
T.57 B g,-f gr Sept espressivo, Kadenz
T.61 B a-c gr Sexte espressivo, Kadenz
T.95 S d'-fis' kl Sexte (interne Zweistg.)
T.112 B d'-es gr Sept kadenzierend
T.112 B as-h, verm Sept kadenzierend
T.113 B es-fis, verm Sept kadenzierend
T.113 B b,-cis, verm Sept kadenzierend
T.144 B d'-h kl Dezime (totes Intervall)
T.175 A d'-fis kl Sexte Dreiklangsbrechung
IX T.20 S g''-b' gr Sexte (interne Zweistg.)
T.21 S e''-g' gr Sexte (interne Zweistg.)
T.55 A c''-e' kl Sexte (tot od. espr.?)
T.83 T f'-g kl Sept (tot od. espr.?)
T.85 T e'-f gr Sept (tot od. espr.?)
T.123 B g-a, kl Sept int.Zweistg. + espr. + Kandenz
T.128 T b-cis verm Sept int.Zweistg. + espr. + Kandenz
X T.8 B a-cis kl Sexte KSub-U thematisch
T.9 S e''-gis' kl Sexte KSub-U thematisch
T.10 T c''-e kl Sexte (trennende Pause, totes Int.)
T.15 T d'-fis kl Sexte KSub-U thematisch
T.16 B d-f, gr Sexte (tot ?)
T.42 B d-f, gr Sexte (totes Intervall)
T.52 A e''-d' gr None (trennende Pause, totes Int.)
T.72 S b''-d'' kl Sexte (trennende Pause, totes Int.)
T.74 S c''-e'' kl Sexte (trennende Pause, totes Int.)
T.101 S g''-b' gr Sexte espressivo
XI T.22 T d'-e kl Sept Lagenwechsel
T.24 A b'-cis' verm Sept int.Zweistg.
T.39 S a''-h' kl Sept espressivo/Lagenwechsel
T.56 T d'-cis kl None (trennende Pause, totes Int.)
T.57 A a'-cis' kl Sexte (trennende Pause, totes Int.)
T.81 T a'-c' gr Sexte int.Zweistg.
T.88 B f-a kl Sexte Dreiklangsbrechung
T.89 B f'-es gr None (trennende Pause, totes Int.)
T.90 A a'-b kl None (trennende Pause, totes Int.)
T.98 B c'-e kl Sexte (tot od. espr.?)
T.102 S f''-a' kl Sexte espressivo
T.103 T e'-g gr Sexte int.Mehrstg.
T.122 T e'-gis kl Sexte kadenzierend/Lagenwechsel
T.126 S b''-cis'' verm Sept espressivo, Kadenz
T.133 A cis''-e' gr Sexte Lagenwechsel
T.148 S h''-dis'' kl Sexte espressivo, Kadenz
T.160 T b'-a kl None (trennende Pause, totes Int.)
T.174 T d'-cis kl None (trennende Pause, totes Int.)
T.183 A b'-cis' verm Sept espressivo, Kadenz
XII T.5 S f''-a' kl Sexte int.Zweistg. [Anm-1]
T.6 S d''-f' gr Sexte int.Zweistg.
T.6 S cis''-e' gr Sexte int.Zweistg.
T.14 S a''-cis'' kl Sexte (trennende Pause, totes Int.)
T.15 S f''-g' kl Sept espressivo
T.35 S a''-b' gr Sept int.Zweistg.
T.35 S a''-b' gr Sept int.Zweistg.
T.35 S g''-a' kl Sept int.Zweistg.
T.36 S f''-g' kl Sept int.Zweistg.
T.36 S e''-f' gr Sept int.Zweistg.
T.37 S f''-gis' verm Sept espressivo, Kadenz
T.45 S e''-gis' kl Sexte int.Zweistg.
T.46 S f''-g' kl Sept int.Zweistg.
T.46 S e''-f' gr Sept int.Zweistg.
T.47 S d''-e' kl Sept int.Zweistg.
T.50 S a''-c'' gr Sexte int.Zweistg.
T.50 S g''-b' gr Sexte int.Zweistg.
T.51 S f''-a' kl Sexte int.Zweistg.
T.54 S g''-h' kl Sexte int.Zweistg.
T.54 S f''-a' kl Sexte int.Zweistg.
T.54 S g''-h' kl Sexte int.Zweistg.
T.81ff [wie Takt 5 ff]
XIII T.5 B b-cis verm Sept espressivo, [Anm-2]
T.14 B e-fis, kl Sept int.Zweistg.
T.20 B d-f, gr Sexte int.Zweistg., Dreiklangsbrechung
T.33 B b-cis, verm Sept espressivo
