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2014120800 | Ein formales Grundprinzip in Mahlers Zweiter Sinfonie |
2014120801 | Die Motivik des Finales von Mahlers Zweiter Sinfonie |
^inh 2014120800 | monograph |
Die Zweite Sinfonie von Gustav Mahler hat bekanntlich eine
lange Entstehungsgeschichte: Während der erste Satz schon 1888 fertig vorlag,
wenn auch in einer leicht anderen Vorversion, fehlte jahrelang die Inspiration
zum Gesamtwerk.
Im Sommer 1892 entstanden zweiter und dritter Satz, das Scherzo in unmittelbarer
Verbindung mit dem Wunderhorn-Lied von Des Antonius von Padua Fichpredigt,
in Klavier- und Orchesterfassung; im Sommer 1893 das Finale, angeregt
durch die Trauerfeier für Hans von Bülow, -- genaueres zur Enstehung
siehe das (auch sonst sehr empfehlenswerte) Buch von Rudolf Stephan
[stephanMahler2x].
Bemerkenswert, dass trotz dieser langen Zeitspanne dennoch im Denken des Komponisten eine bestimmte formale Idee so stark präsent und dominierend war, dass sie in allen Sätzen eine fundamentale Rolle spielt, und zwar auf durchaus verschiedenen Größenskalen. Diese kann beschrieben werden durch die Symbolfolge
A - (B + A) |
Dabei stehe "-" für die unmittelbar sukzessive Aufeinanderfolge, und "+"
für gleichzeitiges Erklingen.
Die Formel soll bedeuten: Eine Struktur A wird exponiert und anschliessend wiederholt,
wobei gleichzeitig zu ihrer Wiederholung eine zweite Struktur B erklingt.
Die Reihenfolge der Notation soll bedeuten, dass dieses B der Wahrnehmung präsenter
ist als das wiederholte A.
Von dieser Formel gibt es, fast ebenso deutlich erkennbar, auch die Variante
A - x - (B + A) |
wo also diese Wiederholung durch dazwischentretendes Drittes abgesetzt ist.
Aufschlussreich und wichtig für das formale Verständnis von
Mahlers Zweiter Sinfonie ist nun nicht nur das Auftreten dieser Formel,
sondern auch ihre unterschiedliche Rolle und ihre teils überraschende Behandlungsweise.
(Im folgenden Text werden ihre erkennbaren Auftritte auf abgesetzten
Zeilen durchnummeriert, wobei die weniger deutlich als solche gemeinten
eingeklammert erscheinen, was zum Schlusse des Werkes hin zunimmt.)
-- 1
Allerwichtigstes und programmatisches erstes Auftreten der Formel A-(B+A) ist
der Aller-Anfang: Das Hauptthema des ersten Satzes tritt auf als
A=Bass, zu dem dann bei seiner Wiederholung die Melodiestimme=B tritt
(die sich zum Höhepunkt hin zum mehrstimmigen akkordischen Satz aufbläht).
Damit wird nicht nur das Thema, sondern die Formel A-(B+A) in ihrer
ganz unmodifizierten, allerdeutlichsten und lang ausgedehnten Form (bis zu 35
Takte, je nach Betrachtungsweise)
selbst als programmatisch exponiert:
-- 2
Ganz analog das erste Thema des zweiten Satzes.
Diesem Satz liegt eine recht konventionelle "fünfteilige Liedform" zugrunde,
eine Folge von Teilen wie K-L-K-L-K.
Das Thema des K-Teiles wird hier als Streicher-Menuett KA exponiert. Bei
seinem zweiten Auftreten kommt ein Kontrapunkt KB dazu, der beim letzten
Auftreten im doppelten Kontrapunkt der Oktave nach oben wandert.
Vor letzteres ist noch eine Pizzicato-Variante K.3
1
eingeschoben, die
nicht mit einem zusätzlichen (vertikalen) Kontrapunkt, sondern mit (horizontal)
eingeschobenen Takten erweitert wird.
Der L.2-Teil ist dementsprechend gegenüber dem L.1-Teil ebenfalls verlängert, und
im ff statt im pp.
Die Gesamtform lautet also
1 | 39 | 83(89) | 133 | 210 | 245 | 285 | (300) |
38 | 44 | 50 | 77 | 35 | 40 | 15 | |
K.1 | K.2 | (K.3) | K.4 | Coda | |||
A | A+B | (A pizz) | A+B(okt^) | (A) | |||
L.1 | L.2 | ||||||
pp | ff |
Die Auftritte von K, zusammengefasst und stark reduziert (K.2 klingt eine Oktave höher; die wenigen notwendigen Lizenzen als "x"-Noten):
Im dritten Satz hingegen diffundiert das A-(B+A)-Prinzip hinab ins Detail und tritt nicht mehr mit so langen Dauern auf. Es hat aber dennoch großformale Bedeutung, indem seine einzelnen, in sich kürzeren Instanziierungen in weitgreifender Fernbeziehung stehen und sogar bis zu den vor-letzten Takten des Finales (sic!) die Satztechnik deutlich determinieren.
Zunächst notwendig ist eine Übersicht über die Form des dritten Satz als Ganzem: In einer für den Komponisten typischen Synthese aus formalen Prinzipien ist er Scherzo und Sonatenhauptsatz gleichzeitig. 2 Verkürzend und vereinfachend kann gesagt werden: Der Scherzo-Exposition folgt ein erstes Trio, auf das eine Durchführung folgt, dann ein zweites Trio, gefolgt von der Reprise.
Benennen wir die Formteile wieder mit Buchstaben beginnend mit K, dann
ist K.1 die Exposition eines einstimmigen "perpetuum mobile" Themas T.1 bis 44,
das in Sechzehnteln in c-moll durchläuft und intern wiederum, auch recht
konventionell, als Ka-Kb-Ka aufgebaut ist, mit einem "Zwischenhalbsatz" Kb auf
der Dominante.
T.45 folgt ein erstes Maggiore=L.1, C-Dur, welches die "Rast am Fluß" aus dem
Trio des Scherzos der Vierten Sinfonie Bruckners zitiert (La)
und mit Klezmer-Chromatik kontrastiert (Lb).
Überhaupt findet eine systematisch zunehmende
absteigende Chromatisierung statt, bis in T.64 dann
eine Schleifenstellung eines wiederholenden chromatischen Modelles erreicht ist,
-- als ein erster deutlicher Zielpunkt, und betont eine neue Ausgangssituation.
Es folgt ab T.68 die Wiederholung des K-Teiles = K.2, aber diesmal (a) horizontal auf einen einzigen (variierten) Ablauf von Ka verkürzt, also ohne den dominantischen Zwischensatz. Dafür aber (b) ...
-- 3
mit einem hinzutretenden, gut wiedererkennbaren und deutlich als
thematische gemeinten neuen Kontrapunkt KB in den Flöten (siehe Notenbeispiel unten).
Hier erscheint unser Grundprinzip also zum ersten Mal und überdeutlich
in der Form A-x-(B+A). Wiedererkennbar nicht zuletzt, trotz dem eingeschobenen
"x" von 35 Takten, wegen seiner wiederholten und überdeutlichen Exponierung in
den Sätzen davor.
3
Dann, wie gehabt, L.2 mit "Jäger am Bach" und "Klezmer", wobei die abschließende Chromatik hier nicht stufenweise gemächlich bis zur Schleifenstellung absteigt und sich verlangsamt, sondern in eine Mahler-typische Zusammenbruchstelle mündet.
Auf diese folgt nun ab T.103 ein noch deutlicher als bisher abgesetzter Teil M, zwar den perpetuum-mobile-Gestus behaltend, aber mit F-Dur deutlich auf Kontrast gesetzt. Das konventionell konditionierte Formempfinden wird hier ein "erstes Trio" vermuten, und wir können diese Etikettierung durchaus übernehmen, um den hier entstehenden Eindruck und die damit verbundene Erwartungshaltung ("der Anfang wird schon noch wiederkehren!") knapp zu benennen.
-- 4
Hier nun wird unser Grundprinzip zunächst einfach angewandt, danach
aber mit sich selber potenziert.
Zunächst ganz wie bekannt MA-(MB+MA): MA sind die Celli ab T.105 und 113. Dort
treten dann Ob. und Fg. mit MB hinzu. Man beachte die geradezu penibel
reguläre Achttaktigkeit.
4
MA zerfällt in je vier Takte, genannt MAo und MAu, weil MAu
die Bewegungsrichtung umkehrt.
Ab T.121 (wie in K.1) ein regulärer, dominantisch gefärbter Zwischenhalbsatz;
ab T.125 dann die Wiederholung von (MB+MA).
Diese erfolgt aber nur halb, nur für die vier Takte von MAo. Danach
kommt statt des oberen Kontrapunktes MB zum (nun leicht variierten) MAu
ein neuer, unterer Kontrapunkt MC dazu.
Dieser ist wegen seiner aufsteigenden Chromatik deutlich als neuartig hervorgehoben.
Diese vier Takte werden wiederholt und etablieren so eine neue Achttaktigkeit,
der alten gegenüber deutlich verschoben und sie aufhebend.
Dann wieder der Zwischensatz, diesmal aber (a) subdominantisch gefärbt, und (b) mit einem neuen oberen Kontrapunkt. 5 Damit wird das Prinzip A-(B+A) gleichsam mit sich selbst verschränkt: es gilt unabhängig für die Hauptsätze und die Zwischensätze.
Damit aber nicht genug: Bei der allfälligen Wiederholung ab T.150 erklingt wie erwartet MB; MA aber ist vertreten mit MAu statt MAo, und zusätzlich noch MC! MC ist also mitnichten, wie vorher behauptet, nur eine Alternative zum zweiten Teil von MB, sondern ebensogut Kontrapunkt zu dessem ersten:
Diese dreifache kontrapunktische Kombination, die unsere Grundformel auf mehrfache Weise anwendet, ist der substantielle Endpunkt dieses ersten Trios, aber ebenso ein Höhepunkt der Entwicklung des gesamten Satzes bis hierhin. Die Erkenntnis der Kombinierbarkeit der Alternativen MB und MC ist ein Heureka!-Effekt, eine typische Metalepsis (G. Zacher): Zwei Dinge werden getrennt exponiert und erst später als zusammengehörig aufgewiesen. Die subtilen Veränderungen an diesen Stellen bei ihrer Wiederholung ab T.467/469 werden für den transmusikalischen Gehalt des Satzes, ja, der ganzen Sinfonie, bedeutsam werden.
Die folgende Tabelle versucht die mehrfachen Kombinationen unserer Grundformel darzustellen, wobei jede Spalte für vier Takte steht:
T.105 | 109 | 113 | 117 | 121 | 125 | 129 | 133 | 137 | 141 | 145 | 149 |
MBa | MBb | MBa | MBa | (MBa) | |||||||
MAo | MAu | MAo | MAu | MAo | MAu | MAu | MAu | ||||
MC | MC | MC | |||||||||
MAo | KA | ||||||||||
KB' |
Mit einer kurzen Abspaltungs-Steigerungs-Sequenz von MBa ab T.145 mit deutlichem Überleitungscharakter endet dieses erste Trio.
Es folgt ab T.149 mit K.3 die "Durchführung".
Der Teil beginnt wie K.2, also mit Sechzehntelthema KA und neuem Kontrasubjekt KB
gleichzeitig.
Sein Durchführungs-Charakter wird durch bald hinzutretende satztechnische
Mittel unmissverständlich: KB wird enggeführt, und die chromatische
Schleife mit sich selbst in Umkehrung kontrapunktiert.
Neuartiges, aber nicht ganz unvermitteltes, in sich disparares Material
beschließt diesen Teil:
ein neues, typisches Coda-Motiv
in den Hrn ab T.177 = X1 (vgl. seine Neunte Sinfonie,
Zweiter Satz, Coda); eine Solo-Kadenz der Flöte; faux-bourdon-Akkorde
der Streicher; ein Paukentriller.
Die Fülle von
im Mittelgrund exakt vermittelten, im Vordergrund jedoch bunt schillernden
Gestalten in seinem zweiten Abschnitt, und die Satztechniken in seinem
ersten geben diesem Teil trotz seiner äußerlichen Kürze das
architektonisch notwendige Gewicht.
6
Deutlich werden auch die formalen Rollen durch den Einsatz des seltenen
Schlaginstrumentes der Ruthe: Diese markiert alle Sonatenhauptsatz-Teile:
In der Introduktion ab T.11 nur dreimal die beiden schwachen Achtel;
dies zweimal in der Exp bei T.31 und viermal bei T.64.
Dann mit deutlicher Signalfunktion für den Beginn der Df
eine Folge von 24 Sechzehnteln bei T.149, und 12 davon am Beginn der Rp bei T.348.
In Rp wie in Exp zweimal die beiden schwachen Achtel (T.370), dann aber
auch viermal die Eins ab T.376, auch eine Art "Einrichtung".
Am Beginn der K-Material-Coda T.545 dann 21 Schläge, und nochmal 24 ab T.553,
wo es nach T.372 springt und wo in der Kombination KA+KB+X2 nun KB fehlt (s.u.).
Immer mit deutlichster Signalfunktion.
Dadurch dass die Df stark als solche wirkt, kann das Trio 1 = M = F-Dur im Nachhinein wie "das zweite Thema einer Exposition" verstanden werden, auch genannt "Seitensatz" (SS).
Mit C-Dur folgt ab T.190 deutlich ein "zweites Trio".
Dieses ist in sich mehrteilig, drei verschiedene Satzstrukturen wechseln sich
mehrfach ab:
Zunächst wird (Material NA.1) die Streicherbewegung beibehalten und das Prinzip der
zunächst einstimmigen Exposition. Hingegen wird das Legato durch ein
Marcato ersetzt, die durchlaufenden Sechzehntel fallend fort, die
Achtel, die bisher in den "B-Materialien" von K und M
den Kontrapunkt zu den durchlaufenden
Sechzehnteln der "A-Materialien" bildeten, werden mit diesen nun horizontal
statt vertikal verbunden.
Allemal ist der Kontrast hier höher als von K-L-K nach Trio eins=M, -- das Formempfinden wird hier wohl einen stärkeren Einschnitt und das "eigentliche" Trio vermuten und alles Vorangehende zum Hauptsatz zusammenfassen. 7 (Auch weil ja mit L schon ein Maggiore auftrat, also M tonal durchaus in den Gesamtteil integriert werden kann.)
(-- 5)
Auch hier in NA kann die Grundformel A-(B+A) gehört werden: Ein
Thema, welches den Dorfmusikanten beim Kirchweihfest entspricht,
mit rüden Wiederholungen und kruden Sequenzen, wird nach elf Takten (sic!)
mit seiner (freien) Umkehrung kontrapunktiert = O-(O+U).
Dahinein bricht T.212 unvermittelt NB, eine ebenso rüde ff-Dur-Dreiklangs-Fanfare, brutal nach D-Dur rückend, also einen Ton nach oben.
Auf sie folgt ein kurzes, ihre Motive durchführendes Orchestertutti, mit einem Höhepunkt T.233 in fis-moll.
Ab T.235 wieder Material NA.2, diesmal D-Dur, das Prinzip des Kontrapunktes O+U
beibehaltend. Sein Einsatz markiert durch das scheinbar unvermittelt hinzutretende,
wie ein Signal wirkende neue flottierende Motiv X2 in der Ob1.
T.257 wiederum der Einbruch NB.2, wiederum einen Ton nach oben rückend, nach E-Dur.
Mit T.272 "Sehr getragen und gesangvoll" ein plötzlicher Wechsel von Klang, Ausdruck und Bedeutung, eine "idyllische Insel", singende, operettenseelige 8 Trompetenmelodie NC, weiterhin E-Dur, mit nachlässig-nonchalanten Vorhalten im begleitenden Blech zum Leuchten und mit nur hintergründig erklingenden Sechzehntelgirlanden in den Vl zum Glitzern gebracht.
(-- 6)
Bei dessen Wiederholung NC.2 ab T.288 tritt die Erinnerung an die Dorfmusikanten
NA hinzu, -- ein schwaches Echo auf die A-x-(B+A) Variante der Grundformel, in einer
sehr allgemeinen Verdünnung.
(-- 7)
Deutlicher hingegegen bei der zweiten Wiederholung NC.3,
die letztlich zum Zerbröseln führt, wo die Cello-Kantilene ab T.309
als ein explizit hinzutretender Kommentar empfunden wird,
auch hörbar im Sinne von A-(B+A).
Ab T.328 eine typische Rückführung = Rf: NA, NC und X2 wiederaufnehmend und kombinierend.
Ab T.348 dann die Reprise = Rp = K.4. Diese ist klar als solche gemeint
spätestens ab der charakteristischen Doppelschlagfigur in T.356, mit der beginnend
dann der Verlauf notengetreu dem T.19 folgt.
Hier wie bei K.1 zum ersten Mal wieder der dominantische Zwischenhalbsatz.
Schön deutliche Dialektik: Weil das Material des Hauptsatzes allerorten
wiederholt und variiert wurde, wird das Material das Zwischensatzes,
das derweil kaum Beachtung fand, rar und damit architektonisch wertvoll
und signalisiert hier unmißverständlich die gemeinte Rp-Situation.
9
Das seit Haydn und Beethoven ubiquitäre Grundprinzip, die Rp eines SHS mit zusätzlichen Kontrapunkten anzureichern, nennen wir kurz "Rp-Kontrapunkte" oder "Rp-Kp". Das Prinzp der Rp-Kontrapunkte trifft sich hier mit dem A-x-(B+A)-Grundprinzip. Dessen Auftreten darf also nicht überbewertet werden, da Rp-Kp von Mahler, wie auch von Bruckner und anderen "Romantikern", fast immer angewandt wird. (Wir zählen diese Stellen deshalb nur in Klammern als seine Anwendung.)
(-- 8)
Deutlich vernehmbar erhält der Zwischenhalbsatz Kb ab T.358 in diesem Sinne
einen neuen Kontrapunkt, vgl. mit T.21ff.
Danach springt die Rp: T.368 entspricht T.64, also K.2, der chromatischen Schleife nach dem ersten "Jäger am Bach".
(-- 9)
Dort erklang ja zum ersten Mal (KA+KB), hier nun kommt als
Rp-Kp X2 hinzu, das ja aus dem zweiten Trio T.235 und der Rf bekannt ist.
Es erklingt also ab T.372 KA+KB+X2. (Auffällig die Disposition der
Register: KB beginnend mit c-eins und c-drei, Fg und Picc, umrahmt also
das X2 in der Ob; Fg und KA in Vl1 beginnen mit einer Stimmkreuzung;
Einklangsparallele es-d-c zwischen KB und dem chromatischen freien Kp):
Danach werden zwei Abspaltungen von X2 gegeneinander geführt, ähnlich einer durchbrochenen Engführung.
(-- 10)
Dann der "Jäger am Bach" und der "Klezmer" L.3, ebenfalls mit Rp-Kp, T.390 Fl.
Dies ist das erste Auftreten von L in der Rp, entspricht aber dem zweiten Mal
in der Exp, T.84, da es nicht zur Folge
(chromatische Schleife --- dann KA+KB)
leitet, sondern zum chromatischen Zusammenbruch und zum F-Dur-Trio M.
In dessen Wiederholung, M.2, nun zum ersten Mal, nach all vielen, kaum
noch überschaubaren Addititva,
gleich mehrere negative Maßnahmen!
Der Anfang T.409 entspricht zunächst notengetreu T.105
(einschließlich des zweitaktigen Vorspiels, T.407 ~ T.103!)
Dann aber klingt im vierten Viertakter kein Kontrapunkt zu MAo!
Diese Lücke fällt deutlich als solche auf, wirkt irritierend.
Zum Ausgleich erklingt der Zwischenhalbsatz ab T.425 mit neuem Kontrapunkt,
dasselbe Material wie Ba in T.417, gefolgt von deutlich abgeleitetem.
Fettgedruckt die Abweichungen von obiger Tabelle:
T.409 | 413 | 417 | 421 | 425 | 429 | 433 | 437 | 431 |
(=105) | (109) | (113) | (117) | (121) | (125) | (129) | (133) | (~212!) |
MBa | --- | MBa | Ba | |||||
MAo | MAu | MAo | MAu | MAo | MAu | MAu | ||
MC | MC | |||||||
MAo | ||||||||
NB.3 |
Auf M.1 folgte oben die Df, dann das Trio zwei mit Fiedelmusik NA,
dem brutalen Fanfareneinbruch NB und der Operetten-Insel NC.
Dies alles soll natürlich nicht wiederholt werden. Wenn M als zweites Thema (SS)
der Exposition gehört wird, wie es ja durch die deutliche Df nach M.1
naheliegt, so wäre die Rp mit M.2 beendet, und es wäre eine Coda o.ä. zu erwarten.
Die Lösung für dieses Problem liegt in der Anwendung einer weiteren
formalen Grundmaßnahme, der Verfrühung, dass nämlich eine als
solche durchaus erwartete Wiederholung früher als erwartet einsetzt.
Diese wird hier überdeutlich angewandt: Es setzt nämlich ein, unerwarteterweise, der brutale Überfall NB.3. Dieser überspringt also NA und die vorangehende Df K.3. Dies kann allein schon als Verfrühung gehört werden; diese Auslassungen sind aber genau die aus obigen groß-formalen Gründen erwarteten.
Um ihn aber noch überraschender und gewaltsamer zu machen, und um
das Mittel der Verfrühung als solches
deutlich herauszustellen, wird sogar noch mehr
ausgelassen, und mitten hinein in die Schlusstakte von M geschnitten:
schon der nächste überleitende
Zwischenhalbsatz (T.137) wird nicht mehr wiederholt und, viel wichtiger noch,
es entfällt auch die anschließende Kombinationstelle Ao+B+C.
Da diese aber ein Höhepunkt der gesamten kontrapunktischen Entwicklung war,
und der nun folgende Wiedereinsatz des zweiten Trios in den
"Schrei des Ekels" (PA) mündet, der den frühen Tod des Studienkollegen
Hans Rott beklagt (siehe die Diskussion in [stRottx], dort auch
weitere Literatur), ergibt sich die naheliegende Deutung,
dass hier klingend vorgeführt werden soll,
wie der verfrühte Tod des Kollegen seine kontrapunktische, kompositorische
Entwicklung brutal abgeschnitten und deren Vollendung verhindert hat.
Die Fanfare NB bricht nun in C-Dur ein, nach D-Dur und E-Dur nun in
der Grundtonart des Satzes, aber rücksichtslos verdurt.
Innerhalb ihrer wirkt nun abermals unser Grundprinzip:
(-- 11)
Die vier Takte Vordersatz ab T.441 werden in den Trpt. einfach
beibehalten, erklingen also als Kontrapunkt zu seinem Nachsatz in den HBl.,
vgl. T.212 ff.
Hier wird also die Variante dass auf zweimaliges
A-B nun erstmals ein A-(B+A) folgt.
Das "falsche" C-Dur schwankt zunehmend zum gleichnamigen moll, zur Heimattonart zurück, und mit der bisher deutlichsten absteigenden Chromatik, als schwere Achtel im Bass, tritt die charakteristische Doppelfunktion PA= "C-t.s.+b-moll" ein, der Schrei-Akkord, der auch die im Finale wichtige formale Bezugspunkte setzen wird. ("t.s." stehe für "tasto solo", also nur dieser eine Ton, ohne weitere Akkordik.)
Mit der fallenden Akkordfolge PB beginnt eine erste Coda, die NA wieder aufgreift (was ja einerseits durch die Verfrühung von NB.3 herausgeschnitten wurde, andererseits ja auch bei T.235 auf NB.1 folgte, zusammen mit X2.1!) Dies wird, als deutliches Signal für einen formalen Einschnitt (hier: Coda-Beginn) mit dem allerersten Anfang kombiniert, den Signal-Quarten der Pk aus der Introduktion ab T.1. 10 Der flächige Charakter der Operetten-Insel NC wird wieder aufgegriffen.
Darein erklingt nun, geheimnis- und verheißungsvoll, das allererste Auftreten der allerersten "Jenseits-Fanfare" QA'.1 in den Trp in T.497 und QA.2 in T.509. 11 Dagegen erklingt ab T.501 in den Vl1 eine Umbiegung des Trompeten-Gesanges NC, die in das später zentral wichtig werdende zweite Jenseits-Motiv QB übergeht, die Terzen-Kaskade der Vl1 in T.511-512, die hier noch überaus beiläufig, als reine Kadenzfloskel fast unbemerkt vorbeizieht.
Dem folgt nochmals das Fiedel-Trio NA, bis dann T.533 fast notengetreu
die Rf von T.336ff aufnimmt, allerdings ohne das flottierende Motiv X2!
Diese leitet hier allerdings nicht wie damals zur Rp, sondern statt derer zur
Coda-zwei, die sich allerdings analog zu dieser
wieder dem Hauptthemenmaterial K zuwendet.
Coda-zwei beginnt harmlos, folgt zunächst der Exposition, mit konventioneller
Schlussanzeige durch Transposition in die Subdominate (T.549~T.41).
Dem Coda-Prinzip und der angestrebten Schlusswirkung wegen aber herrscht muntere
Schnitt-Technik: Schon der zweite Achttakter von M greift auf die Rp zurück, T.553
~T.372, da X2 als Kontrasubjekt dazutritt, was ja nur von dort bekannt
ist. Allerdings fehlt das thematische KB hier, ja, tritt garnichtmehr auf. Dies wird
u.a. markiert (aufgewogen?) durch den zusätzlichen Einsatz der "Ruthe" T.553.
Weitere deutliche Montage-Technik: T.557 enstpricht T.80. Aber auch das nur zwei Takte lang. T.82 hingegen taucht vorher schon auf, in T.550.
Nach all diesem und weiterem munteren Verwirrspiel, welches den Eindruck von
"Alt und doch so neu" erweckt,
wird nicht etwa zum "Jäger am Fluß" = L fortgeschritten, vielmehr
K weiter wiederholt, diesmal aber
(-- 12)
ab T.560 zum ersten Mal mit den Kp X1+X2 gleichzeitig!
Diese wiegen auf das Fehlen von KB.
Zwei Motive X1 und X2, die nur dadurch aufeinander bezogen sind, dass sie beide
halt
(a) frei hinzutretende Kontrapunkte und (b) formal frei flottierend sind,
werden also hier auch als "kontrapunktisches Problem" begriffen und
in allerletzter Sekunde kombiniert.
Diese Stelle kann als der Zielpunkt der satztechnischen Entwicklung des
ganzen Scherzos aufgefasst werden:
12
Danach folgt nur noch Zerbröseln.
Die Motivik des Finales soll Gegenstand eines weiteren Artikels werden.
In diesem Satz wird auch unsere Grundformel A-(B+A) wieder eine wichtige Rolle
spielen, und an entsprechender Stelle erwähnt werden.
Hier seien die Ergebnisse bereits vorwegnehmend zusammengefasst. Dabei muss
man allerdings durchaus einschränken, dass auch mehr oder weniger Stellen
aufgezählt werden könnten: Sobald das Grundprinzip auch nur leicht
variiert und verdünnt wird, ist es schnell
ubiquitär und kann in viele sehr einfachen Konstellation durchaus
hinein-gehört werden.
Für die folgenden Stellen aber gilt (a) dass wir sie deutlich als
von diesem Typ empfinden, (b) dass die Formel hier architektonisch
tragend ist und (c) vom Komponisten wahrscheinlich bewußt so eingesetzt.
Es sind dies
Als Anhang: Übersicht der Formgliederung und Materialien des Scherzos:
K | Hauptthema |
KA | Perpetuum Mobile in Sechzehnteln |
KAa-b-a | (b ist nur zweimal erklingender Zwischenhalbsatz) |
KB | Kontrapunkt in Achteln etc., exponiert gemäß A-(B+A) |
L | Zitat Bruckner, Sinf IV/3/Trio -- Klezmer |
M | erstes F-Dur-Trio, kombinierend bis hin zu MA+MB+MC |
_X1 | frei flottierendes Motiv: Signal für Durchführungsende, Hornquinten |
N | Trio zwei: |
NA | Dorf-Fiedeln, Formel O-(O-U) |
NB | einbrechender Brutal-Jubel |
NC | operettenseelige Trp-Melodie |
_X2 | frei flottierendes Motiv: figurierte c-moll-Brechung abwärts |
P | "Schrei des Ekels" |
PA | Akkord C-t.s.+b-moll |
PB | absteigende Akkordverschiebung |
Q | Jenseitsmotive |
QA | Jenseit-fanfare |
QB | Terzen-Kaskade |
T.1 | T.13 | T.45 | T.68 | T.84 | T.103 | T.149 | T.190 | T.328 | T.348 | T.388 | T.407 | T.441 | T.465 | T.481 | T.522 | T.545 | (582) |
12 | 32 | 23 | 16 | 19 | 46 | 41 | 138 | 20 | 40 | 19 | 34 | 24 | 16 | 41 | 23 | 37 | |
c | c | C | c | C | F | c | C-C-C-D-E | (C-B-As) | c | C | F | C(/c) | b-Des-Es | C | As/C | c | |
Int | Exp | SS | Df | Rf | Rp | SS | Cd1 | Rf | Cd2 | ||||||||
Trio1 | Trio2 | Trio1 | Trio2 | ||||||||||||||
Int | Int | ||||||||||||||||
KA.1 | KA.2+KB | KA.3+B | KA.4+B | KA.5 | |||||||||||||
(=a-b-a) | L.1 | L.2 | (=a-b-a) | L.3 | |||||||||||||
(=JäKlez) | MA-B-C | MA-B-C | |||||||||||||||
NA-B-A-B-C | NA(NC') | NB | NA | NA | |||||||||||||
QA-B | PA.1-2+PB | ||||||||||||||||
_-X1 | _-_-X2-_-_ | _X2 | _X2 | NO!! | X1+X2 |
[stephanMahler2x]
Gustav Mahler Zweite Sinfonie Wilhelm Fink Verlag, München, 1979 ISBN 3-7705-2737-7 |
[stRottx]
Zitate und Bezüge vom Werke Hans Rotts in das Gustav Mahlers Berlin, 2012 ./ston2012090900.html |
^inh 2014120801 | monograph |
1
Das Problem: Materialprozess vs. Orientierung
2
Die Materialentwicklung im diachronen Ablauf
2.1
Satzbeginn, Aufgreifen des Scherzo-Endes, Schrei und Verheißung
2.2
Der Rufer in der Wüste
2.3
Choral
2.4
Fanfaren-Doppelfunktions-Fläche
2.5
"Glaube!"-Klage
2.6
Wiederholung von Choral, Fanfaren und Rufen (S, QD, R)
2.7
Allegro-Mittelteil
2.8
Wiederholung "Glaube!"-Klage und Satzanfang
2.9
Verdichtung und teilweiser Abschluss der Jenseits-Fanfaren
2.10
Der Große Appell!
2.11
Die ersten zwei Chorstrophen
2.12
Die beiden Solo-Gesänge
2.13
Dritte Chorstrophe und Schluss-Steigerung
3
Anhänge
3.1
Liste der Motivbezeichnungen
3.2
Verteilung der Materialien im Finale
3.3
Varianten und Kombinationen der Jenseits-Fanfaren Q
3.4
Varianten des Nebennotenmotives RA/SB
4
Bibliographie
Das Finale der Mahlers Zweiter Sinfonie ist einer seiner ausgedehntesten Sinfoniesätze. Es wird verständlich und überschaubar nicht zuletzt durch seine leicht erkennbare Zweiteilung: orchestraler erster Teil und, deutlich konstrastierend dazu gesetzt, a capella beginnendes Chorfinale. Die Orientierung wird weiter vereinfacht indem ersterer zerfällt in Largo/Lento und Allegro. Dennoch aber kann sich beim Hören der Eindruck einer überwältigenden Fülle an motivischem Material einstellen, eines Wucherns und Blühens von Themen, Chorälen und Fanfaren, die sich in ständig wechselnden Konstellationen abwechseln und unermüdlich Neues hervorbringen.
In der Tat stellt sich aber bei genauerem Hinsehen das genaue Gegenteil als wahr heraus: Die Anzahl der Motive ist eher klein, ihre Ausdehnung kurz, ihre Konturen scharf. Diese aber werden so konsequent permutiert, kombiniert und weiterentwickelt, dass genau dieser doppelte Eindruck entsteht, von unüberschaubarer Fülle und unterschwelliger Verbundenheit, von üppigem Blühen und organischem Sprießen, von niemals haltender Entwicklung und doch punktgenau landender Logik.
Dies wird in diesem Satze (wie auch im Gesamtwerk des Komponisten überhaupt)
hervorgebracht durch folgende Kombination:
Zum einen (A) die kompositorische Grundhaltung der "entwickelnden Variation".
Dieser von Schönberg geprägte Begriff meint
eine Betrachtungs- oder Hervorbringungsweise, wo jedes Erklingende gilt als durch
leichte Veränderungen aus vorher Erklungenem entstanden.
Und umgekehrt: wo jedes Erklingende das Nachfolgende hervorbringt durch eben
diese leichten Veränderungen, die mit einer Anmutung von Notwendigkeit und
Ungezwungenheit daherkommen, als wollte das erste sich nur weiter erklären und
entfalten, seinem eigentlichen Wesen näherkommen, indem es in das zweite übergeht.
Dies nun wir angewandt auf (B) betont einfach gebaute und präzis definierte Motive aus musikalischen Grundmaterialien (Skalen, Dreiklänge, Quinten, etc.) Somit können zunächst scharf getrennte Konturen und Symbole im weiteren zeitlichen Verlauf, oder in tieferen Schichten des Mittelgrundes, dem ersten Anschein zu Trotze doch als aus einander entwickelt wahrgenommen, erklärt und dargestellt werden.
Diese Materialien und ihre Verwendungstechniken darzustellen nimmt sich dieser Artikel vor. Er ist in doppelter Hinsicht eine Fortsetzung des Artikels "Ein formales Grundprinzip in Mahlers Zweiter Sinfonie": Einerseits werden die ersten der motivischen Elemente des Finales schon am Ende des dritten Satzes eingeführt, die Wahl der Buchstaben für die Materialien schließt also daran an. Auch wird das dort besprochene A-(B+A)-Prinzip auch hier weiterhin angewandt, und die dort begonnene Zählung seiner Anwendungsstellen hier fortgesetzt.
Am Ende vom dritten Satz wurde nach der C-Dur-Version der Brutal-Fanfare
NB.3 der "Schrei-des-Ekels-Akkord" Ct.s.+b-moll = PA eingeführt, T.465, gefolgt von
der absteigende Akkordkette PB.
Im nachfolgenden Wiederaufgriff der Operetten-Insel-Stimmung erklangen
in T.497 und T.509 die ersten Jenseits-Fanfaren QA'.1 und QA.2 in den Trp,
und am Ende des Wiederaufgriffes von NC in Vl1 die beiden unscheinbaren
Kadenztakte T.511-512 = eine Terzen-Kaskade = ein weiteres Jenseits-Motiv = QB.
(Noten siehe weiter unten).
Nach der Tonartdispositon c-As-c der ersten drei Sätze, in sich
auffällig abwechslungsarm, ist der solistische Einsatz des Alt-Solos mit
Satz vier -- Urlicht ein schierer Gewaltakt: Die menschliche
Stimme, zum ersten Mal in einer Sinfonie Mahlers erklingend,
stemmt (mit einem ausdrücklich unbegleiteten Einsatz)
das tonale Gefüge des gesamten Werkes mit Kraft und Entschiedenheit
um einen Halbton nach oben, aus der so lang ertragenen öden
c-moll-Sphäre in etwas ganz Neues, ein heimatlich leuchtendes Des-Dur.
Bei aller Verletzlichkeit mit der unwiderstehlichen Kraft des kindlichen Glaubens.
Damit ist das vorangehende b-moll zunächst einmal a-posteriori vermittelt und verheilt.
Mit dem attaca einsetzenden Finale aber wird die Wunde wieder aufgerissen, es erklingt genau wie in Satz drei der Ekel-Klang PA gefolgt von der Akkordkette PB. Dazu in den Pos/Trp ein neues Motiv PC, einfache Brechungen des b-moll-Klanges, endend in der auftaktig-aufsteigenden Signalquarte. (Diese war ja schon im ersten Satz der Sinfonie deutlich thematisch, T.6, T.20, T.41; dann auch wieder am Beginn des Scherzos, T.1 in der Pk, etc.)
Genau wie bei PA.1 folgt hier eine C-Dur-Fläche: Das im dritten Satz deutliche NA ist hier nur noch schattenhaft in der Schleifer-Triller-Figur in den Bässen präsent; von der Vl-Girlande (= bereits abgeschliffene Version des Trompetengesanges NC in den Vl ab T.501) sind nur die ersten drei Noten übriggeblieben. All dies entwickelnde Variation im Vergleich zum Scherzo, die hier mit einer semantischen Konnotation von "unscharfer Erinnerung" oder "zeitlichem Abstand" verbunden werden kann.
Deutlich wie damals aber erklingen die Jenseitsfanfaren QA'.3 und QA.4.
Dazu das neue Motiv QC, welches das mit wichtigste Material des Chorfinales werden
wird: Eine fallendes Dreiklangsintervall (ein einziges Mal: eine Septime)
gefolgt (und nachträglich vermittelt) von einer steigenden
Skala.
13
Wir bezeichnen die einzelnen Varianten durch die Stufen ihres ersten und letzten
Tones. Genauere Betrachtungen zu den Parametern der Binnenstruktur, deren Entwicklung
und zu unserem Bezeichungssystem weiter unten, sobald dieses Motiv sich zu entfalten
beginnt, siehe Abschnitt 2.9. Hier zunächst nur eine kurze Charakteristik der ersten
beiden Varianten, die schon den Grundstein legt für alle folgenden Entwicklungen:
In T.31 erklingt die Variante q55: sie springt eine Quinte nach unten und
weist eine Überbindung auf zwischen den beiden Takten.
Diese bewirkt, dass die aufsteigende
Skala nur vier Schritte macht, also genau wieder auf dem Anfangston endet.
Mit diesem beginnt dann das zweite QC-Motiv.
Dieses ist Variante q57. Sie hat die
Überbindung nicht, erreicht den Anfangston also schon einen Anschlag
früher, auf ihrer vorletzen, schwachen Zeit, und
überschreitet ihn folglich mit der nächsten Eins. Diese Überschreitung wird
noch übertrieben durch eine Sprung in den "Vorhalt" 7-6.
Ist dies auch nur der kleinst-mögliche Sprung, eine Terz, so
ist es doch der ersten Aufwärts-Sprung in der ganzen Gestalt, und
dazu noch in einen agressiv reibenden Klang hinein.
Auf diesem Ton setzt dann QB ein. Die verschiedenen Varianten genau dieser zwei Taktübergänge haben Scharnierfunktion für die Architektur des gesamten Satzes.
Die zeitliche Reihenfolge der Einsätze ist beim Material P und Q identisch, insoweit das neue Material zwischen die bereits bekannten eingefügt wird; beide Male empfinden wir deutlich unser A-x-(B+A)-Prinzip, (die Zählung aus dem Artikel "Ein formales Grundprinzip in Mahlers Zweiter Sinfonie" fortsetzend also sein Auftreten --13 und --14):
Scherzo: PA-PB | Finale: PA-PC-PB |
Scherzo: QA'-(QB+QA) | Finale: QA'-QC-QC-(QB+QA) |
Genau wie am Ende von Satz drei bilden QB+QA wieder einen Kontrapunkt: T.33 hier entspricht Scherzo T.511-512.