T.67 B d-f, gr Sexte int.Zweistg., Lagenwechsel
XIV T.15 B g'-b gr Sexte int.Zweistg. [Anm-3]
T.15 B f'-a kl Sexte int.Zweistg.
T.16 B e'-g gr Sexte int.Zweistg.
T.22 B g'-a kl Sept Akkordbrechung
T.26 B b'-d' kl Sexte int.Zweistg., totes Int.
T.27 B g'-a kl Sept int.Zweistg., totes Int.
T.28 B f'-g kl Sept int.Zweistg., totes Int.
T.33 B a'-cis' kl Sexte (tot od. espr.?)
T.35 B b'-cis' verm Sept espressivo
T.80 B b''-d'' kl Sexte espressivo, Kadenz
XV T.4 S f'-a kl Sexte int.Zweistg., espressivo [Anm-4]
T.5 B a-cis kl Sexte espressivo
T.6 S g''-b' gr Sexte int.Zweistg., espressivo
T.8 S c'''-es'' gr Sexte int.Zweistg., espressivo
T.10 S f''-g' kl Sept int.Zweistg. (espressivo?)
T.10 S e''-f' gr Sept int.Zweistg. (espressivo?)
T.10 S d''-e' kl Sept int.Zweistg. (espressivo?)
T.11 B d'-e' kl Sept int.Zweistg. espressivo
T.14 B f-a, kl Sexte int.Zweistg., espressivo [Anm-5]
T.14 B e-g, gr Sexte int.Zweistg., espressivo
T.15 B d-f, gr Sexte int.Zweistg., espressivo
T.16 B c-e, kl Sexte int.Zweistg., espressivo
T.18 B c-e, kl Sexte int.Zweistg., espressivo
T.18 B h-d, gr Sexte int.Zweistg., espressivo
T.19 B a-c, gr Sexte int.Zweistg., espressivo
T.20 B g-h, kl Sexte int.Zweistg., espressivo [Anm-6]
T.21 S c''-d' kl Sept int.Zweistg., espressivo
T.23 B e-g, gr Sexte int.Zweistg., espressivo
T.23 B f-a, kl Sexte int.Zweistg., espressivo
T.24 B g-b, gr Sexte int.Zweistg., espressivo
T.24 S e''-g' gr Sexte int.Zweistg. (tot?)
T.30 S a'-cis' kl Sexte espressivo [Anm-7]
T.30 B a-cis kl Sexte espressivo [Anm-7]
T.36 S g'-a kl Sept espressivo, Kadenz, Akkordbrechung
T.40 S c'''-es'' gr Sexte Lagenwechsel, Kadenz, espr.
T.42 S fis''-g' gr Sept int.Zweistg., totes Int.
T.43 S e''-f' gr Sept int.Zweistg., totes Int.
T.43 S d''-e' kl Sept int.Zweistg., totes Int.
T.45 B d'-b gr Dezime (trennende Pause, totes Int.)
T.46 B a-cis kl Sexte espressivo
XVI T.5 iS b''-cis'' verm Sept espr., Kadenz [Anm-8]
T.7 iS f''-a' kl Sexte int.Zw. (tot?) [Anm-9]
T.9 rB f-gis, verm Sept espressivo, Kadenz
T.14 iB a-h, kl Sept int.Zweistg., Kadenz
T.15 rS b''-d'' kl Sexte int.Zweistg., espressivo
T.16 iB b-cis ' verm Sept espr., Kadenz
T.20 rB a-cis kl Sexte espr., Kadenz
T.21 iA a'-cis' kl Sexte espr., Kadenz
T.43 rA f'-a kl Sexte Dreiklangsbrechung
T.46 iS d''-f' gr Sexte (trennende Pause, totes Int.)
T.47 rA cis''-e' gr Sexte (trennende Pause, totes Int.)
T.49 iA a'-cis' kl Sexte espr., Kadenz
T.59 rB e-g, gr Sexte espr., Kadenz
T.59 rS b''-cis'' verm Sept espr., Kadenz
T.66 rS g''-b' ' gr Sexte espr., Kadenz
T.68 iS a''-cis'' kl Sexte espr., Kadenz
XVII T.17 aA g'-a kl Sept (trennende Pause, totes Int.)[Anm-10]
T.27 rS b''-d'' kl Sexte (trennende Pause, totes Int.)
T.44 rT d'-cis kl None (trennende Pause, totes Int.)
T.47 rT g'-b gr Sexte int.Zweistimmigkeit
T.52 rB a-d, Duodezime (trennende Pause, totes Int.)
XVIII T.101 B b-d kl Sexte Dreiklangsbrechung, Lagenwechsel
T.186 T as'-g kl None Lagenwechsel