Erst zum Schluss des Orchesterteiles, kurz vor dem "Großen Appell" und dem Choreinsatz werden QC und QB wieder auftreten, dann in die verschiedensten Varianten entwickelt werden und zunehmend den gesamten Satz dominieren, siehe Abschnitt 2.9.
Da wird es sich dann aber bald herausstellen, dass die ab T.30 erklingende Abfolge
zu hören ist als
QA'-QC-(QB+QA) = QA'-[(QC-QB)+QA].
Die vertikale Verbindung QA+QB, die aus dem Scherzo schon bekannt ist, wird verschwinden und im nachhinein schwächer aufzufassen sein als die neue horizontale Verbindung QC-QB. Diese bildet als Ganze nämlich (über die lokalen unterschiedlichen Parameter der Varianten hinaus) eine thematische Gestalt (cf. Hrn ab T.31 QC-QC-QB), die man als "heimliches Hauptthema" ("HHT") der ganzen Chorhälfte des Finales bezeichnen kann.
Es wird sich ferner (am Ende des Allegro-Teiles) herausstellen, dass QC schon aus dem ersten Satz bekannt ist, wenn auch in einer hier erst noch zu erreichenden, sehr anders anmutenden Gestalt.
In auffälligem Gegensatz zu den stark variierten anderen Bestandteilen NA, NC, etc.,
erklingt die ganze Q-Gruppe exakt wie im Scherzo:
Die zweite Stimme der Fanfare QA bringt beidemale
die charakteristische Hornquint, (e'+c')-(d'+g). Der Abstand beide
Auftreten ist auch exakt gleich, man lese die punktierte Viertel im Scherzo
entsprechend der Halben im Finale.
Notabene: zwischen den letzten Noten von QA und QB herrschen deutliche
Oktavparallelen.
14
Ein kleines Moment von Variation darf aber auch hier nicht fehlen: im Scherzo
herrschten sogar Einklangs-Parallelen zw. Horn und Vl1, hier Oktaven zwischen
Trp und Hrn, letztere in sich noch oktaviert: Als würden die Parallelführungen
stufenweise an Deutlichkeit gewinnen.
Danach verebbt diese C-Dur-Fläche.
Im vorangehenden Satz wurde als neues Medium überraschend die menschliche Stimme eingeführt. Dies gleich in Verbindung mit einer weiteren, neuen Dimension kompositorischer Gestaltung: dem Raum: Die choralartig antwortenden Instrumente sollen "neben einander, am Besten im Hintergrunde des Orchesterraumes aufgestellt werden", und das für gerade mal elf Takte. 15
Hier nun wird dieses dort keimhaft angelegte Verhältnis verheißungsvoll umgekehrt: Erst erklingt der Raum, die Stimme wird schon noch folgen, -- allerdings erst ca. 430 Takte später.
Während steigende Quarte und fallende Quinte in PC und QC deutlich als neu behauptet werden, kommen nun rufende Hörner aus der Ferne mit der Synthese dieser beiden: der steigenden Quinte. Und dies "in möglichst großer Anzahl sehr stark geblasen, und in weiter Entfernung aufgestellt."
Die Quinte ist das Naturintervall schlechthin. Als solches ist es hier auch gemeint, die röhrenden Hörner könnten auch "Stier-Hörner" sein, die würden dieses Intervall so eben noch hinkriegen! Ja, es reicht ein Gartenschlauch!
Nach g-c und g+d ertönt die Quinte hier als f-c, also ein plötzlicher Schritt in die Subdominante. Das abschliessende g-eins wäre der neunte Partialton, und der Grundton das Kontra-F:
Diese wenigen Takte sind eine fundamental wichtige Stelle für die Architektur und die Aussage des ganzen Satzes, von fremdartiger Schönheit und geheimnisvoller Folgerichtigkeit, und verdienen genaues Hinhören und -sehen.
Zunächst einmal dominiert die Spannung dieser offenen None, der unaufgelösten Nebennote: Es mutet an wie eine Frage, ob oder wann denn das g-eins zum f-eins zurückkehren wolle/könne/dürfe/müsse.
Motiv RB ist eine Kette von Achteltriolen, die auf diese Frage in mehrfacher
Hinsicht zu antworten scheint:
(a)
Zunächst bewirkt das in RA von den Fern-Hörnern aufgespannte Quintenfeld
klein-f--c-eins--g-eins eine Dialektik zwischen "natürlich", da ja so deutlich aus
dem Naturtonspektrum entnommen, versus "unerlöst", da funktionalharmonisch
sperrig.
16
Dies beantworten die ersten zwei Töne von RB mit einem Quartenfeld:
g-eins--c-zwei--f-zwei.
(b)
Damit ist das g-eins zum f zurückgekehrt, aber in der "falschen Oktavlage".
Der Schritt in die Subdominante wird gleich mit zwei weiteren Schritten wiederholt
und verstärkt:
(c) Es erklingt in einer Hintergrundstimme das as-eins, die Subdominante ist also
die in moll!
(d) Gleich das zweite Viertel schreitet nach b-moll, in die Subdominante dieser
moll-Subdominanten.
Die Folge in Vierteln f-des-c (siehe Analysezeile in obigem Exzerpt) ist eine harmonische Grundformel: der berühmte Unter-Terz-Vorhalt, der auch den Anfang der Df des ersten Satzes von Erster und Neunter Sinfonie (beidemale zweckmäßigerweise zeitlich sehr viel ausgedehnter) bestimmt. 17
Diese Folge erscheint hier sequenziert: Mit ihrem zweiten Takt geht die Oboenmelodie
zum as-eins, dem Ton, den das Begleitstimmen-Horn im Vorgängertakt brachte und hier
wieder bringt. Im Horn fällt er wie zuvor zum f, die Oboe löst ihn aber auf wie
zuvor des-c, also zum g.
Zusammen mit dem anscheinend unvermittelt auf der Eins hinzugetretenen es entsteht
hier ein deutlicher Terzknoten
18
es+f+g, siehe Analysezeile in obigem Notenauszug.
Das c-zwei tritt, als Auflösung der ersten Unterterzung, zweimal auf einem
starken Achtel auf; danach zweimal auf dem zweiten Achtel.
Das f-eins, das mit dem vorletzten Achtel des ersten Oboentaktes
endlich wieder erreicht wird, steht erst nur auf einem schwachen Achtel,
dem zweiten, wandert
dann durch Phasenverschiebung und Verkürzung der Folge f-g-as-c zu f-g-c
auf das dritte Achtel, und steht erst beim dritten Mal (Takt zwei auf Drei)
auf starker Zeit, einem vollen Viertel, ja, einer Halben.
Hier erst ist die Nebennote des Hornes aus T.46, die None g-eins,
aufgelöst. Dies empfindet man deutlich. Zusätzlich, zur Verdeutlichung, ändert sich
die Motivik, nach zwei Vierteln Dreiklangsbrechung und drei Vierteln Aufwärts-Skala
kommt die Abwärts-Skala neu hinzu: Erst die Diminution der Auflösungsfolge as-g, aus
dem Mittelgrund in den Vordergrund geholt, und dann deren Erweiterung zum
vollständigen Tetrachord b-as-g-f. Dies ist eine deutliche Kadenz auf die Eins des
Oboentaktes drei. Diese erweitert das Quartenfeld g-c-f vom Anfang in subdominante
Richtung, zum c-f-b, das sich in den Rahmentönen abzeichnet.
Abgeschwächt wird diese Kadenz allerdings durch das eintretende des,
also eine Art "Trugschluss" in einen Subdominantklang. Dieser ist,
da das es weiterklingt, ebenfalls ein Terzknoten des+es+f, Echo auf
den im Takt davor.
Ein Viertel später, wenn die Melodie nun, die Triolen zu reinen Nebennoten
reduziert, ansteigend das g berührt, werden beide sogar kombiniert zum Quartknoten
des+es+f+g. Mit dem Verschwinden des es (im Vordergrund geht es zum f,
in Wirklichkeit aber wahrscheinlich zum des) wird dieser vereinfacht zu
einer regulären Subdominante mit Sixte ajoutée, die zur Dominante C-Dur geht.
Viel wichtigere Rolle des hinzutretenden des aber ist, das in Takt zuvor hinzutretende es als Teil eines übergeordneten Stufenganges in Ganzen zu erklären: f-es-des-c ist die taktweise Fortschreitung, die das gesamte Oboenmotiv trägt, zusammenhält, ja, hervorbringt. (Erwähnter Tetrachord in Achteln b-as-g-f kann als dessen diminuitiertes Echo gehört werden.)
Der von den zu regelmäßigen Nebennoten normalisierten Triolen vollzogenen Aufstieg zu diesem C-Dur über den ganzen Takt ist ein Echo auf die allererste Quinte der Fern-Hörner, nun aufgefüllt und eine Oktave höher.
Mit dem erreichten C-Dur setzt die Jenseitsfanfare QA wieder ein. Der Ton c hat im letzten Takt beredt geschwiegen, c-eins ist gar seit RB nur ein einziges Mal aufgetreten! Dem entspricht die Variantenbildung, dass im Auftakt jetzt g statt c klingt. Diese ist aus harmonischen Gründen nötig, wegen seiner Einbettung in das b-moll-5+6.
Sie erlaubt aber jetzt auch eine erste (und einzige) Engführung und damit verbunden einen ersten Oktav-Wechsel des Motivs: QA.6 erklingt bereits nur einen Takt später, eine Oktave tiefer. Damit machen die QA-Motive die erwähnte Aufwärtsoktavierung der Ur-Quinte f-c (durch den Oboen-Gang) explizit rückgängig.
Ausserdem ist damit ganz nebenbei und unauffällig eine Dur-Sexte als Überschwang-Auftakt eingeführt.
In der zweiten Halben von QA.5 klingt der Quintakkord c+g+d. Entsprechend der Erweiterung des Quartenfeldes zuvor (g-c-f zu c-f-b) ist dies eine des Quintfeldes des Anfangs (f-c-g zu c-g-d), nun sogar mit beibehaltener Oktavlage und im Vordergrund physisch direkt exprimiert.
Nach dieser komplex-vermittelnden Stelle folgt (darf folgen) nur noch einfach gereihtes lineares Zerbröseln:
Das Ganze endet also, etwas überraschend, in der doch schon so lange ausgereizten Grundtonart der gesamten Sinfonie, in c-moll. Der gesamte gewaltige motivische und kontrapunktische Aufwand, die ganze Vermittlungsarbeit, einschließlich dem Alt-Solo im Satz zuvor, bleibt zunächst fruchtlos.
In As-Dur setzt nun Thema S, das eigentliche "Choralthema" ein. Es beginnt
mit einem programmatischen Zitat, den ersten vier so überaus prägnanten Noten des
Dies Irae.
Diese eröffnen zwei erste Choralzeilen SA von acht Takten. Dazu eine schreitende
Pizzicato-Begleitung.
19
(Die Melodie erklang zum ersten Mal zum
Durchführungs-Höhepunkt des ersten Satzes, der als Reprise im
Allegro-Teil fast notengetreu zitiert werden wird, s.u. Abschnitt 2.7.)
Der Klang ist der eines "synthetischen Instrumentes", von allen
hohen Holzbläser je einer, bemüht um Abstraktheit und Objektivität.
Mit der "dritten Zeile" beginnt SB, die eigentlich gemeinte, neu komponierte Choralmelodie; ausschließlich diese wird später von Chor gesungen werden, also mit Text versehen. Sie hebt an mit der Folge f-g-f, also genau der Nebennotenbewegung, die mit dem allerersten Fern-Ruf RA noch unvollendet geblieben ist. Die Beziehung dazu wird deutlich erfahrbar durch den Wechsel der Pizzicato-Begleitung zu Triolen, also RB wieder aufnehmend (Das erste Viertel mit Auftakt ist notengetreu mit deutlicher Signalwirkung gleich RB, danach verflacht es zu RB*), und durch den Wechsel zurück ins Blech, zum Posaunen-Solo.
Die folgende Halb-Zeile (später auf "ja-a a-auf-er-stehn") bringt einen sich beruhigenden Rhythmus Achtel-Achtel-|-Viertel-Viertel-Halbe, -- wieder ein Beweis, dass der "negative Rhythmus", der auf der Eins die schnelleren Werte bringt, dann und nur dann gut ist, wenn vor dem Taktstrich die schnelleren Werte in "positiver Anordnung" ihn vorbereiteten und das Ganze runden (cf. [lor, , S.107]).
Während der Melodieverlauf gleichmäßig zwischen As-Dur und f-moll schwankt, wendet er sich am Schluss deutlich nach f-moll. Mit dem "überschwänglichen Oktavaufschwung" zu T.78, den wir als Qx bezeichnen wollen, wird wieder eine Klangfläche erreicht (hier mit ihrer erweiterten Wiederholung dargestellt):
Es liegt der terzlose Klang F+C, die Hörner und Holzbläser bringen triolische Fanfaren. Diese sind einerseits "neu", und werden im folgenden als QD bezeichnet. Charakteristisch für sie sind die "gehaltenen Viertel", -- die langen Noten in ihrem Rhythmus sollen noch etwas verlängert werden, dadurch ensteht erneut ein "Natur-Eindruck", oder der eines Posthorn-Signales. Allemal wieder etwas Außermusikalisches.
Dieses Motiv wird einerseits behauptet, präsentiert und ausstaffiert als "neu", ist andererseits aber ebenso fraglos Synthese-Ergebnis:
Gerade derartige mehrfache Verwandschaften sind es, die einen schnell den motivischen Überblick verlieren und alles Gehörte "alt und doch so neu" anmuten lassen, da ja dennoch bewußt gesetzte Eigenheiten (hier: die "gehaltenene Viertel") all diesen Syntheseeigenschaften zum Trotze die Neuheit des Motivs explizit zu behaupten scheinen.
Die Harmonik wechselt zur Doppelfunktion F+C+G, immernoch ohne Terz: Im Bass liegt weiter die Tonika F+C, in der hohen Lage die Dominante C+G., QD.2 erscheint als tonale Beantwortung: Auftakt c-f wird zu c'-g'; obere Nebennote g wird zu a. Da beides, Fanfare und Doppelfunktion charakteristisch sind, nennen wir diesen Formteil "Fanfaren-Doppelfunktions-Fläche" FDF.
Hier spielt die Komposition mit der fundamentalen prae-künstlerischen
physikalischen Eigenschaft des syntonischen Kommas:
In Takt 78 ist die Nebennote klein-g in QD in den Hörnern
natürlicherweise die None des F-Klanges, die Quinte seiner Quinte C.
Im nächsten Takt wandert die Harmonik eine Quinte nach oben, in
der Melodik aber nur die Anschläge 2,3,4,5 einen Ganzton nach oben.
20
Die Nebennote, nun a, könnte wiederum als Quinte der Quinte (nun von der Quinte C)
gehört werden. Im temperierten System aber entsprechen vier Quinten, unter
Ausgleich des syntonischen Kommas, der großen Terz, sodass hier in einem
"Kurzschluss" die Dur-Terz des Ausgangs-F gehört werden wird.
Wieder einmal wird von Mahler ein Natur-Phänomen wird in das musikalische Werk hineingenommen und im Nachhinein semantisiert (cf. [mahlernatur]). Auf der Folie des terzlosen Quintklanges und der folgenden Doppelfunktion wird das moll-Geschlecht der Grundtonart erst vergessen, dann über die Nebennoten auf natürlich erscheinende Weise ins Dur verkehrt, -- einerseits deutlich den harmonischen Raum wechselt, andererseits nicht als Bruch sondern als naturgemäße Erweiterung erlebt.
Nach schon vier Takten (zweimal erklingt ganz QD, dann viermal halbiert, ein zweites
Mal der Aufschwung Qx) führen die in den HBl einsetzenden RB-Triolen über die
moll-Subdominante zurück nach f-moll. Dazu erklingt eine akkordische,
choralmäßig-misterioso anmutenden Grundierung in den Posaunen, die die
Nebennotenbewegung aus RA mit c-des-c beantwortet, also diminuiert zu Vierteln und in
moll (RAdim,min).
Und zum ersten Mal in einer moll-Variante das bisher so unscheinbare QB.3. Am Schluss
setzt RA wieder ein, die Hörner in der Ferne.
Die Folge RA-RB-(RCa-RCb-RCc-RCd) wird nun als Folge ((RA-RA-RA)+RB)-(RCa-RCb-RCc-RCd) als Ganze wiederholt: Triolen und Hornrufe erklingen gleichzeitig, aus dem Orchester und aus der Ferne. Diesmal ist es, als hätten die Fernhörer vom Choral SB gelernt: die vollständige Nebennotenbewegung f-g-f erklingt zweimal. Vor-musikalischer Natur-Ruf wird zunehmend gezähmt und kultiviert. Da der triolische Auftakt für RA (= Ruf) typisch ist, die Zurückkehr der Nebennote allerdings für SB (=Choral), liegt hier also eine Mischform "RA/SB" vor. Die Übersicht in Abschnitt 3.4 zeigt alle Auftritte von Ruf und Nebennote und zeigt deutlich, wie genau und zurückhaltend diese disponiert sind. (Besonders, wie langsam sich die Menge der Transpositionen der Anfangstöne entwickelt, und die Arten der Auftakte.)
Die Gleichzeitigkeit von RA und RB, Ruf der Fern-Hörner und Triolen der Hbl, kann im Gegensatz zum Nacheinander bei der Stelle davor gehört werden, und als ein (--15)tes Auftreten des variierten A-x-(B+A)-Prinzips.
Mit dem dritten Ruf folgt eine Art "tonale Comesform", diese allerdings wieder offen bleibend, mit Unterstützung von Trp bis zum f'' steigend und dort verklingend.
Die Zerbröselung RCa-b-c-d folgt in gleicher Anordnung wie zuvor, diesmal auf f statt auf c endend.
Nun ein weiterer Schritt in die Subdominante, nach es-moll, neues Material (=U) 21 und neue Satzweise: Eine einstimmige Melodie, "klagend", (=UA), dazu sich langsam chromatisch nach oben quälende Käuzchenrufe (=Ub) und Tremolofläche(=Uc). Charakteristisch ist jeweils die kleine Sekunde, in UA abwärts, in Ub aufwärts, dort als die engst-mögliche Stauchung und emotionales Gegenbild zum überschwänglichen Auftakt Qx.
Trotz derm klanglich gut nachvollziehbaren, ja sogar den Eindruck dominierenden enharmonischen Umdeutungen, steht am Ende nur die mehrfach wiederholte Seufzersekunde des-c, also zum Anfang ges-g gerade mal eine Quinte hochgeschraubt. Wiedermal vergeblicher Aufwand!
Die hohe absolute Lage der letzten Phasen von Ux, das b-drei und b-vier, erweckt unmerklich Erinnerungen an das singuläre b-vier des anfänglichen Schrei-Akkordes PA. Der Schrei hallt nach.
Das letzte, am Ende so oft wiederholte Intervall des-c (~Anfang von UA) wird
zum Anfang der Wiederholung des Teiles davor, alles durchaus aufgeblähter.
Zunächst der Choral SA+SB, mit dem Dies Irae des-c-des-b beginnend,
in Des-Dur, in fetten Akkorden gesetzt (hier mit einer späteren Parallestelle):
Die Harmonisierung ist zu Beginn auffallend kunstlos und schematisch. Einige Details aber sind bemerkenswert und für die weitere Entwicklung keimhaft:
(a) Es treten fast ausschließlich Dreiklänge in Grundstellung auf.