Anmerkungen:

[Anm-1] In diesem Satz alle Phänomene vier Takte später auch in der kanonischen Folgestimme (=B=linke Hand).

[Anm-2] In diesem Satz alle Phänomene bis auf T.67 vier Takte später auch in der kanonischen Folgestimme (=S=rechte Hand) und in beiden Stimmen in der Wiederholung, B 42/S 25 Takte später.

[Anm-3] In diesem Satz alle Phänomene bis auf T.80 vier Takte später auch in der kanonischen Folgestimme (=S=rechte Hand) und in beiden bei der Wiederholung, B 44/S 35 Takte später.

[Anm-4] In diesem Satz alle Phänomene auch mit vertauschten Stimmen und entsprechend vertauschter Oktavlage 53 Takte später. Das Prinzip des Umkehrungskanons bewirkt, dass die relativ vielen "normalen" Aufwärtssprünge durch gleich viele "exzeptionelle" Abwärtssprünge beantwortet werden. Dabei erreicht aber nur die erste Hälfte der schnelleren Stimme auch die Umkehrungsphase.

[Anm-5] Die Augmentation von Achteln auf Vierteln verschiebt die Wahrnehmung von mehrstimmigem Partitensatz zu espressiver Melodik.

[Anm-6] Eine Ausführung auf dem Violoncello erforderte hier eine Skordatur der c-Saite.

[Anm-7] Diese "zufällige Engführung mit sich selbst" zeigt deutlich, dass das Thema der fallenden Sexte in diesem Satz bewusst behandelt wird.

[Anm-8] Das Prinzip der Spiegelfuge (= Umkehrung des gesamten Satzes) bewirkt, dass die relativ vielen "normalen" Aufwärtssprünge durch gleich viele "exzeptionelle" Abwärtssprünge beantwortet werden.
Es bedeuten "rS" "rectus Sopran", "iS" "inversus Sopran", etc.

[Anm-9] Es erscheint hier der deutliche Effekt, dass der Sprung in der "rectus" Form f'-d''-c''-b'-|-a' viel eher einen melodischen, espressiven Charakter hat als der Abwärtssprung im inversus, der eher eine Zweistimmigkeit vermittelt.

[Anm-10] Das Prinzip der Spiegelfuge (= Umkehrung des gesamten Satzes) bewirkt wiederum, dass jeder "normale" Aufwärtsspung durch gleich "exzeptionellen" Abwärtssprung beantwortet wird. Allerdings gibt es wegen dem hier herrschenden "Stilo Antico" fast ausschließlich Sekundmelodik, und kaum Sprünge.

Als Summen erhalten wir:

kl Sexten: 52
gr Sexten: 38 Sexten insgesamt: 90
kl Septen: 31
gr Septen: 11 diatonische Septen: 42
verm Septen: 18
kl Nonen: 8
gr Nonen: 3 Nonen insgesamt: 11
kl Dezimen: 1
gr Dezimen: 1
Duodezime: 1
Abwärtssprünge insgesamt: 164

(Eine der Sexten ist um eine Oktave vergrößert, also eine "Tredezime".)

Vielleicht besonders bemerkenswert das fast völlige Fehlen der Abwärtssprünge in den letzten beiden Sätzen. Besonders, da ja die fallende Quinte in beiden ersten Themen des letzten Satzes eine wichtige Rolle spielt und ubiquitär erklingt.

Der erste Satz hingegen brachte ja mit T.70 den neuen Spitzenton b'', und von diesem auf das espressivste die fallende verminderte Sept, vor der ersten Generalpause überhaupt, auf einem fetten De-Vau.
Von derartig extrovertierter Gewalt gibt sich der Schluss erlöst.

^inh 2016030904 phaenomen
Verkleinert zur Unsterblichkeit

Auch nach der Rechtschreibreform wird "kafkaesk" kleingeschrieben. Und es gibt auch im Englischen die Entsprechung "Kafkaesque", allerdings groß, und im Französischen "kafkaïen". Und wer weiß wo noch !?!

Die Kleinschreibung von kafka-esk bedeutet also, dass dieser Dichter zur Ehre des Adjektivs erhoben wurde. Das gelingt nur wenigen. Selbst Bach hat es noch nicht soweit gebracht, denn "Bachsche Satzweise" ist immer noch ein groß zu schreibendes Kompositum, wie man's mit jedermann machen darf.
Nur die Kleinschreibung ist letzter Beweis von überzeitlicher Gültigkeit. Von historischer Größe.

^inh 2016030905 monograph
Betonungsprobleme

In G.Mahlers Achter Sinfonie, sonst einem sehr löblichen Werk, heißt die Textierung eines der Hautpthemen:

Mahler, Achte Sinfonie, "Gerettet ist das edle Glied der Geisterwelt vom Bösen"

Dies ist natürlich Unsinn: der Hauptakzent liegt auf "Gerettet", da sind sich Text und Musik einig. Daneben sind "edle" und "Geister(-welt)" weitere Betonungskandidaten, zur Not gar das "Böse".
"Glied" hingegen ist (jedenfalls im Zusammenhang dieses Satzes!-) das beiweitem unwichtigste Wort, und hat diese massive Betonung durch die überdeutliche Schwerpunktbildung der melodischen Gestalt keinesfalls verdient. (in der instrumentalen Kanonstimme dazu noch mit einem Akzentzeichen!)

Dies zeigt, dass es dem Komponisten mehr um motivisch-kontrapunktische Möglichkeiten denn um das Wort-Ton-Verhältnis zu tun war. (Wagnern wär das nicht passiert !-)

Volute

Ein ähnliches Problem, aber deutlich schwächer ausgeprägt, zeigt der letzte Satz des von uns sonst doch so gelobten Wie der Hirsch schreit: die massiv getürmten Chor-Kadenzen fallen auf das schöne Wort "E-wig-keit", aber sie fallen ein bisschen zu oft und zu deutlich auf das "Keit" darin. Was ja eine fast völlig sinnfreie Silbe ist.
Schade.
Aber es geht hier wohl nicht anders?!

Volute

Ein andere Falle, in die Verfasser FAST VIERZIG JAHRE LANG tappte, ist die erste Zeile des Schlussmonologes des Prinzen von Homburg:

   /  . .   /     .   .      /    .  .    /
  Nun o Un-sterb lich keit   bist du ganz mein.

Dieser berühmte Satz, der jahrzehntelang als einziger Schmuck auf Kleistens Grabstein prangte. (Nach der Umgestaltung der Anlage ist diese schöne Schlichtheit leider verloren gegangen.)

Er sollte doch, wie angedeutet, zwanglos als Folge von Daktylen aussprechbar sein, und so hat ihn Verfasser auch seit frühester Jugend mit sich rumgetragen.
Das ist natürlich UNFUG! Die semantische Betonung kann ja nur heißen
"Nun, o Unsterblichkeit, bist du GANZ mein."

Dies führt im Versmaß zu irritierenden Synkopen. Aber genau die sind hier wohl gewollt!

^inh 2016030906 monograph
Bruckner ... und Klick!

Mahler hat Gott gesucht,
Bruckner hat ihn gefunden.
(Jaap van Zweden, 2016)

Die Musik Anton Bruckners rezipieren zu können ist eine der Grundfähigkeiten der menschlichen Seele und eine Grundlage ihrer Existenz.

Allerdings bedarf es einiger Anstrengung, bis es soweit ist. Selbst musikalische Hochgebildete haben große Schwierigkeiten, das Gemeinte überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn, es in seiner fundamental transzendentalen Bedeutung zu verstehen, oder schlichtweg in seiner Schönheit.

Verfasser ging es seinerzeit ganz genau so! Erst konnte er mit dieser Musik GARNIX anfangen. Er hatte sich vorgenommen in der Essener Stadtbilibliothek alle Bruckner-Sinfonien der Reihe nach durchzuhören, von eins bis neun.
NIX hatte er verstanden! Alle Melodik erschien ihm abgebrochen, umgebogen, nicht zuende gedacht, alle Harmonik kraus und wirr, Themen erkannte er überhauptnicht, auch keine formale Anlage, nur unzusammenhängende Fragmente, nicht weitergeführte Steigerungsansätze, als bedeutungsschwer gemeinte aber völlig beliebige Grundintervalle, nix von Musik, nur Krampf.