Alle anderen Klänge sind im Notenauszug bezeichnet: vier Sexktakkorde,
zwei Septakkorde, zwei Quart-Durchgänge und ein Quart-Vorhalt.
(b) Von den Dreiklängen fehlt einigen die Terz.
(c) Fast jede Fortschreitung enthält Quint- und Oktavparallelen.
Die erste Choralzeile (oder "Halbzeile"?) wendet sich bald von Des nach Ges-Dur, ces ersetzt c. Bis dahin ein einziger Sextakkord (bei x1, Dauer nur halb so lang wie die Dreiklänge), und im Abschluss ein Dominantseptakkord (bei x2).
Sofort danach, erster Akkord der zweiten (Halb-)Zeile, ist aber eine "in der Luft hängende" Dominante nach f-moll als Sextakkord (x3). Schritt also in die Gegenrichtung: g ersetzt ges. Auf diese folgt "fälschlicherweise" die Subdominante, sodass f-moll hier mit einer "doppelten Rückung" (vor und nach dem Sextakkord) eindeutig und schnittartig behauptet wird. Beide Klänge lösen sich zwei Akkorde später auf nach f-moll als neuer Tonika, sind also a posteriori durchaus überzeugend vermittelt. Auch hier nur Grundstellungen, und nur ein einziger kleiner Durchgang, genau diese Tonika markierend und als Stützpfeiler für die Beschleunigung auf Viertel nutzend.
Die Definition der Stimmen erfolgt zunächst völlig schematisch: die aufsteigend
sortierten Tonhöhen werden zugeteilt BTb+Kfg, Pos4, Pos3, Pos2, Pos1, auch bei
den wenigen Verdoppelungen.
In T.146 ab x2 eine erste Stimmkreuzung (die einzige andere bei x4):
Akkordton-Austausch zwischen Pos2 und 3,
ausdrücklich um eine weitere Quintparallele (Pos2 zum Bass) herbeizuführen.
Danach wieder ausschließlich Dreiklänge in Grundstellung.
Am Ende der zweiten (Halb-)Zeile T.150 Halbschluss nach C, ohne jede Terz, aber mit gleich zwei überdeutlichen Quintparallelen davor, und mit der deutlichen Anmutung von c-moll. Die ganze Strecke davor wiederum ausschließlich Grundstellungen von Dreiklängen.
Beim Übergang von SA nach SB wird nur kurz, für die Dauer eines Taktes, die Oberstimme der Pizzicato-Begleitung der Vorgänger-Stelle aufgenommen, in Oktaven auf c, c' und c''. Diese bringt als letzte Töne die im Blech fehlenden Terzen, erst moll, dann Dur mit Dominantfunktion zum f-moll, mit dem dann SB einsetzt, der Nebennoten-Choral. Diese Scharnierstelle ist also dadurch schon deutlich markiert.
Der Auftakt im Blech fällt weg, was diesen Pizzicato-Kontrapunkt noch aufwertet. (Der Auftakt erschien bei der Vorgängerstelle ja doppelt, in den Pos/SB und im Kontrapunkt RB, in Oktavparallelen; ihn hier wegzulassen kann auch als "Aufwiegung" oder Dislokation dieser Verdoppelung empfunden werden!)
Dieser Übergang wurde vorher zusätzlich durch den Wechsel zu Triolen im Pizzicato signalisiert (also durch Einsetzen von RB-RB*). Dies erfolgt hier nicht, der Kontrapunkt schweigt im nächsten Takt wieder (der Choral ist ja in sich jetzt "mehrstimmig") und wird hier vertreten duch einen Beckenschlag und ein aus dessen Rauschen übrigbleibende, die Wahrnehmung leicht täuschende ppp Liegestimme, c-drei und c-vier im Vl-Tremolo, mit Dämpfer, eh kaum hörbar und bald "gänzlich verschwindend". 22
Der Kopf von SB ist ebenfalls terzlos! Obwohl der Bass den "ordinären Kadenzschritt" f-c-f ausführt, und die Oberstimme f-g-f, bleibt alles ohne Terz und von fahler Unterbestimmtheit. Es erklingt eine deutliche Lücke, die erst am Ende des Chorteiles mit überwältigender Wirkung bedeutungsvoll geschlossen werden wird, siehe wieder die Zusammenstellung in Abschnitt 3.4.
Die nächste Zeile (/Halbzeile) c-es-|-as-g-f-es (später auf "ja-a a-auf-er-stehn") treibt die Sparsamkeit noch weiter: als Gegenstimme klingt durchgängig nur das c. Zwar rhythmisiert wie der Rest, aber doch keinesfalls eine "Stimme" zu nennen, -- halt eine "Liege-Ton".
Dann kommen mit demselben Achtelauftakt die Trp dazu. Wieder ausschließlich Grunddreiklänge, bis auf die letzten anderthalb Takte.
Der zweite Trp-Akkord in T.155 ist es-moll. Dies bedeutet mehreres:
Das es-moll ist also hier ein deutlicher Schritt, aber nicht voran, sondern zurück, gleichermaßen überraschend wie heimatlich; die Vermollung, die Tragik, das Verhängnis, sie erscheinen vertraut.
Noch einen Schritt weiter in der Analogie zum Anfang, und es müsste der Ton ces kommen, der Schritt nach Ges-Dur. Tatsächlich ist die Harmonik der folgenden vier Viertel ein beschleunigtes Dual zum Ablauf der vier Halben ab x3: C-b-As-f wird zu C-b-as-F. Oben ging die Kadenz nach f-moll, hier nach b-moll, entsprechend der heimgekehrten Tonalität.
Der oben so schnitthaft einsetzende C-Dur-Klang war ja als Dominaten zu f-moll im Nachhinein vermittelt. Hier nun ist er Doppeldominante, das folgende as-moll (logische Verlängerung des so schnitthaft einsetzenden es-moll) die auswiegenden doppelte Subdominante. Der Ton ces erscheint also tatsächlich, allerdings nicht wie am Beginn nach es/Ges verschiebend, sondern nur im Rahmen dieser ss.
Nach dem b-moll sinkt der gesamte Satz, Außenstimmen und Harmonik, in Terzen und Quinten weiter steil abwärts, dies aber leicht verschoben:
T.157 Melodie des b ges (Q) ces Bass b ges (Q) ces asas Harmonik b Ges Ces G |
Die beiden großen Terzen im Bass werden "real" sequenziert; während der erste Schritt durchaus erwartbar ist und vorbereitet durch die Kadenz nach Ges am Ende der ersten Zeile T.146, ist der Schritt Ces-Asas eine Mediantbildung, d.h. die Auslassung der vermittelnden Vermollung Ces-ces-Asas. Die Spannung der vollzogenen Schritte wird also, ausgehend von dem allerersten schnitthaften C-Dur T.147, systematisch gesteigert, bis sie mit der enharmonischen Umdeutung Asas-Dur=G-Dur kollabiert.
Auch hier wird die Instrumentation wieder in den Dienst der Verdeutlichung gestellt: Der gemeinsame Ton ges' von Ges-Dur und Ces-Dur wird in Trp3+4 übergebunden; zum Ausgleich geschieht zwischen Ces und G zwischen Pos 1 und 2 eine zweite, letzte Stimmkreuzung: das ces und das h werden explizit verschiedenen Instrumenten zugeteilt.
Zum Ausgleich für diese äußerst weit gespannten Schritte der letzten Takte geschieht nun, im selben Rhythmus und zunächst täuschend ähnlich, etwas sehr Einfaches: Es wird das G-Dur einfach nur auskomponiert, aber zum Ausgleich an der Oberfläche angereichert: Es erklingt eine Ganztonleiter abwärts in der Oberstimme und Chromatik aufwärts in der Unterstimme, wodurch endlich deren notorische Parallelführung aufgebrochen wird; es werden mit dem (neapolitanischen) Sextakkord f-as-des und dem verminderten Septakkord der Dominante D79 endlich auch die Akkordformen deutlich erweitert. Das ganze endet auf dem Quartvorhalt, als solcher ebenfalls eine neue klangliche Erscheinung, und deshalb ausreichend, dem G-Dur eine dominantische Farbe zu geben.
Das letztlich erreichte C war als Grundton bisher sorgsam ausgespart: Es erklang mit eindeutiger Dominantfunktion als jener Schnitt-Klang T.147, der all die harmonischen Entwicklungen in Bewegung setzte; dann terzlos, halb Dur, halb moll vor dem eindeutigen f-moll vom SB-Anfang (moll noch im Ohr wegen dem T.149 auf Eins).
Sein Erreichen am Ende erklingt aber deshalb so logisch-überzeugend, weil (mit der Kadenz nach F am SB-Anfang) der gesamte Choral nichts anderes ist als die Auskomponierung des doppelten Quintschrittes b-moll--f-moll---C-Dur, das b-moll vom allerersten Satzanfang herrührend. Das es auf der nächst-tieferen Diminuitions-Ebenen ganz im Gegenteil fast immer quintenmäßig abwärts geht, ist eine Maßnahme, die weitestmögliches Ausgreifen und weltumspannendes Wissen signalisieren soll.
Man beachte mit welchem starken Bemühen um Folgerichtigkeit und Logik der Satz den lang ausgehaltenen Quartvorhalt auf der Dominante instrumentiert. Die einzelnen Stimmen haben jeweils nur zwei Anschläge (s.o.), ergeben aber im Summenrhythmus eine höchst regelmäßige Beschleunigung, wobei, um keine Dauer mehr als einmal zu bringen, und so am Schluss wirklich auf dem Punkt zu landen, nur die Achtel-Dauer übersprungen werden muss:
Die Schlusskadenz der zweiten Choralhälfte (SB) eröffnet, genau wie beim ersten Mal,
mit dem Aufschwung-Motiv Qx eine "Fanfaren-Doppelfunktions-Fläche" FDF.
(Siehe Notenauszug oben bei der Vorgängerstelle.)
Nun eine Quinte höher, also erst C-Dur, dann C+G als Doppelfunktion,
und hier die Durterz auch nicht wie oben verschämt als Parallelbildung
einschmuggelnd, sondern gleich zu Beginn stolz reckend präsentiert!
Nach dem ersten Takt C-Dur folgt genau wie oben eine tonale Beantwortung in G.
Darein nun wie vorher Triolenketten, aber nicht durch ein markiert einsetzendes
RB, sondern aus dem QD herauslaufend, als ubiquitär aufgewiesen und so RB und QD
im nachhinein vermittelnd.
Dazu in T.165 wie zuvor QB.4, die Terzen-Kaskade,
nun aber in Dur, und deutlicher als "thematisch" gesetzt, fast triumphal.
Statt wie zuvor die Fernhörner setzen jetzt die Posauen mit dem Ruf-Thema ein, eher im Gestus der Choralmelodie SB als der offenen Form RA. Die Auftakte f-c' aus RA.1 (z.B. T.44) und c'-f' aus SB (T.70) werden hier "tonal beantwortet" mit g-c'. Der Einsatz ist zum ersten Mal deutlich in Dur und voll akkordisch. Im ersten Teil (T.166) wird die Nebennote zur Durchgangsnote, es ensteht eine aufsteigende Dreiton-Skala. Die sich ergebende Melodik ist wiederum ein "neues Motiv", das wir mit SCa bezeichnen, andererseits nichts als eine Umformung und Weiterführung der bisher exponierten ryhthmischen und diastematischen Grundelemente. Es wird nicht zuletzt dadurch weiter betont, dass unmittelbar anschließend zum ersten Mal in diesem Satze, als neuer Spitzenton das d-vier erreicht wird 23 , die obere Nebennote des Trillers auf c-vier in Vl und Fl. (Das c-vier selbst erklang schon wenige Takte vorher, in erwähntem Vl-Tremolo, wie eine vorweggenommene Ahnung.)
Das beantwortende Motiv (T.168) SCb
kann einerseits als wiederum figurierter Rücklauf der Durchgangsnotenfigur (e'-d'-c')
gehört werden, oder als Umkehrung der Nebennotenfigur (e'-d'-e'), jeweils in
Halben. Deshalb seine starke Wirkung. Es ist als Diminuitions-Bildung neu.
Die Folge SCa-Scb tritt insgesamt nur viermal auf (hier, dann im Allegro-Teil
T.243 und T.246, und im Chorfinale, wieder Adagio, T.497). Dabei bemerkenswerterweise
jedesmal in einer anderen Tonart: C-Dur, D-Dur, H-Dur, Ges-Dur , siehe
Abschnitt 3.4. Daraus folgt eine sehr starke Signal- und Bedeutungs-Wirkung.
(Es kann aber auch öfter wiedererkannt werden, wenn man es als Vorbild
für die Chormelodie T.484, T.526, etc. hört.)
Fast ebenso selten der aufstrebende Themenkopf SCa.
Hier wieder deutlich das Grundprinzip der entwickelnden Variation, das zwischen angeblich scharf getrennten Motiv-Sphären in der Tiefe des Mittelgrundes vermittelt: QD beim ersten Auftreten T.78 kombinierte Nebennote (große Sekunde, die erste vollständige Achteltriole heißt g-f-g) und Quinte. Die erste Variante hier in T.163 springt die Terz h an, die Triole heißt h-a-g. Die erste Halbierung T.165 bringt die Austerzung und die Hornquinten, damit heißt die Melodik c-d-e-d-c, und mit den ersten drei Tönen c-d-e ist dann SC bereits "vor-imitiert".
Am Ende des Teiles wird das genaue Gegenteil geschehen: Der akkordische Abwärtszug in den Hrn ab T.179 (als solcher eher nicht-motivisch, und evtl. als Vergrößerung o.e. taktweisen Stufenganges bei RB in T.48-51 zu hören) schließt ab T.181 mit f'-es'-d'-c' in breiten Halben; das folgende Kadenzmotiv RCb in den Pos lautet es'-des'-c in Achteln, und kann als dessen diminuiertes Echo gehört werden, -- wieder eine "Vermittelung im Nachhinein", dann als RCb ist es ja schon längst exponiert worden. (T.57, T.93).
Die unübertrefflich ergreifende Wirkung der Kadenz nach T.173 (Ziffer 12) beruht auf dem harmonisch-hierarchischen Effekt, dass hier statt dem vorgeblichen f-moll als Subdominante zum heroisch strahlenden C-Dur mit der Emphase eines "Augenöffners" das C-Dur zur bloßen Zwischendominante herabgestuft wird zur Subdominanten der herrschenden Grundtonart c-moll, die hier mit unwiderstehlicher Gewalt in weitausgreifender Fernbeziehung wiederkehrt und an Beschränktheit, Ende und Vergeblichkeit erinnert, siehe die ausführliche Diskussion in [mahler2umdeut] (in unserer allerersten online-Ausgabe!)
Gleichzeitig werden damit alle vier vorangehenden Choral-(Halb-)Zeilen
der Posaunen SCa-b T.166-173 nachträglich als eingeschoben abgewertet: Der
eigentliche, erwartete Choraleinsatz ist erst der in moll, ab T.175.
Da erklingt dann, zur zusätzlichen Steigerung, das erste und einzige
Mal SB synchron kombiniert mit dem Ruf RA. (Pos und Trp, siehe obigen Auszug T.175;
dies kann als A-x-(B+A)-Stelle (--16) gehört werden.)
Eine sequentielle Kombination liegt als Mischform RA/SB hingegen öfter vor, nämlich
immer dann wenn eine auftaktige Triole aus RA gefolgt wird von der vollständigen
Nebennoten-Melodie aus SB, siehe Abschnitt 3.4.
Es folgen, wieder ähnlich zur Vorgängerstelle, aber tonal komplementär, die ursprünglichen Nebennoten-Fassungen des Chorals, erst komplett, dann sequenziert, dann wieder mit offenem Ende, allerdings nun alles im ff, mit vollem Blech und nicht mehr in der Ferne.
Ende ist wieder das Kadenz-Motiv RCb mit deutlicher Signalwirkung, diesmal auf c, und die Abwärts-Chromatik RCc, in die RB*-Triolen-Hakenmotive hineingewandert, dadurch entsprechend langsamer absteigend und sich weiter verlangsamend.
Es folgt der zentrale Allegro-Teil. Da auf diesen analytisch genauer einzugehen hier kein Raum ist, sei (quasi zum Ausgleich) ein komplettes Exzerpt mitgeteilt:
Der Allegro-Teil ist in sich geschlossener und kann somit a posteriori den Eindruck erwecken, alles zuvor sei eher Einleitung gewesen als Substanz. Die von ihm deutlich bearbeiteten Materialien sind:
Die angewandten Verarbeitungstechniken sind
Der Allegro-Teil hat dadurch als Ganzer Eigenschaften von Durchführung, aber auch von eigenem Sonatensatz, mit Anklängen von Introduktion, Durchführung, deutlicher Reprisenwirkung, etc.
Im Sinne einer Introduktion wird (als Kp zu V) Motiv PC mit sich selbst enggeführt (was nicht so schwierig ist, da es sich um eine Dreiklangsbrechung handelt !-). In T.220 erscheint SA, das Dies Irae, in allegro-mäßig rhythmisierter Form in Halben und Vierteln (=SA*), mit der Anmutung einer Themen-Exposition, da mit seinem Eintreten die chromatisch-harmonische Entwicklung in ein solides F-Dur gefallen ist.
Dann geschieht ähnliche Umformung mit der Nebennoten-Zeile des Chorales, SB, die ab T.230 zur feschen Trompetenmelodie SB* wird. Im Sinne unseres A-(B+A)-Prinzips wird sie exponiert als SA*-(SB*+SA*), Anwendungsstelle --17, deutliches Expositionsverhalten.
Als dessen Nachsatz in T.238 die Variante SCa mit den aufstrebenden drei Tönen, also dem Themenkopf, wo die Nebennote zur Durchgangsnote wird, dies dreimal, die letzten Male gefolgt von SCb.2 und SCb.3, der charakteristischen und seltenen Kadenzfigur.
Es geht weiter in dieser Schichtigkeit: Streicherpunktierungen gegen Trompetenchoralzeilen; in T.259 dann deutliches Zitat von "O du fröhliche", auf den Text "himmlische Heere, jauchzen dir Ehre". Chromatisch hoch-rückende Harmonik bestärkt, in Verbindung mit weiteren Engführungen, den Durchführungscharakter des Folgenden.
In T.289 dann deutlicher Repriseneffekt: zunächst werden wieder einmal Kontrapunkte, der SA-Choral "Dies Irae" und das punktiert/triolische Thema V im Sinne von A-(B+A) kombiniert, Anwendungsstelle --18 dieser Grundformel. Für Thema V, den punktierten Marsch als Hauptthema des Allegro-Teiles, herrscht der unten beschriebene (siehe Abschnitt 2.9) Effekt der "finalen Exposition": dass ein Thema erst am Ende einer Entwicklungsreihe in der eigentlich gemeinten Grundgestalt erscheint.
Hier sind auch die Anklänge an den ersten Satz am deutlichsten: Die ganze Passage von T.289 bis vor 310, also 21 Takte, ist im Grunde eine Übernahme von T.270 bis 291 aus dem ersten Satz; hier eine Quinte höher als damals (zwischenzeitlich auch eine Quarte tiefer, um Steigerungseffekte zu erzielen).
Beide Stellen beginnen mit den vier Kopfnoten des Dies Irae. Im ersten Satz
erklang dieses als exzeptionelle Singularität, ein einziges Mal, wie ein Zitat, wie
ein "cantus firmus" in das kontrapunktische Gewusel des Hauptthemas eingebaut, "sehr
bestimmt" vorgetragen.
Hier bringt es, ganz im Gegenteil, Reprisen-Effekt, da es ja als eines der ersten
Materialien dieses Satzes (SA) ganz zu Beginn deutlich exponiert worden war, und im
Allegro-Teil bis hierhin mehrfach abgespalten und durchgeführt.