(Die nette und lobenswerte Frau Dr. König schlug damals als Erklärung vor, vielleicht ermüde es ihn, dass alle Themen immer ausführlich aus allen Perspektiven dargestellt würden. Nein, das wars nicht: er hörte in dem ganzen Chaos ja noch nicht einmal ein einziges Thema !-)

Aber er gab dem eine Chance, -- bei "Nummer Neun" angekommen fing er vorne bei "EINS" wieder an. Wieder nix!

Bis dann irgendwo mitten in einem Satz (er meint heute, es sei das Finale der Fünften gewesen) es plötzlich "Klick" in seinem Schädel machte und er, von einer Millisekunde zur anderen, offenen Ohres nur noch fassungslos staunte, -- "Was ist das für ne großartige Musik! Was ist das für eine Offenbarung!"

Und seitdem dabei blieb.

So kann's gehn!

Aber es ist schwer, das anderen Menschen zu vermitteln, die das noch nicht wollen oder können. Die noch nicht den Verdacht geschöpft haben, dass es da etwas zu gewinnen gäbe, und nicht die Ausdauer, die Widersetzlichkeiten und Sprödigkeiten auszuhalten, bis es denn "Klick" macht.
Das ist immer sehr schade. Denn sie verpassen die Chance, "Gott zu finden". Was immer das auch sei?!

^inh 2016030907 monograph
Was soll die Neue Musik?
Eine Antwort für Mathematiker

Unter vielen musikalisch sehr gebildeten, interessierten und rezeptiv engagierten Bekannten sind einige Mathematiker.
Überraschenderweise ist gerade bei diesen die Affinität zu neuerer Musik (sagen wir "post-Mahlersch" oder "post-Hindemithsch", nur um die Epoche zu kennzeichnen) sehr gering. Ja, die Fragen, was denn das alles solle, Schönberg, Zwölftonmusik, und so weiter? -- ob das denn einen Sinn habe? -- ob man so etwas hörend genießen könne? -- ob das Musik sei? -- wird überraschend oft gestellt. (Immerhin wird gefragt! Nach "Neuer Musik" im Sinne der Darmstadt-Avantgarde erkundigt sich erst garkeiner !-)

Diesen Hörer haben hingegen mit Alban Berg und seiner frei-tonalen Empfindsamkeit normalerweise keine Probleme. Da kann man ansetzen!
Was Verfasser versucht zu erklären ist (a) dass die weitere Komplexierung der Satzstruktur, wie sie seit Schönbergs Zwölftontechnik ja noch viel weiter vorangeschritten ist, und die damit verbundenen klanglichen Entwicklungen ja keinen von ihnen stören, wenn sie als "unmerkliche" Grusel-Hintergrunds-Mucke in einem Kriminal- oder Psychodrama-Film engeblendet werden. Im Gegenteil, dort erfüllen sie hervorragend ihre Funktion, Stimmung hervorzurufen, ohne aufzufallen. Man stehe dazu, wie man will --- es zeigt allemal, dass diese ehemalige Avantgarde schon längst in unsere Normalität hineindiffundiert ist.

Was nun (b) die Genussfähigkeit beim Hören "neuerer Musik" (im oben definiertem, kritischen Sinne) angeht, so erklärt Verfasser gerne, dass im Werke von Anton Webern beispielsweise alle vorher bis an den Rand des tonalen Zerreissens, oder gar darüber hinaus gehenden satz- und klangtechnischen Entwicklungen, die -- stets von konkretem emotionalen Ausdruckswillen bestimmt -- von Wagner, Bruckner, Mahler, Schönberg, Szymanowsky, Skrjabin, und unzähligen anderen um die Jahrhundertwende vorangetrieben wurden, allesamt in dessen Werk nachklingen, ja, teils wörtlich vorhanden sind, wenn auch aufs äußerste verknappt. In dreifachem Sinne aufgehoben.

Dies beantwortet die Frage.
Jeder, der beim Betrachten der Formel

      2iπ
    e       = 1 

die Schönheit der dahinterliegenden Konstruktion der Komplexen Zahlen, die Schönheit ihrer Konsistenz und Abgeschlossenheit spürt, der wird auch aus Werken Weberns die Schönheit der damit gemeinten, der darin kondensierten Tradition erleben, wird in wenigen Takten in nuce die ganze Dramatik spättonaler Sinfonien schlürfen dürfen.


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