Es erklingt aber beidemale in notengetreu derselben Gestalt, der Kopf einstimmig,
dann harmonisiert; erst der vorletzte Akkord ist anders, und der letzte Melodieton
hier in höchster Emphase
nach oben umgebogen!
In der Mitte dieser Periode stand im ersten Satz ein Hauptmotiv aus dem dortigen
Hauptthema, zweimal erklingend; hier hingegen zweimal die Nebennotenbewegung aus dem
Choral SB (die logische Fortsetzung von SA!), in einer "mollsubdominant"-Variante
(siehe Abschnitt 3.4), kombiniert mit Thema V.
Thema V wird dadurch zweimal a-posteriori vermittelt:
im Sinne von A-x-(A+B) als Kontrasubjekt zu SB, und rhythmisch als Permutation
der Elemente des Hauptthemas aus dem ersten Satz, das es hier ja vertritt.
Die Stellvertretung hier und das Original dort dauern exakt gleich lange, also
auch die gesamte zitierte Periode! Auch die Harmonik macht einen ähnlichen
Schritt im Quintenzirkel abwärts: im ersten Satz von b-moll nach Ges-Dur (c wird zu ces);
hier von f-moll nach Des-Dur und ges-moll (g wird zu ges, dann
b wird zu heses).
Danach sind beide Stellen wieder identisch: es folgt ein Fanfarenkopf
in Halben (dort b-c-es; hier f-g-b). Dieser ist im ersten Satz eine
mehrfach erklingende Variante des Hauptthemas; hier im Finale kann er als eine
weitere Variation der aufstrebenden Variante des Choralkopfes SCa gehört werden,
nochmals optimistischer, die zweite
große Sekunde zur Terz spreizend.
24
(Diese Stelle steht übrigens im Finale eine Quarte tiefer als im ersten
Satz, wohl um den folgenden Höhepunkt, dann wieder eine Quinte höher, noch
strahlender wirken zu lassen.)
Beide Passagen enden mit dem breit strömenden QC, gefolgt zweimal von den Kopfnoten des Dies Irae in Vierteln und Achteln. 25 QC hat also tatsächlich im ersten Satz schon sein erstes wahres Auftreten; allerdings ist seine Gestalt am Beginn des Finales soweit von dieser hier entfernt, dass es dieses expliziten Zitates bedarf, den Zusammenhang nachvollziehbar zu machen. 26
Im ersten Satz stehen beide, Dies Irae und QC, singulär und unvermittelt da, waren seinerzeit wohl nur geahnter Keim zu der erst acht Jahre später möglichen Ausführung. Im Finale sind jedoch beide ubiquitär. Die Notentreue der Übernahme nimmt (abgesehen davon dass im Mittelteil ja ganz andere Materialien sich vertreten) über diese einundzwanzig Takte systematisch zu. Beides führt dazu, dass die Entsprechung für die ganze Passage wohl erst im Nachhinein als solche wahrgenommen werden wird.
Im ersten Satz ist diese Passage der Durchführungs-Höhepunkt, dem nach wenigen Takten Rf eine unmissverständliche Rp folgt. Hier nun folgt ebenfalls eine Rp, allerdings keine konventionelle, sondern schlicht ein Zurückspringen an den Aller-Anfang des Satzes, da aus dem dortigen "zweiten Schrei des Ekels" gut erkennbar die (inzwischen für das Allegro thematisch gewordene) Akkordbrechung PC mit deutlicher Reprisenwirkung gebracht wird, und aus dem Akkord PA (als dessen Minimum) die sich hart reibende Doppelfunktion übernommen wird (dort C-t.s.+b-moll, hier F-t.s.+DV:e-g-b-des).
Neu dazu kommt eine punktierte Variante des Dies-Irae-Kopfes SA**, was als eine leichte Erinnerung (--19) an das A-x-(B+A)-Prinzip gehört werden kann.
Im ersten Satz dauerte es vom ersten Auftreten des Dies Irae bis zu seinem letzten (also nach dieser "Tagesschau-Variante" von QC, diminuiert zu Vierteln und Achteltriolen in der Trp) gerade mal diese einundzwanzig Takte. Im Finale jedoch wurde es ja als SA in T.62 zum ersten Mal exponiert, sodass der ganze Prozess bis zu diesem Höhepunkt T.306 auch als gewaltige Augmentation der Verhältnisse aus dem ersten Satz gehört werden kann, und auch dadurch Zusammenhang gewinnt. --- Was im ersten Satz eine zitathafte Episode war, umspannt fast die ganze instrumentale Hälfte des Finales. In der Tat ist diese Stelle (außer den wenigen noch folgenden punktierten Fragmenten SA** als der Nachklang dieser Höhepunkt-Stelle) in beiden Sätzen das letzte Auftreten des Dies Irae.
Dann eine sehr aufgeblähte Wiederholung der "Glaube!"-Seufzer-Fläche U, eine Quinte tiefer beginnend. Dazu ein "feierndes Fernorchester", das Zitat der Situation in Lohengrin, zweiter Akt, erste Szene.
Die Seufzer-Floskeln gerinnen mehr und mehr zu thematischen/melodischen Gestalten; charakteristisch dafür, wie die sequenzierte Wiederholung der Achtel-Kreis-Figur zum thematischen Material aus dem SS des ersten Satzes zusammenwächst, vgl. T.352 hier mit T.51 dort.
Die Vorgängerstelle ging
von Ges-Dur/b-moll nach Des-Dur/f-moll, endete ausklingend, und
es folgte das "Dies Irae" SA, zwar in Akkorden, aber doch als pp-Echo.
Hier geht es nun von Ces-Dur/es-moll nach h-moll, endend aber im ff,
der wörtlichen Wiederaufnahme der Schrei-Fläche PA+PC-PB vom Anfang des Satzes,
einen Halbton höher:
Doppelfunktion Cis-t.s.+h-moll, dazu Dreiklangsbrechungen PC, h-moll, und
PB.3, die absteigende Akkordfolge.
Neu dazu wieder das SA**, das punktiert-diminuierte
Dies Irae. Mit diesem wird auf die Fläche vor der U-Wiederholung,
auf die Fläche am Ende der Allegro-Df Bezug genommen, und diese als vorläufig
erklärt, und als erst hier vollendet.
Dies sind nun wirklich die allerletzten Zuckungen des Dies Irae.
Der folgende Abschnitt T.418 bis T.447 ist wieder "flächig" gestaltet,
die leere Quinte des-as liegt in verschiedenen Registern ständig durch,
dazu kommen andere Liegetöne und eingebettete Motive.
Mit all dem bezieht er sich überdeutlich auf die Fläche am Beginn des Satzes ab T.26
als ihrem "Vorbild", -- Reprisenwirkung auf der nächsthöheren Ebene
der formalen Gestaltung.
Hier allerdings alles einen halben Ton höher: Des-Dur
statt C-Dur der Vorbild-Fläche.
Darin nun ähnlich wie im Vorbild die Jenseitsfanfaren (QC-QB)+QA.7: Die Engführungen werden allerdings noch weiter getrieben, und der so etablierte kontrapunktische Verband wird konstitutiv für das ganze Chorfinale:
Zunächst erklingt, ganz wie im Vorbild, die fallende Qinte als "Vorweg-Abspaltung"
des quasi hauptthematischen und nach der Exposition im Vorbild hier auch
erwarteten Motives QC.
27
Dann, ebenfalls wie im Vorbild, das Heimliche Hauptthema HHT,
etwas sehr Ähnliches wie die Folge QC-QC-QB, nun allerdings in einer Art
tonaler Beantwortung.
Diese Regel und die aus ihr folgenden Probleme sind jedem Lehrling der Fugenkunst
leidlich bekannt: bei der sog. "realen Beantwortung" werden die Tonhöhen eines Themas
für die Comes-Form allesamt schlicht eine Quinte nach oben transponiert. Bei der
"tonalen" jedoch tauscht man bestimmte Stufen gegenseitig aus: I wird zu V, und somit
auch V zu I, III wird zu VI und VI zu III, etc., jedenfalls zu Beginn des Themas. Als
Konsequenz ändern sich die Intervallverhältnisse.
Die Variante in T.421 nun ist eine solche tonale Beantwortung: Statt von der Quinte
in den Grundton fällt dieser "Comes" von der Oktav in die Quinte. Das für die
folgende Aufwärts-Skala zur Verfügung stehende Intervall ist folglich um eine Stufe
kleiner als in QC. Das erste Auftreten wählt schon die Variante ohne die
Überbindung (wie QC) und erreicht so auf völlig natürliche Weise die Terz, die Stufe
III als Zielton, und damit als Anfangston des zweiten Auftretens. Wir bezeichnen
diese Variante von QC mit
q83, oder auch QC(=q83),
wobei die Ziffern die Anfangs- und Ziel-Stufe des ganzen Motives bezeichnen,
also die Töne der zugrunde liegenden Tonleiter,
auf der Eins des ersten und dritten Taktes.
Ähnlich bezeichnen wir ggfls. die Start-Stufe des Motives QB. Bei dieser ( wie auch
bei der Messung des kontrapunktischen Abstandes zwischen QC und QB bei den folgenden
Engführungen) beziehen wir und allerdings auf die Eins von Takt zwei, da der erste
Takt beider Motive zu flexibel ist.
Die Originalfassung des HHT vom Beginn des Satzes heißt also in dieser Schreibweise
QC(=q55) - QC(=q57) - QB5
(Man sieht an den Ziffern deutlich, dass der Takt fünf der Gesamtstruktur von
Stufe 7 nach 5 überleitet, vom Ende QC zum Anfang QB.
Genau diese Überleitungen, Abwärtsbewegungen etc. können aber im Rahmen
erwähnter Flexibilität anders aussehen oder gar ganz fehlen.)
Im Gegensatz zu QC mit dem Quintfall, der ja die Terz überspringt, wird in q83
beim Abwärts-Intervall zum nächstgelegenen Dreiklangston gesprungen. Dies
wird nun zun neuen Prinzip all dieser Comes-Formen erhoben, und die direkt
anschließende Motivvariante (T.423) fällt von III zu I. Dies hat aber zur Folge, dass
der Rest des Motives unverändert wie in der Dux-Form (QC=q57) lautet. Auch dies ist
ein in der Fugentechnik durchaus üblicher, angestrebter und nützlicher Effekt: Die
Auswirkungen der tonalen Beantwortung sollen möglichst früh im Verlaufe des Themas
wieder "eingerenkt" werden. Hier hat das die Folgen, dass der Satz sich beruhigt und
dass alle Abweichungen (auch die noch kommende mit dem wichtigen q58) umso deutlicher
werden, auf der Folie einer notengetreuen (transponierte) Wiederholung der
Konstellation aus dem Vorbild. Diese Variante springt also genau wie QC.2 in die
Septime (auf der dann der Überleitungstakt nach QB beginnt), heiße also im folgenden
q37, die Gesamtfolge ist dann
q83 -- q37 -- QB5
Das allererste Auftreten der neuen Variante q83 wird gleich mit ihrer Augmentation kontrapunktiert. 28 Dies ist sowohl emanzipatorisch als auch anti-emanzipatorisch: es bewirkt eine deutliche Betonung der kontrapunktischen Faktur und erklärt sich so dem Hörer, es macht aber auch das kommende Geflecht dichter und schwerer zu durchschauen. Man könnte hier den Komponisten, entgegen seinem sonstigen Streben nach größtmöglicher Klarheit und Nachvollziehbarkeit, ein wenig dessen zeihen, was Adorno Wagnern vorwarf, die "Verdeckung der Produktionsweise durch das Produkt".
Folgend der Versprechung von "mehr Kontrapunkt" nun also zu der erwartungsgemäß erklingenden Jenseitsfanfare QA nun gleich zwei deutliche Gegenstimmen: QB, die Terzen-Kaskade, wie gehabt, aber nun in Augmentation, und QC in einer neuen Variante. Mit dem Ende der Augmentation (q83aug) und der abgespaltenen Quinte ist dieser Takt 426 sogar real fünfstimmig! Ein erstes absolutes Maximum der kontrapunktischen Disposition. Man vergleiche das Ganze mit der Vorbild-Stelle T.26ff in obenstehendem Notenbeispiel.
Erwähnter neuer Kontrapunkt ist die materialnotwendigerweise noch fehlende Variante von QC, nämlich die, die auf der Quinte beginnt. Gemäß dem neuen Prinzip (für alle "Comes-Formen") zum nächstgelegenen Dreiklangston zu fallen, ist hier wie bei q37 der Anfangssprung zur Terz geschrumpft.
Wie bei allen Varianten herrscht hier keine Überbindung, macht die Skala also fünf
Schritte aufwärts. Dies führt hier natürlicher- und
materialnotwendigerweise nach oben in die Oktave.
Diese Variante heißt also
q58.
Sie ist ein zentraler Angelpunkt der Architektur des ganzen Satzes:
Hier hat man überdeutlich die Empfindung, dass zum ersten Mal das Motiv QC eine
wirkliche Kadenz vollführt, in seiner "wahren Gestalt" auftritt. Diesen Effekt
nennen wir "finale Exposition", dass also ein Thema erst am Ende seiner Entwicklung
sein wahres Gesicht zeigt, die Fassung, die als ursprüngliche anmutet,
und/oder auf die alle anderen Varianten mit minimalem Aufwand,
auf das natürlichste bezogen werden können.
Wichtigstes Beispiel für diese Technik der "finalen Exposition" ist
der Variationensatz der Dankbaren Empfindungen eines Genesenden.
30
Dass diese Kadenz hier zu QA.7 und QBaug hinzutritt, als gehörte sie hier hin, mag
(stärker oder schwächer) als Wirkungsstelle (--20) unseres A-x-(B+A)-Prinzips
empfunden werden.
Auch meint man wegen dieser kleinen, unscheinbaren Kadenz, dass der gesamte bis
hierhin so groß und bunt angelegte Satz hier einen ersten End- und Zielpunkt
erreicht; das mit der ersten Note des Solo-Gesanges im Satz vier behauptete Des-Dur
ist hier erst als wahr, berechtigt und als solches bewiesen zu erleben.
Die systematisch weiter fortschreitenden Differenzierungen des QC-Motives bilden einen wichtigen Strang innerhalb der Architektur des Finales. Es gibt Klammerbildungen durch die Wiederholung von Varianten, oder durch ihre Seltenheit. All erklingenden Varianten von QC sind dargestellt in den Tabellen in Abschnitt 3.3. Diese bilden die Grundlage für die weitere Diskussion.
Die Zeilen der ersten Tabelle folgen, was QC und QB angeht, der klingenden Reihenfolge. Zusätzlich sind vorneweg verzeichnet die "einleitenden" Fanfaren QA, nicht unbedingt in zeitlich richtiger Position.
Die Spalten beschreiben die charakteristischen Parameter der Einsätze:
Die Anordnung in Spalten sollte die Regelmäßigkeit der "entwickelnden Variation"
dieser Parameter auf einen Blick gut erkennbar machen.
Die zweite Tabelle gibt für einzelnen Formen von QC die Kurzformel
(entsprechend den ersten beiden Stufenangaben aus obiger Tabelle)
und ihr erstes Auftreten,
und in Matrix-Form alle Stellen ihres Wiederauftretens.
(Notabene können u.U. auch leichte Abweichungen [Weglassen von Tönen,
Wechsel des Geschlechtes] immernoch als
"Wiederholung" klassifiziert werden; in den meisten Fällen liegt
aber "notengetreue" Transposition o.ä. vor.)
Durch diese Anordnung sollen die Klammer- und
Signalfunktionen (von Varianten wie T.421, T.744 etc.) noch deutlicher sichtbar
werden.
Alle weiteren Diskussionen von QB/QC beziehen sich auf diese Tabellen.
Man sieht sofort: die
Motiv-Variante q58 wird nur zwei Mal noch auftreten, nämlich im Chorteil, T.548
und T.717. Nur das allerletze Mal davon ist sie vollständig in demselben Instrument,
bei der "vierten Kadenz" nach Es-Dur, s.u., und ihr Zielpunkt dann durch den
Einsatz der Orgel markiert.
Welch Wunder der Synthese!
Ein bisschen schade ist nur, dass es hier zweimal passiert:
Es wird der gesamte Komplex q83-q37-(QB-QA+q58) wiederholt. Am Anfang (T.429) tritt
statt einer frei einsetzenden Augmentation nun QB9 als Kontrapunkt zu QC(=q83), als
logische Fortsetzung von QC(=q58). Damit bilden (a) q37-QB5 und q58-QB9 eine
Kanonstruktur, und (b) die kontrapunktische Kombination (QB5+q58), gerade neu
eingeführt, wird als (q83+QB9) wiederholt und beginnt sich zu verfestigen. QB und QC
sind seit Beginn des Satzes im HHT horizontal verbunden (QC-QC-QB); seit diesem
Scharnier hier sind sie es nun auch vertikal (QC+QB).
Unterschied zum ersten Mal ist, dass (QA+q58) einen Takt früher einsetzt ("Verfrühung"), was durch den Wegfall der Augmentation bei QB ausgeglichen wird. Die Einsatzabstände hier, regelmäßig alle zwei Takte, sind aber der weitaus häufigere Normalfall, und werden das ganze "Chor-Fugato" ab T.640 bestimmen. Der drei-taktige Abstand zu q58, T.426, ist seltene Ausnahme, und wird nur noch T.721 in Verbindung mit QC auftreten. 31
Dann endlich setzt, auf dem Zielpung des zweiten Auftretens unserer sensationell neuen Kadenz q58, T.434, eine alte Form von QC mit einem deutlichen "Reprisengestus" ein. Dabei findet in dreierlei Hinsicht Synthese statt:
(1) Es soll deutlich zum Ausgangspunkt zurückgekehrt werden, aber dennoch etwas
neues stehen. Dies wird erreicht, indem zum ersten Mal seit
Anfang der Quintsprung abwärts wieder aufgegriffen wird,
siehe Zeichen "5↓" in der Tabelle.
Dieses Motiv, so wird erwartet, soll auch auf der Quinte enden.
Andererseits aber hat die Variante die Überbindung nicht.
Um dennoch den Wiederholungs-Gestus des Anfangs, die Stufenfolge "q55" zu
erreichen, muss die Skala entsprechend "gequetscht" werden, -- es
muss eine Stufe eingeschoben werden, und damit
(materialnotwendigerweise) mindestens ein chromatischer Schritt.
(2) Diese Chromatisierung "infiziert" auch die Stufen davor, die sich so zum moll wenden. Auch damit wird erreicht, dass der Anfangs-Gestus deutlich wieder aufgenommen wird, und deutlich etwas anderes erklingt. Die Vermollung wirkt wie ein "veschwommenes Erinnern", und dennoch, in Verbindung mit der Kadenz auf dem ersten Ton, klingt "deutliche Entschiedenheit".
(3) Da schon das erste Motiv keine Überbindung hat, wird das zweite Motiv
(so auch alles andere beibehalten wird) nicht höher enden als das erste.
Es wird aber der Terzsprung aufwärts, der in q57 ja eine "Übersteigerung
des Überschießens" war, beibehalten.
Er führt nun dialektischer- (und materialnotwendiger-)weise nur in die Sexte,
also dahin, wo das anfängliche q57 ohne den Terzsprung gelandet wäre.
Als würde ein frühes Versprechen hier erst erfüllt oder Verfehlen korrigiert.
Die Tabellenspalten zeigen eindeutig die Logik im weiteren Auftreten dieser
alten Sieben und neu-gewonnenen Sechs.
Da das moll ein neuer, singulärer und charakteristischer Parameter dieser Varianten ist, heißen sie q55min und q56min.
Während bei der Vorbildstelle die Pathopoia mit einem glitzernden DV der Doppeldominante glänzte (T.34/45, Vl2), ist es hier als Ausweichung die Chromatik einer moll-Subdominanten, die harmonische Farbe hineinbringt.
Zu diesem neuen q55min tritt wiederum ein QB9min, entsprechend angepasst (siehe die Kp-Abstands-Angaben "⇙ 8o" der Tabelle), so dass der kontrapunktische Verband (QC+QB), in verschiedenen Varianten bis hierhin vorgestellt, sich als Normalfall zu etablieren scheint.
Es findet gleichsam ein Wechsel der kontrapunktischen Gewohnheiten statt:
Satz 3/T.509 | Finale/T.33 | T.426 | T.433 | T.435 |
QA.2 | QA.4 | QA.7 | QA.8 | (<--letztes Mal!) |
QB.1 | QB.2 | QB.6 | QB.7 | QBmin |
QC5 | QC5 | QCmin |
Diese Fläche ist außerdem Synthese, weil sie nicht nur auf QA.3/QA.4 (die allererste Fläche nach T.26) bezogen ist, sondern klanglich auch deutlich auf die QA.5/QA6 nach dem unmittelbar anschließenden ersten Ruf RA, in T.52: Die auftretenden Quint- und Quarttürmungen sind zwar in der funktionalharmonischen Interpretation nur Durchgangs- oder Doppelfunktions-Phänomene, klanglich aber durchaus von eigener Farbe. So sind zB. der sich in T.427 auf Zählzeit Drei sich ergebende Quintklang Hrn+Vl2+Trp+Vl1 = des'+as'+es''+b'', und in T.431 der Quartklang Vcl+Hrn+Fl+Vl1 = es'+as'+des''+ges'' genaue Echos der Quart- und Quintfelder der Vorbildstelle T.44, und eine gleichsam "entfaltete" Form der dort exponierten Terz- und Quartknoten (siehe Notenauszug oben). Wieder einmal erweist sich die Oboen-Antwort auf den allerersten Hornruf RA als wichtiger Keim.
Viel deutlicher als die Vorbild-Fläche zu Beginn des Satzes T.40 sinkt es hier hinab zu frostigen Nullpunkt: Hier verlöschen wirklich suzessive sämtliche Stimemn über dem Bass; dieser stieg dort sogar an, von kontra-C zu groß-C, hier sinkt er von groß-Des zum Kontra-Des.
Nun erst, endlich, nach über einer Stunde Ringen, scheint zum ersten Mal eine
wirklich neue tonale Stufe erreicht: Wir sind in fis-moll oder in
cis-phrygisch. Bezugston ist zwar cis, es erklingen allerdings die Tonklassen h und
d, nicht etwa his und dis.
Damals in f/c stehend, wiederholen sich nun einen Halbton höher
die Horn-Rufe aus der Ferne. (Die Hörner 7 bis 10 mussten für den Allegro-Teil sich ins
Orchester begeben, und ab T.252 wieder hinaus!)
Die Hornrufe RA ab T.43 laufen hier zweimal ab und bilden ein
Grundraster, das zunehmend dichter gefüllt wird.
Der erste Ablauf erklingt unverändert, als Ganzer, ungestört,
halt einen halben Ton höher.
So als würde eine Kombination mit der fernen Festmusik aus der "Lohengrin-Szene"
U.2 stattfinden, antwortet hier allerdings nicht die Oboe aus dem Orchester, sondern
die erste von vier Fern-Trompeten.
Dies auch mit dem Ruf cis-e, also einem sehr verhaltenen Intervall,
der kleinen Terz, die in die kleine Septe springt, das fis-moll als
vollgültige Tonika abschwächend, aber nicht vollständig negierend,
eher in ein leicht a-funktionales "natürlich-moll" umfärbend.
Dieses e'' ist mehr noch
das exakte Echo des Tones es', der beim RB.1 in T.49 im Hrn4
den Terzknoten bewirkte und den Abwärtszug begann. Hier wird deutlich nach
außen (und oben) gewendet, was damals nur unterschwelliger Keim des
Bewegungsprozesses war.
Im Orchester ist derweil aus der vorangehenden Fläche die grTr überiggeblieben. Der Antwort der Trp antwortet wiederum die Fl1, auch aus dem Orchester, was einen wahren Sturzbach an Trompetenfragmenten auslöst: aus verschiedensten Richtungen sollen die kanonischen Imitationen erklingen, ein "eco die eco" in sich selbst, und wieder ein natur-ähnlicher Vorgang. 32
Dem Flöteneinsatz ist explizit "wie eine Vogelstimme" vorgeschrieben.
Aber in Wahrheit gilt das auch schon für den Oboeneinsatz RB der Vorgängerstelle
T.48, ja, sogar für die hier nun wild schmetternden Trompeten: Ins Unheimliche
vergrößerte Vögel der Apokalypse, wie elektronisch synthetisiert von Oskar
Sala, wie Symbole von Stuka und Kamikaze, Vögel aus Stahl.
33
Darauf antwortet wieder die Flöte im Orchester, genauer: ein "synthetisches Instrument", welches aus großer Flöte und Piccolo ununterscheidbar zusammengesetzt ist. 34 Dies wieder mit einer Vogelstimme, in die überraschenderweise eine Dreiklangsbrechung in fis-moll integriert ist, dies eine typische Figur, die Oboisten und Flötisten eigentlich in d-moll beim Einstimmen des Orchesters benutzen! Wieder wird "außer-musikalische Musik" von Mahler in die Komposition hineingetragen. 35
Das Horn-Modell RA läuft nun ein zweites Mal ab, so als wären die beiden RA-Stellen vom Anfang, T.44 und T.84 näher an einander gerückt. Die Reaktionen und Unterbrechungen kommen aber schon nach den einzelnen Rufen, zerlegen es. Zuerst dieselbe Reihenfolge der Reaktionen, und fast dieselben Tonhöhen: Trp cis''&e'', für nur zwei Viertel, Picc a''&cis'''. Dann nach dem zweiten Hornruf Ähnliches, Trp. nun schon für fünf Viertel.
Und als endlich das Horn sich, entsprechend dem dritten Ruf T.46, zur Nebennote gis anschickt hinaufzustemmen, löst es in der Picc eine ganze kadenzartige Kaskade aus, die deutlich ein phrygisches cis-moll darstellt.
Es ensteht durch "Pedalisierung" aller Töne eine sich verdichtende Fläche:
Fern-Trp2 bringt die Folge cis''-dis'', als Echo auf das vorangehende
thematische fis'-gis'.
Dies wiederum löst in der Fl1 ein Echo von RA, eine Quint höher mit cis&gis aus,
was wiederum als imitation gis'-ais' in der Trp4 hervorruft.
Zusammen mit dem imaginären oder erinnerten e (cis-moll!) haben wir
also hier einen typischen "Mollsubdominantquintsextakkord", den
unverkennbar pathetischen, den mahnenden-ahnenden
"Lohengrin-II-Schluss", den Tristanakkord in der Umkehrung.
Wenn das e''' nun endlich tatsächlich erklingt, genau dann verstummt aber das ais, -- der Klang bleibt virtuell. Mit dem allerletzten Sechzehntel der Fl aber wird wieder ein a statt ais etabliert, und da immer noch cis+dis erklingt, ergibt sich deutlich der gleiche Akkord, eine Quinte tiefer (siehe das Analyse-System im folgenden Notenauszug. Diesmal fehlt das fis, aber das ist für die charakteristische Reibung ja nicht erforderlich und wird vom Gehör ergänzt.)
Mit der leeren Quinte cis+gis endet die rein orchestrale Einleitung des Finales. Diese wird in Achteln und Halben abwärts gebrochen, Rücklauf des initialen Rufes RA!
Hier beginnt mit deutlichem Schnitt das Chorfinale, welches eine einzigen übergeordnete Steigerung realisiert. Dabei werden fast alle Materialien der ersten Satzhälfte aufgenommen, so die Fanfaren-Doppelfunktions-Fläche, die "Glaube!"-Klage (deshalb heißt sie ja so !-), die Jenseits-Fanfaren QB und QC. Signifikant sind die Elemente, die im Sinne einer negativen Maßnahme nicht mehr aufgegriffen werden: "Dies Irae" SA, die Rufe RA und RB, die allererste, schon am Ende des dritten Satzes verheißungsvoll erklungene Jenseitsfanfare QA'-QA, etc.
Dazu wird nur sehr wenig neues Material gebracht: 36
Der Chor beginnt mit zunächst zwei gleichgebauten Strophen. Er singt niemals die erste zitierte Hälfte des Chorales, SA, das "Dies Irae", sondern stets nur die zweite, neukomponierte, SB. Damit beginnt er auch hier, diesmal nach Ges-Dur harmonisiert, im ppp und völlig a capella.
Während auf der ersten Silbe materialbedingterweise Bass und Oberstimme auseinandertreten (die Nebennotenbewegung umspielt die Quinte des Dreiklanges, dieser aber wieder einmal in der Grundstellung, folglich Grundton im Bass), fallen diese schon mit der zweiten Gesangssilbe ins Oktav-Unisono. Dies bleibt auch der Normalfall! Wieder also schlichtester Satz, die Außenstimmen parallelgeführt, sparsame Füllstimmen, rein akkordisch gedacht.
Während allerdings die Folge "ja-a a-auf-er-stehn" in der instrumentalen Version nur einen einzigen Liegeton gegen die parallelen Außenstimmen setzte (s.o. zu T.153, dort (as-g-f-es)+(c-c-c-c).), tritt hier (melodisch nun eine Sekunde tiefer, harmonisch in Des-Dur statt f-moll), ein des'-Halbe zu den Vierteln und ein f zu den auftaktigen Achteln, siehe Abschnitt 3.4. Damit wird die ursprüngliche Schärfe durchaus gemildert, und mit dem des-es-des im ersten Tenor sogar noch eine (allerdings nicht besonders kunstvolle) motivische Entsprechung eingebaut, um den Eindruck des Bedeutungsvollen zu verstärken.
Die zweite Zeile "unsterblich Leben" folgt in der Kontur der Version SCa, die
folgende verzierte Halbzeile kann als variiertes Echo der Diminuitionstechnik
in SCb gehört werden.
Neu ist hier der die Zeilenschlüsse in Beziehung setzende Dur-moll-Wechsel
auf "Leben", E-Dur--e-moll.
Da hier eigentlich Fes-Dur--fes-moll
erklingt, ist hier ein absoluter subdominanter Tiefpunkt erreicht.
Die hier noch im pp zum ersten Mal erscheinenden
"anapästischen" Rhythmen Viertel-Viertel-Halbe
sind das Urbild der Chor-Kadenzen an allen folgenden ff-Schlüssen.
Die erste gesungene Choralzeile wird genau wie die beiden instrumentalen zu Beginn des Satzes (SA-SB) beantwortet mit der Fanfaren-Doppelfunktions-Fläche ab T.493; hier nun auf Ges, nach dort F und C. Dies wird immer eingeleitet durch den Oktavaufschwung Qx (hier Qx.4) auf der Quinte des folgenden Basstones.
Neu ist allerdings die betont auf der Eins einsetzende Solo-Trp "molto portamento"
mit einer weiteren Entwicklung des soeben erst (direkt vor dem Großen Appell) so
mühsam errungenen und erst zweimal erklungenen Motiv q58.
Während seine
sensationelle Wirkung dort auf der Kadenz in die Oktave der Tonika auf der Eins
beruhte, wird dieser Effekt hier explizit vermieden und sorgsam aufgespart.
Stattdessen erfolgt ein Sprung in einen Nonen-Vorhalt,
mit dem das unmittelbar anschließende QB beginnt. Wieder das Wirken der
entwickelnden Variation!
Die symbolische Bezeichung dieses so wichtigen Solos ist also
q59-QB7,
wobei q59 deutlich neu ist.
(Es wird aber bald die Rolle eines "neuen Normalfalles" übernehmen, siehe für
beide Aussagen die Tabellen in Abschnitt 3.3.)
In dieser betonten Klanglichkeit und neuen Variante, und durch die Positionierung an dieser Stelle, die im Nachhinein als "lange freigehaltene Leerstelle" empfunden wird (Rezeption von QD-x-(QC+QD) nach der A-x-(B+A)-Grundformel ist überzeugend möglich und wäre deren Anwendungsfall --21!), wirkt diese Folge wieder deutlich thematisch und programmatisch. Sie wirkt trotz der objektiven Verkürzung (nur q59-QB statt T.31 QC-QC-QB) als eine Instanz des "heimlichen Hauptthemas", welches (nachdem es bei Beginn und Schluss der instrumentalen Satzhälfte erklungen ist) in den instrumentalen Ritornellen der Chor-Hälfte anscheinend seinen adäquaten Platz findet.
Dies wird gefolgt von einem deutlichen akkordisch gesetzten SCa-SCb, wie um die zweite Chorzeile zu erklären und auf ein weniger verschwommenes, klareres Niveau zu heben.
Danach munteres Verwirbeln von QD (nur noch einmal, als Halbmotiv),
QC, QB und RA/SB, einer Kombinationsform aus Quint-Auftakt aus dem Ruf RA und
Rückkehr der Nebennote aus dem Choral SB.
QC erscheint zunächst in den Posaunen T.500 in einer dem Original sehr ähnlichen Form
q55-q54. Beide Einsätze sind aber klanglich durchaus untergeordnet dem
überlappend in den Vl einseztenden q39-QB7, also der notengetreuen (inkl. Oktavlage!)
Wiederholung der
Trp-Version vom Anfang, die damit als neuer Normalfall (des HHT) gesetzt wird.
Das q54 ist überdies eine Art "unvollständiger Einsatz", endend auf der Septime
eines Dominantklanges, -- man ist geneigt ihm die Anerkennung als
vollgültiger Kontrapunkt zu verweigern.
Die ganze Fläche klingt aus
mit zunehmend augmentierten und sequenzierten QB: QB7-QB9-QB11.
Damit wird die interne Terzenstruktur von QB deutlich nach außen vergrößert
und damit auch aufgedeckt.
Der Kontrapunkt aus RA/SB und zunächst QC, dann dreimal QB, ab T.502 kann als
ein schwaches Wirken der A-x-(B+A)-Formel gehört werden, ihrer
Anwendungsstelle --22.
Es folgt eine leicht variierte zweite Strophe des Chores, die ersten Akkorde sehr natürlich auf Viertel verkürzt.
Die nächste Fanfaren-Doppelfunktions-Fläche zeigt deutlich die Auswirkungen der "entwickelnden Variation": Es fehlt völlig QD, welches im Feld davor zum letzten Mal überhaupt erklang. Statt dessen hat QC-QB die Führung übernommen und erklingt in mehrfacher Engführung. Die Konstruktion verläuft wie folgt:
Der Ausgangsgedanke ist einfach ein Wiederaufgreifen des HHT in seiner neuen Gestalt, der Trompetenmelodie q59-QB7 vom Feld zuvor, nun in den Hrn und eine Oktave tiefer. Die grundsätzliche Abfolge QC-QB wird nun, wie ab T.418 vorgebildet, siehe Abschnitt 2.9, im Raster von zwei Takten gleichbleibend konsequent enggeführt, allerdings in immer anderer Variante. (Ein solches Verhältnis von konstant und variabel ist eine typische Methode, den zu Beginn geschilderten fast paradox zu nennenden Eindruck von Logik und Üppigkeit systematisch hervorzubringen.)
Die Reihenfolge ist hier genau umgekehrt wie oben T.421ff, wo ja die Comes-Formen erst mühsam gewonnen wurden: q59 beginnt in T.536 und wird (in erwähntem zweitaktigen Engführungsraster) tonal beantwortet mit q8? in T.538 (wobei das "?" nur bedeuten soll, dass dessen Ende noch nicht bestimmt ist).
Da q59 den "sensationellen Zielton" der Oktave systematisch ausspart, kann dieser allerdings auch nicht als erster Ton der Beantwortung q8? erklingen, er wird also "ausgelöscht", schlichtweg weggelassen, siehe das eingeklammerte ges'' in T.538 auf Eins: Unser Ohr ergänzt den stummen Themenanfang a posteriori ohne jeden Zweifel.
Als Konsequenz ergibt sich in T.530 die Kontrapunktierung "7u" zwischen QB und QC (lies: QB erklingt "Septime Unter" QC, gemessen auf der Eins im zweiten Takt). Diese ist bereits in T.433 erklungen, allerdings nach einer ganz anderen Einsatzformel, nämlich dort q37-(QB5+q58) in Des-Dur, vs. hier Ges-Dur: q59-(QB7+q811). Folglich erklingen auch ganz andere Stufen; schon der erste Schritt ist hier schärfer, eine Parallele in eine große Septime auf der Zwei (hier: ges'+f'', damals b'+as''). Auch der Zielklang ist schärfer: die Unterstimme QB fällt in die Terz (damals: den Grundton), die Oberstimme erreicht einen Quartvorhalt (damals: die Oktave).
Ganz als wäre es eine reguläre Fuge erklingt dann wieder q59 in einem
unbenutzten Oktavregister, in T.540 in Pos1+2. Dies hat eine Konsequenz für
unser q8?: Die mit q8 beginnenden Varianten waren bei der
"Gewinnungs-Stelle" ab T.421 immer nur das erste Glied einer doppelten Folge
QC-QC-QB, und mündeten mit der erreichten 3 (also als q83) in das HHT in
seiner ursprünglichen Gestalt. Dies wäre hier auch noch möglich und
es ergäben sich Sexten-Parallelen zum Bass. Es würde damit aber das zweitaktige
Engführungsraster aufgegeben werden.
Deswegen passiert hier das Gegenteil, und dies in doppelter dialektischer Synthese:
(1) q8? wird hier zum ersten Mal mit einem Terzsprung kombiniert, wird also
zu q811 (=q84, statt q83).
Dies führt zum Kp QB9 gegen den Pos-q59, im Abstand 6o. Dieser ist
(im Ggs. zu 7u) völlig neu.
(2)
Die parallelen Sexten über dem Bass, die sich wegen dem Wiederholungsverzichtes
nicht ergeben, werden durch Terzen unter der Oberstimme ersetzt.
Dies führt zum Kp-Abstand 4o+6o.
Dieser "doppelte Kontrapunkt der Duodezime" ist in der Entwicklungsstelle
ab T.426 bereits angelegt: Es erklangen 4o und 7u, was als 4o+2o umkehrt
werden kann, und in sich auch einen Terzabstand realisiert.
Dieser erklang damals allerdings nicht gleichzeitig, sondern nur
als Möglichkeit. Hier in T.540/541
wird also das oben virtuell Angelegte für nur ein einziges Mal
in den klanglichen Vordergund exprimiert.
(Eine dazu duale Stelle wird bald sein
T.687 im Chorgesang, wo für ein einziges Mal
QC in Terzen geführt wird, und (anstelle der Verdoppelung von QB) die genaue Umkehrung
des Kp-Abstandes hervorbringt, 5u+3u.)
Die Mahlersche Okönomie ist wieder einmal bewundernswert.
Auf den Pos-Einsatz folgt ein weiterer in den Vl. Das eine Fugenprinzip,
frische Oktavregister zu besetzen, wird beibehalten, das andere, Wechsel der
Themenform, aber aufgegeben: es folgt wieder q59-QB7.
Es wird wieder der Kopfton unterdrückt (eingeklammertes des'''), diesmal
nicht aus harmonischen Gründen, sondern wegen der Eroberungs-Logik des
Tonraumes: dieser Ton soll stufenweise angegangen werden.
37
Der sich ergebende Kp zwischen q59 und QB7 als 5u rechtfertigt im Nachhinein die
Unterterzung zwei Takte vorher: Der dort hinzugefügte Kp 5u=4o etabliert sich als der
Normalfall, wenn man q59-QB7 einfach engführt!
Das ist auch der Grund, warum der allererste Einsatz T.536 ebenfalls diese Kp beigegeben bekommt. Es ist, als würde der Anfang dieser "Fanfaren-Doppelfunktions-Fläche" in eine vorher begonnene Engführung hineinschneiden, -- wieder ein schönes Beispiel für "Montage".
Dies hat auch zur Folge, dass der Oktavaufschwung Qx, der sonst die FDF eröffnet,
hier in einen Quintaufschwung "Qx5" gestaucht werden muss.
"FDF" ist eh eine nicht mehr so ganz zutreffende Bezeichung für den inzwischen
erreichten Entwicklungszustand: Die ursprüngliche Fanfare QD erklingt garnicht mehr;
die Doppelfunktion ist damit auch weggefallen, hat aber in der None des
allerersten Klanges durchaus auf klanglich signifikante Weise überlebt. Die
ursprüngliche Doppelfunktion Dominante+Tonika ist hier zu einem bloßen Nonen-Vorhalt
im Rahmen von QB abgeschliffen.
QB und QC bilden also spätestens ab hier einen
festen Verband im mehrfachen Kontrapunkt.
Dieser hatte sich bei der vorangehenden Kombinationsstelle (vor dem Großen Appell,
T.418, dort noch mit QA, s.o.) schon angedeutet. Die Schluss-Steigerung des Chores
ab T.682 wird denselben kontrapunktischen Verband verwenden.
Dies kann auch empfunden werden als von Anfang an intendiert, und bis hierhin nur
unterdrückt, ab T.536 endlich freigelassen. Also als Anwendungsstelle --23
des A-x-(B+A)-Prinzips.
Da QC-QB oder QC-QC-QB ja auch als "heimliches Hauptthema" sequentiell/horizontal kombiniert erscheinen, so kann diese nun synchrone/vertikale Komposition auch jedesmal, egal wie sie im Detail sich verhält, als Engführung dieses Themas gehört werden. Gerade diese Doppeldeutigkeiten und mehrfachen Verwandtschaften und mehrfachen Interpretationsmöglichkeiten erzeugen o.e. Doppel-Eindruck von Logik und Üppigkeit, den dieser Artikel hier aufklären will.
Für die ganze Chor-Hälfte des Finales bis hierhin, also ab dem a-capella-Einsatz in Takt 472, herrscht einheitlich Ges-Dur.
Dies wird deutlich markiert und triumphal-ppp abgeschlossen durch den Trp/Pos-Einsatz T.550, wo zum ersten Mal seit Beginn des Satzes das Heimliche Hauptthema wieder in der Originalgestalt, also mit (1) zweimal QC, (2) beidemale dem initialen Quintfall und (3) erst mit, dann ohne Überbindung erklingt, siehe Tabelle in Abschnitt 3.3. Damit auch, nach all den aufsteigenden Oktaven, Quinten und Quarten, und den fallenden Terzen und Quarten der QC-Varianten, zum ersten Mal wieder das allererste und vor-letzte melodische Intervall des ganzen Finales, die fallende Quinte.
Allerdings fehlt diesem HHT-Einsatz das Schlussglied QB, welches ja gerade allzu oft gebracht wurde. Deshalb bildet der angesprungene Vorhalt den Endpunkt und ist gemildert vom scharfen Sept- zum süßlichen Sext-Vorhalt 38 , das Fehlen des Terzsprunges am Ende unterscheidet diese Motivform von T.31.
Dieses Auftreten hat deutliche Anmutungen von erreichtem Zielpunkt und Reprise. Es
steht deshalb in Beziehung zu T.434, wo auch seit langem die obigen Kriterien (1) bis
(2) erfüllt worden waren. Diese Stelle brachte die instrumentale Hälfte des Finales
zu einem Abschluss.
(Dies war bisher die einzige Quint-Fall-Form nach T.33,
siehe Tabelle. Dieser Variante war
aber intervallisch zur Chromatik deformiert und nur ein trübes Erinnern in moll, und
es fehlte die Überbindung im ersten Motiv; aber sie hatte den Terzsprung im zweiten.)
Die Stelle hier bringt nun auf ähnliche Weise die erste zusammenhängende Chor-Strecke
zu einem Abschluss, erinnert deutlich an jene, und bringt jene zu größerer Klarheit.
Nun endlich wieder in Dur, aber, dialektischerweise, sogar noch eine Quinte tiefer.
Dies nicht zuletzt durch die unmittelbar vorangehende Motivvariante: Genau wie vor
T.434 steht in T.548 nämlich ein q58! Dies trat oben ja zweimal auf, war eben erst
konstruiert worden. Hier aber ist es eine Singularität und dazwischen mit q59
fünfmal explizit vermieden worden. Umso gewaltiger wirkt sein Einsatz hier
wie ein Sieg. Diese Wirkung ist so überzeugend, dass es als melodische Gestalt
garnicht aufzutreten braucht: Der Zielton ges' wird in den Hrn garnicht gebracht!
(Deshalb auch "q5(8)" als Schreibweise in der Tabelle.)
Er erklingt allerdings dennoch, im ppp in Fl1+3 und Hrf1. --- Schade, es wäre wohl
überzeugender gewesen, ihn auf der Eins ganz fortzulassen und so den Drang zur Drei
noch zu verstärken.
Das letzte QC wird in Oktaven in Oktaven aufwärts sequenziert und endet mit dem
Vorhalt (es'''+es'''')-(des'''+des'''').
Rechnet man das b-vier/h-vier des Ekel-Akkordes PA (Piccolo in T.3 und T.402) nur als
"Instrumentationsoktave" und nicht als reale Lage, dann wäre hier das es-vier der
neue Spitzenton des Finales.
Überhaupt kann das "Fertig-Sein" dieses Teiles an der schrittweisen
Auffüllung Oktavlagen
festgemacht werden: QB erklang auf f''. as'' und ces''' am Ende
der letzten FDF, dann hier mit f'', f', klein-f und f''';
q59 im vorangehenden Formteil zweimal mit des'', dann hier mit
des', des'', klein-des und des'''.
Am Schluss also, in "aufgeräumter" Reihenfolge, q55 mit des'' und
q56 mit des''' und des''''.
Dieser Vorhalt findet sein Echo in dem Seufzer "Glau-be!", ges'-f' in dem T.560 beginnenden, nun mit Solo-Gesang textiertem Wiederaufgriff des U-Materials, in b-moll.
Dieser Teil folgt zu Beginn deutlich dem Vorbild. Wir weisen hier nur auf einige beachtenswerte Details hin:
(1)
Die heterophone Stimmführung "ja Dein" T.577, ein
Stimmentausch in einem Klein-Sekund-Klang (as+(as-g))-(g+(as-a)).
(2)
Der Sopran setzt tiefer ein als der Alt endete, und auch als dieser begann.
(3)
Die auskomponierten Artikulations-Pausen auf "ge-strit-ten" und
"ge-lit-ten" (die in fast allen Platteneinspielungen sträflich vernächlässigt werden!)
Eine Streicher-Tremolo-Terzenfolge, die eine Synthese ist aus der aufsteigenden Terzenfläche Ub (diminuiert) und der Pizzicato-Kadenzformel vor SA T.151 (augmentiert), leitet zur dritten Chorstrophe. Diese entspricht genau dieser (rein instrumentalen) Vorgängerstelle T.151, eine Quinte tiefer, b-moll statt f-moll, siehe Notenauszug oben.
Bemerkenswerterweise fehlt bei den ersten drei Akkorden die triviale Bass-Bewegung,
hier b-f-b. Diese machte die Folge leerer Quinten bei T.151 noch schauerlicher. Hier
nun sind dafür die Oktavparallelen noch eine Stufe der deutlicher geworden und,
entsprechend dem Chorsatz im allgemeinen, in die Außenstimmen gewandert.
Für um so richtiger und wichtiger halten wir es, die Spielanweisung "Der 1. Ton des
Gliss: stark zu betonen" als tatsächliches forte oder gar fortissimo zu behandeln und
den Ton auch ausklingen zu lassen. Erst das schafft einen deutliche auftaktige
Stimmführung groß-f--groß-b, Quarte aufwärts, und gleichzeitig eine Quinte abwärts in
die Bassverstärkung der Tb mit dem kontra-B. Wir meinen nur in einer einzige
Schallplatten-Einspielung diese Stelle jemals zur Zufriedenheit ausgeführt gehört zu
haben (leider ist der Link verlorengegangen). Dann ist der Effekt wirklich
markerschütternd. Nur so sind die Spektren der f-Oktaven vor und nach dem Taktstrich
ausgewogen und sinnvoll: f' in Vl+Ob, klein-f im Gesang, groß-F in der Hrf., f'' und
f''' nach dem Taktstrich im Vl-Triller. Wie wichtig die f-Töne sind ergibt sich auch
aus T.616, wo eine ähnliche Heterophonie wie oben T.577 im Alt-Solo waltet, ein
Stimmentausch im klein-Sekund-Klang: Ob+Vla = (ges'-f')+(f'-ges').!
Da ja zwei Harfen zur Verfügung stehen, hätte der Komponist Glissando und gehaltenes
F auch aufteilen können. Auf jeden Fall hätte er anders notieren sollen, als
Zweistimmigkeit.
Die erste Abweichung vom instrumentalen Vorbild geschieht T.626, wo dieses in Vierteln beschleunigend mit D-Es-Des-D79-|-G4-3-|-C breit nach C-Dur kadenzierte, in eine Fanfaren-Doppelfunktions-Fläche. Hier bleibt es bei Halben, mit G-As-|-B4-3-|-Es geschieht mit T.628 die Wendung nach Es-Dur. Die ersten Akkorde sind noch identisch (modulo Transposition), danach immerhin noch die Außenstimmen.
Dies ist der zweite und entscheidende Wendepunkt in der Architektur des Finales, ja, sogar der gesamten Sinfonie! Hier ist endgültig das "per aspera ad astra" vollzogen. Die so schlicht, unauffällig und nebenbei, wie ein lapidares Nachspiel daherkommende Kadenz ist der Zielpunkt der ganzen Entwicklung, -- hier ist Es-Dur erreicht, -- danach wird es "nur noch" auskomponiert.
Programmatisch ist, (a) dass es der Choral ist, und zwar in seiner zweiten, neu-komponierte Hälfte SB, der diesen Übergang bewirkt; das allerdings erst dann, als er (b) schon vom Chor ins Orchester zurückgewandert ist, in seinem "instrumentalen Nachklang", und (c) dass die Kadenz (nicht zuletzt deshalb) so betont unprätentiös daherkommt.
In einer Betrachtungsweise ähnlich wie eine "Schenkersche Urlinie", also im Sinne einer "generativen Transformationsgrammatik", ist nach dem c-moll in Takt 5 des ersten Satzes und dem Des-Dur mit dem ersten Ton des Alt-Solos im vierten Satz (und der Eins von T.427), dieses Es-Dur erst der dritte (und letzte) Schritt des harmonischen Gehaltes des Gesamtwerkes auf der obersten Ebene seiner "Diminuition".
Es führen auch die nächsten Akkorde gleich wieder weg davon, um diese so zentral Stelle ja nicht zu stark herauszustellen. Oder vielleicht, um sie durch die Flüchtigkeit ihres Aufblitzens auf eine dialektische Weise um so mehr zu betonen?
Auf "be-ben" erklingt die leere Quinte, die hier nachträglich espressis verbis mit derjenigen Semantik versehen wird, die sie im allerersten Choral SB T.151 bei rein instrumentalem Vortrage eigentlich auch schon hatte. Eng benachbart und mit nämlicher Bedeutung wieder Quint-Parallelen: Von der Eins T.630 zur Eins T.631; dortselbst von der Drei zur Vier.
Das ff-"Bereite dich!" ist eine Apotheose des Männerchor-Wesens, wieder
wird Außermusikalisch-Musikalisches in ein Werk hineingetragen.
Das mf-dim-Echo-"Bereite Dich!" bringt den "umgkehrten Tristan-Akkord" ces+as+es'+f'
39
Dann allerdings, wie um die neu erreichte Ebene als solche zu verdeutlichen, nun auch neues Material: zuerst T.640 Qx in dritter Variante, als Septime des Dominantseptakkordes, also deutlich farbiger als zuvor, aber nicht weniger überschwänglich. (Die zweite Variante von Qx, die Quinte vor T.536, war ja notwendige Konsequenz der Verwendung des Verbandes QC+QB9.)
Dann das Material W "O Schmerz, du Alldurchdringer! ..." in vielfachem Kanon.
Im Mittelgrund ist es selbstverständlich vielfach vermittelt und
abgeleitet, zu Qx, QC, UA, etc. An der Oberfläche soll es aber
durchaus als "neu" erlebt werden, zum Zwecke der Schluss-Steigerung.
Dazu dient z.B. die Polyphonie der Vorhaltsauflösungen, ein
durchaus neues Phänomen, mit ihrem Maximum in T.644:
9-8 in den Hrn in Halben, 4-3 in Vl1 in Ganzen und Pseude-Vorhalt/Durchgang
8-7 nach fünf Vierteln im Gesang.
40
Man beachte auch den deutlichen Quart-Klang f'+b'+es'' in T.647 auf Vier.
In T.658 eine erste, enharmonisch vermittelte und dennoch rückungsähnliche Ausweichung nach A-Dur/Heses-Dur/fis-moll, etc., kaum festzulegen und bald schon wieder nach B7 heimgekehrt. Die Verwendung der neuen Tonart kurz vor Schluss des Werkes ist ein retardierendes Mittel im Dienste der Schluss-Steigerung, dort noch einmal "varietas delectans" walten zu lassen und ein letztes Vermittlungs-Problem zu stellen.
Ab T.660 leitet die kurze Phasenverschiebung "In heißem Liebesstreben" bereits in T.664 zurück nach B7, D von Es-Dur; durch deren Motivik und allein schon durch die parallelen Terzen ab T.668 "Licht zu dem kein Aug gedrungen" deutliche und programmatische Anklänge an das "Urlicht", den vierten Satz, T55./T.60. 41
Mit T.672 setzt die Es-Dur-Tonika ein (zweite Kadenz nach Es-Dur, nach
o.e. zentraler Wendestelle T.628), wohl dosiert aber nicht in Grundstellung, sondern
als "uneigentlicher" Quartsextakkord. Dies wird verdeutlicht durch die Notation: die
Vorzeichnung wechselt. Hier beginnt ein Pseudo-Fugato, eine seit der Renaissance
höchst konventionelle Methode der Schluss-Steigerung. Es beginnt mit der (von Ges
nach Es transponierten) Themenform, mit der in T.490 die Trp die allererste
Strophe des Chores beantwortete, also mit (chiastisch gespiegelt) der
ersten instrumentalen
Reminizens an die orchestrale Hälfte des Finales in seiner chorischen Hälfte, nun
allerdings gesungen.
Dass es hier endlich gesungen wird, und zwar mühelos in der Form, die
es im orchestralen Teil erst nach mühevollen Umformungen erreichte, kann
auch, auf einer konzeptionellen Ebene, als --24tes Wirken der
A-(B-A)-Formel erlebt werden: motivisches Material A=HHT und ausführendes Instrument
B=Gesang kommen endlich zusammen! Dies kann gar körperlich so empfunden werden.
Synchron mit einer rückungsähnlichen
Ausweichung nach G-Dur (aufwiegend die der beiden Solistinnen ab
T.657, s.o.)
erste Engführungen des Heimliche
Hauptthemas. Da das aber die Folge QC-QB ist, sind diese gleichbedeutend mit dem
oben ab T.418 und T.536 schrittweise exponierten kontrapunktischen Verband
QC+QB. Dieser wird hier bis zur Erschöpfung permutiert. q59 und q811 wirken hier
ganz natürlich wie Dux und Comes, wodurch sich nachträglich auch unsere Wortwahl bei
der Beschreibung dieses Verbandes rechtfertigt.
G-Dur als Tonart ist völlig frisch, war
präsent bisher nur als Dominante zu c-moll (dies allerdings über sehr
weite Strecken) und als Parallele zum e-moll des SS im ersten Satz.
Man bewundere wieder die maximal sparsame Disposition der Möglichkeiten: Die doppelte
Engführung "QC+QB in 4o+6o" erklingt nur zweimal im Gesamtwerk: oben T.540 wurde sie
erreicht durch Verdoppelung des einen Themas, QB; hier nun T.687 als Umkehrung
"3u+5u" durch Verdoppelung des anderen, QC (freie Unterterzung S+A durch T).
Takt 696, "piu mosso", ein erster Höhepunkt. Die wichtigsten Merkmale dieser Stelle sind:
Es treffen hier verschiedenartige Maßnahmen zusammen: einerseits äußerliche, wie Tonart, Besetzung, Satztechnik. Andererseits schließt die Disposition der Parameter der QC-Varianten wichtige formale Klammern, siehe die Tabelle in Abschnitt 3.3.
Zu diesen Punkten im einzelnen:
Es erklingt zweimal QC mit der seit langem nicht mehr gehörten fallenden Quinte. Das
erste Mal T.694 kann in unserem Variantenschema auf zweierlei Art gelesen werden. Am
natürlichsten bezogen auf Es-Dur, wie alles andere drumherum. Diese Lesart bezeichnen
wir mit "T.694a". Sie beginnt dann singulärerweise mit der siebenten
Stufe. Während q5? (ohne abschließenden Terzsprung) auf der sechsten Stufe endet,
q56, ziehlt also diese Variante auf die achte: q78.
Allerdings erklingt dieser Zielton es'' ausdrücklich nicht in motivischen
Verlauf der Trp, sondern nur im akkordischen Hintergrund der Streicher, und dort an
untergeordnerter Stelle. Das entspricht genau dem ges' T.459, wo auch eine
dominantische Form (dort allerdings q58) vor einer tonikalen (dort allerdings mit
Überbindung) stand. Dennoch ist diese Stelle eindeutiges Vorbild der hiesigen, wenn
auch in mehrfacher Hinsicht dual, und hier deutlich übersteigert.
Die Interpretation T.694b bezieht sich auf g-moll. Dann ist zwar die Tonart singulär, aber die Motivform ein oft gehörtes q56, nur in moll statt in Dur. Deshalb bezieht sich dieser Einsatz auch auf das Ende der instrumentalen Hälfte des Finales, wo ja q55min und q56min in des-moll stehen. Und auf das G-Dur der vorangehenen Ausweichung, welches mit diesem g-moll schlagartig "heimgeholt" und nachträglich vermittelt wird.
Der zweite Einsatz ist dann voll und ganz das originale q57 aus T.32,
zum ersten (und letzten) Mal aber gesungen.
Es ist mit den vokalen Einsätzen genau spiegelbildlich wie mit den instrumentalen:
Stand dort die Version mit der fallenden Quinte 5↓ am Anfang der Entwicklung, so
er klingt sie gesungen ausschließlich als allerletzte. Dies ist nochmals eine große
Klammer um den ganzen Satz, von hier zu T.31, siehe Tabelle in Abschnitt 3.3.
Dieser Einsatz, der Übergang zwischen dem dominantischen und dem tonikalen
QC, ist auch die dritte Kadenz nach Es-Dur,
und zugleich geschieht die
Rückkehr aus der Chor-Polyphonie ins Oktav-Unisono; das (vorgeblich!) maximal-komplexe,
das Fugato, schlägt dialektisch um in die nackte Einstimmigkeit.
Beide QC zusammengenommen entsprechen noch genauer dem Satzanfang:
T.31 | T.32 | T.33 | |
instr | QC | QC | QB |
T | T | (?) | |
T.694 | T.696 | T.702 | |
instr | QC | QB | |
vokal | QC | ||
D | T | (?) |
Die Fortsetzung QB mit nun aufs aller-schmerzhafteste reibender Septime d'' (Hrn+Chor) vs. As-Dur (Trp) und zum einzigen Male übermäßiger Sekunde h-as im Rahmen der Terz-Kaskade. Dies ist das avancierteste Auftreten von Motiv QB, und sein allerletztes überhaupt. Die Chromatik induziert eine weitere im Chor, hinleitend zur nächsten Kadenz.
Erst das dritte Auftreten von QC in dieser Periode, Hrn ab T.708, ist nun tatsächlich die q58 mit der Oktave als Zielpunkt: es erklingt hier zum vierten Male überhaupt, zum ersten Mal tatsächlich mit einem nicht-unterdrückten Zielton, also der klingenden Erfüllung "Acht" seit ihrer mühsamen Gewinnung T.426/443, und zugleich zum letzten Mal in diesem Werk. Sein Ziel beschreibt die vierte Kadenz nach Es-Dur und wird zusätzlich deutlich hervorgehoben durch den Einsatz der Orgel.
Die dritte Chorstrophe ist dadurch gekennzeichnet, dass sie endlich in
der Schlusstonart Es-Dur steht, und dass die Choralmelodie SB in
das Orchester zurückgewandert ist.
Der Chor setzt gegen die machtigen Oktavparallelen des Bleches
ebenso mächtige Akkorde, deren leere Harmonik mit
Dur-Klängen interpretierend, stützend, färbend und inhaltlich ausdeutend.
Dies kann unter einer höchst abstrakten Betrachtungsweise, bezogen auf musikalisches
Grundmaterial (Mehrklang vs. Linie) oder auf transmusikalische Inhalte (Schaudern
vs. Zuversicht) durchaus als eine letzte, die (--25)te Anwendung der
A-(B+A)-Grundformel erlebt werden.
Um so schwerer wiegt inhaltlich, der auf "(Herz) in (einem Nu)", auf schwacher Zeit und
mit schwachem Text auftretende chiastische Austausch: Hier liegt
im Gesang eine leere Quinte (wie sonst bei allen vorangehenden Stellen
in der Harmonisierung von SB),
hingegen das Blech bringt die Terz, -- memento mori und deutlicher
Hinweis, dass die Schaurigkeit der Quinten- und Seelen-Leere zwar überwunden
scheint, aber nicht vernichtet wurde.
Satztechnisch auch wichtig das liegende es'' in Trp1+2 in T.718, an dem sich der Doppelschlag f-es-d-es in S und Orgel gewaltig reibt; auch dies vielleicht eine der "revolutionären harmonischen Gewalttätigkeiten", welche die Zeitgenossen beklagten.
Eher seltsam aber das Führen des Chor-Basses bis zum g' in T.717 (und schon das zum f' kurz davor und kurz darauf): Die tiefsten Basstöne waren Kontra-B ab T.473 , welche ausdrücklich auch "nur gedacht" werden durfte, und dazu etliche Groß-C. Wohl kaum ein Chorist kann diese meistern, und auch das g-eins.
Allerorten Häufung von Quintparallelen: T.718 (c'+g')-(b-f'), T.718 (as+es''')+(g+d''')
Auf "Was du geschlagen" dann die SC-Variante (drei aufschreitende Noten) im Chor, beantwortet jeweils von QC im Orchester. Dies ist (neben T.423/426 oben) eine der wenigen Stellen, wo QC-Auftritte im Abstand von drei Takten erfolgen.
Diese beiden sind q56 in Des-Dur und q83 in B-Dur.
Sie greifen damit auf das (als Abschluss des ersten Chor-Teiles vor
den Gesangs-Solisten) ab T.552 in himmlische Höhen aufwärtssequenzierte
Motiv q56, und die allererste Comes-Variante aus dem Entwicklungsfeld T.421, die
damals nur im Kontext von QC-QC auftreten durfte, und seitdem nie mehr
(und noch nie alleinstehend) erklungen war.
Die Terz, in die es mündet, ist allerdings die der Dominante.
Als Aufwiegung von T.694, wo q56 in Dominantfunktion erschien,
und zu T.708 mit q58, ist es hier q83.
Chromatisch fortsetzend baut auf dieser Terz der Chor die fünfte Kadenz nach
Es-Dur in T.732.
Hier wird die Spiegelung an der Satzmitte fortgesetzt und auf das triumphalste gesteigert: eben wurden T.552 und T.421 gespiegelt, nun sind es T.31ff, es erklingt q55 und q56 in der Originalversion, allerdings ist die überschwengliche Septime nun endgültig zur milden Sexte verheilt. (Mit QB oben ist auch die Septime verschwunden.)
Ähnlich wie an erwähntem Abschluss des ersten Chorteiles wird dieses Motiv hier in himmlische Höhen aufwärts sequenziert.
Mit dem allerletzten QC-Einsatz allerdings taucht die Septime wieder auf, und zwar als melodischer Sprung abwärts, statt der Quinte! Diese Variante springt in die Subdominante und endet (in der sechsten und letzten Kadenz) mit der Terz der Tonika.
Dies ist satztechnisch besonders günstig, da gegen diesen Schlusston
dann weitere Abspaltungen gesetzt werden können:
Am Schluss bleibt die fallende Quinte vom Anfang, Umkehrung der
aufbegehrenden Quarte des ersten Satzes (z.B. T.6). Aus Trotz wurde Einwilligung.
Stephan meint, dass diese bloßen Intervalle das Individuum
repräsentieren und seine zunehmende Auflösung im Universum des dahinter
liegenden Klanges.[stephanMahler2, , S.74]
Dem kann man nur zustimmen.
Es mag auch sein, dass die zuletzt erklingende Oktave die Aufhebung des Oktavschlages
g-g in Takt 329 des ersten Satzes ist, der dort die Reprise hervorrief und damit
neuerlichen, scheinbar nie enden wollenden Kampf zwischen den Themen, Echo auch der
Oktave am Ende des ersten Aktes der Götterdämmerung.
Hier nun ein majestätisches, ein letztlich doch versöhntes Echo.
All diese Steigerungs- und Abschluss-Wirkungen werden mitnichten durch die äußerlichen Maßnahmen (viel Blech und Donnerblech) hervorgebracht. Diese sind dazu garnicht in der Lage, wie die vergessenen Werke unzähliger gescheiterter Kleinmeister beweisen, nein, sie symbolisieren jene nur.
Tatsächlich ist die genaue und sparsame Disposition des klingenden Materials und seiner kleinsten Varianten der Träger von Steigerung, Zirkel, Spiegel und Schluss. Dies wird deutlich bei der Betrachtung pars pro toto allein der Schicht des Motives QC, und wie sorgfältig bestimmte Parameterkonstellationen vermieden und aufgespart werden.
Über die Tabellen in Abschnitt 3.3 und über die Schicksale auch der anderen Grundmotive kann man wahrlich lange und fruchtbringend meditieren!
Dritter Satz | |
P | "Schrei des Ekels" |
PA | Akkord C-t.s.+b-moll |
PB | absteigende Akkordverschiebung |
Q | Jenseitsmotive |
QA | Jenseit-fanfare |
QB | Terzen-Kaskade |
Fünfter Satz | |
PC | Dreiklangsbrechung zum P-Material |
QC | Quintfall-Skala (diskutiert auch wg. Rott/Siegfried) |
q55, q57, q83, ... | Varianten von QC, Anfangs- und Endstufe angegeben. |
HHT | "Heimliches Hauptthema" |
Qx | überschwängliche Auftakt-Oktave |
QD | Fanfaren mit "gehaltenen Vierteln" |
FDF | "Fanfaren-Doppelfunktions-Fläche" |
R | Rufe |
RA | Hörner aus der Ferne |
RB | Ob im Orchester |
RC | Zerbröselungsfläche |
RCa/b/c/d | mediant. Triller/Dreitonkadenz/chromatisch Abwärts/Trommelritardando |
S | Hauptchoral |
SA | Text "Dies Irae" |
SA* | in Dur, in Vierteln |
SA** | in moll/dominantisch, punktiert |
SB | Text "Auferstehn" |
SCa | Variante aufwärts-Skala |
SCb | diminuierte Kadenzfloskel |
U | Klagemelodie-Steigerung |
UA | Klagemelodie, Text "Glaube!" |
Ub | Käuzchenrufe, nach oben wandernd |
Uc | Tremolo-Terzen, nach oben wandernd |
V | Allegro-Marsch, punktiert und triolisch, ähnlich erstem Satz |
W | "O Tod, du Allbezwinger", etc. |
3 | 26 | 44 | 62 | 73 | 84 | 97 | 142 | 163 | 174 | 319 | 325 | 402 | 418 | 448 | 472 | 493 | 512 | 536 | 560 | 618 | 640 | 672 | 712 | 732 |
P | PC | PC | P | |||||||||||||||||||||
Q | (QB) | Q | QCB | QCB | QCB | QC | ||||||||||||||||||
R | (RB) | R | (RA) | R | ||||||||||||||||||||
S | S | (SC) | S* | SA** | SB | SB | SB | SB | ||||||||||||||||
QD | QD | QD | ||||||||||||||||||||||
U | U | U | ||||||||||||||||||||||
V | ||||||||||||||||||||||||
W |
Die erste folgende Tabelle fasst die strukturellen Parameter aller Auftritte des "Heimlichen Hauptthemas" zusammen, also der Motiv-Folge "QC-QC-QB", in allen erklingenden Varianten. Die Spaltenanordnung soll die Entwicklungslogik (schrittweise Veränderung), die Fernbeziehungen (Wieder-Aufnahmen) und die Singularitäten möglichst deutlich machen. Die Spalten sind beschrieben oben in Abschnitt 2.9. Einige Singularitäten sind optisch hervorgehoben; ansonsten folge man der Darstellung im Haupttext.
QA | QC | QB | ||||||||||||||||||||
Scherzo | ||||||||||||||||||||||
T.511 | C-Dur | QA'-QA | 5 | |||||||||||||||||||
Finale | ||||||||||||||||||||||
T.30/31 | C-Dur | QA'-QA | 5↓ | ◠ | = | 5 | ||||||||||||||||
T.32 | 5↓ | ↗ 3 | 7 | 5 | ||||||||||||||||||
T.51 | C-Dur | QA-QA | ||||||||||||||||||||
T.82 | f-moll | (3) | ||||||||||||||||||||
T.166 | C-Dur | 7 | ||||||||||||||||||||
T.174 | c-moll | (8/6) | ||||||||||||||||||||
T.305 | B-Dur | 5↓ | ◠ | = | 5 | |||||||||||||||||
T.421 | Des-Dur | QA-QA | 8 | = | 3 | |||||||||||||||||
T.423 | 3 | ↗ 3 | 7 | 5 | ⇙(aug) | |||||||||||||||||
T.426 | 5 | = | 8 | 9 | ⇙ 4o | |||||||||||||||||
T.428 | Des-Dur | 8 | = | 3 | ||||||||||||||||||
T.430 | 3 | ↗ 3 | 7 | 5 | ⇙ 7u | |||||||||||||||||
T.432 | 5 | = | 8 | 9min | ⇙ 8o | |||||||||||||||||
T.434 | des-moll | 5↓ | = | 5 | ||||||||||||||||||
T.436 | 5↓ | ↗ 3 | 6 | |||||||||||||||||||
T.438 | 5↓ | ↗ 3 | 6 | |||||||||||||||||||
T.493 | Ges-Dur | 5 | ↗ 3 | 9 | 7 | |||||||||||||||||
T.500 | Ges-Dur | 5↓ | ◠ | = | 5 | |||||||||||||||||
T.502 | 5 | ↗ 3 | 9 | 7 | ||||||||||||||||||
(T.504) | 5↓ | ◠ | na | (4) | ||||||||||||||||||
9 | ||||||||||||||||||||||
11 | ||||||||||||||||||||||
T.536 | Ges-Dur | 7 | ⇙ 4o | |||||||||||||||||||
5 | ↗ 3 | 9 | 7 | ⇙ 7u | ||||||||||||||||||
T.538 | (8) | ↗ 3 | 11 | (7+) | 9 | ⇙ 4o+6o | ||||||||||||||||
T.540 | 5 | ↗ 3 | 9 | 7 | ⇙ 5u | |||||||||||||||||
T.542 | (5) | ↗ 3 | 9 | 7 | ||||||||||||||||||
T.546/7 | 7 | |||||||||||||||||||||
T.548 | 5 | = | (8) | |||||||||||||||||||
T.550 | Ges-Dur | 5↓ | ◠ | = | 5 | |||||||||||||||||
T.552 | 5↓ | = | 6 | |||||||||||||||||||
T.554 | 5↓ | = | 6 | |||||||||||||||||||
T.556 | 5↓ | = | 6 | |||||||||||||||||||
T.672 | Es-Dur | 5 | ↗ 3 | 9 | 7 | |||||||||||||||||
T.676 | 8 | ↗ 3 | 11 | 9 | ||||||||||||||||||
T.680 | G-Dur | 5 | ↗ 3 | 9 | 7 | ⇙ 4o | ||||||||||||||||
T.682 | 5 | ↗ 5 | 11 | 9 | ⇙ 4o | |||||||||||||||||
T.684 | 8 | ↗ 3 | 11 | 9 | ⇙ 5u(+3u) | |||||||||||||||||
T.686 | 8 | ↗ 5 | 6 | (=13) | ||||||||||||||||||
T.694a | Es-Dur | 7↓ | = | (8) | ||||||||||||||||||
T.694b | g-moll | 5↓ | = | 6 | ||||||||||||||||||
T.696 | Es-Dur | 5↓ | ↗ 3 | 7 | ♮ 5 | |||||||||||||||||
T.708 | 5 | = | 8 | |||||||||||||||||||
T.721 | Des-Dur | 5↓ | = | 6 | ||||||||||||||||||
T.724 | B-Dur | 8 | = | 3 | ||||||||||||||||||
T.732 | Es-Dur | 5↓ | ◠ | = | 5 | |||||||||||||||||
T.734 | 5↓ | = | 6 | |||||||||||||||||||
T.736 | 5↓ | = | 6 | |||||||||||||||||||
T.738 | 5↓ | = | 6 | |||||||||||||||||||
T.740 | 5↓ | = | (6) | |||||||||||||||||||
T.744 | 5 ↓ 7 | ◠ | = | 3 |
Die zweite Tabelle gibt für einzelnen Formen von QC die Kurzformel (entsprechend den ersten beiden Stufenangaben aus obiger Tabelle) und ihr erstes Auftreten, und in Matrix-Form alle Stellen ihres Wiederauftretens.
31 | 32 | 421 | 423 | 426 | 434 | 436 | 493 | 538 | 552 | 682 | 686 | 694a | 744 | ||
q55 | q57 | q83 | q37 | q58 | q55min | q56min | q59 | q811 | q56 | q311 | q86 | q78 | q53 | ||
5 | 2 | 3 | 2 | 4 | 1 | 2 | 7 | 3 | 9 | 1 | 1 | 1 | 1 | =42 | |
T.31 | 31 | ||||||||||||||
T.32 | 32 | ||||||||||||||
T.395 | 31 | ||||||||||||||
T.421 | 421 | ||||||||||||||
T.423 | 423 | ||||||||||||||
T.426 | 426 | ||||||||||||||
T.428 | 421 | ||||||||||||||
T.430 | 423 | ||||||||||||||
T.432 | 426 | ||||||||||||||
T.434 | 434 | ||||||||||||||
T.436 | 436 | ||||||||||||||
T.438 | 436 | ||||||||||||||
T.493 | 493 | ||||||||||||||
T.500 | 31 | 493 | |||||||||||||
T.502 | 493 | ||||||||||||||
(T.504) | |||||||||||||||
T.536 | 493 | ||||||||||||||
T.538 | 538 | ||||||||||||||
T.540 | 493 | ||||||||||||||
T.542 | 493 | ||||||||||||||
T.548 | 426 | ||||||||||||||
T.550 | 31 | ||||||||||||||
T.552 | 552 | ||||||||||||||
T.554 | 552 | ||||||||||||||
T.556 | 552 | ||||||||||||||
T.672 | 493 | ||||||||||||||
T.676 | 538 | ||||||||||||||
T.680 | 493 | ||||||||||||||
T.682 | 682 | ||||||||||||||
T.684 | 538 | ||||||||||||||
T.686 | 686 | ||||||||||||||
T.694a | 694a | ||||||||||||||
T.694b | 552 | ||||||||||||||
T.696 | 32 | ||||||||||||||
T.708 | 426 | ||||||||||||||
T.721 | 552 | ||||||||||||||
T.724 | 421 | ||||||||||||||
T.732 | 31 | ||||||||||||||
T.734 | 552 | ||||||||||||||
T.736 | 552 | ||||||||||||||
T.738 | 552 | ||||||||||||||
T.740 | 552 | ||||||||||||||
T.744 | 744 |
[stephanMahler2]
Gustav Mahler Zweite Sinfonie Wilhelm Fink Verlag, München, 1979 ISBN 3-7705-2737-7 |
[lor]
Der musikalische Aufbau von Richard Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" Max Hesses Verlag, Berlin, 1951 |
[stRott]
Zitate und Bezüge vom Werke Hans Rotts in das Gustav Mahlers Berlin, 2012 ./ston2012090900.html |
[mahler2umdeut]
Überwältigung durch Uminterpretation Berlin, 2010 ./ston2010082900.html |
[mahlernatur]
Heile Welt und Unheil im Anmarsch Synthetische Natur im Werke Gustav Mahlers Berlin, 2010 http://markuslepper.eu/papers/mahlerUmwelt.html |
[banksCat]
The Music of Gustav Mahler: A Catalogue of Manuscripts and Printed Sources London, 2010 http://www.cph.rcm.ac.uk/MahlerCat/Pages/Symph2/Symph2ACF2c.htm |
1 Die Zahl "n" hinter dem Punkt bedeute das "n-te" Auftreten der bezeichneten Struktur/des Materials.
2 Ein formales Problem, das dann im Zentralsatz der Fünften Sinfonie am deutlichste wieder im Mittelpunkt stehen wird. Weiterhin können so verstanden werden III/3, IV/2, VII/2 bis VII/4, IX/2 und IX/3.
3 Bei KB handelt es sich um die Gesangsstimme des als Vorbild dienenden und in der Klavierfassung schon existierenden erwähnten Liedes Des Antonius von Padua Fichpredigt. Das Motiv KB erklingt im Lied als Kontrapunkkt auch schon zu allen bisherigen Auftritten von KA, -- wird im Sinfoniesatz die ersten Male einfach weggelassen. Unsere Grundformel wird also realisiert durch eine negative Maßnahme.
4 Kontrapunkt MB (T.113 bis T.119) ist die seit T.4 erste substantielle Abweichung von der Liedkomposition: Im Lied erscheint statt seiner der Kontrapunkt KB' (bekannt schon aus T.76), der im Sinfoniesatz in die (vom Lied eh abweichenden) Überleitungstakte ab T.137 disloziert ist. In der Sinfonie erscheint MB also mehrfach; dies macht oben beschriebene Konstruktion des "doppelten Aha-Erlebnisses" erst möglich.
5 Ab hier bis T.348 ist alles neu komponiert und anders als im Lied.
6 Das wichtige Kadenzmotiv X1 erscheint im Lied zum ersten Mal am Schluss, T.177, was hier der Coda-Zwei T.561 entspricht. Seine Vorwegnahme hier wertet es auf und "normalisiert" seine Behandlung.
7 In der Tat ist alles folgende bis T.348 wie erwähnt im Lied nicht vorhanden, auch dies "zweite Trio" nicht, im Gegensatz zum ersten.
8 Hier ist doppeltes "e" angebracht!
9
Mit dieser Rp wird nicht nur Material K wieder aufgegriffen, sondern
auch der Rückgriff auf das Antonius-Lied. T.348 hier entspricht T.159 dort,
durch die markanten spiccato-Bass-Figuren. Allerdings bleibt es nicht bei
einer linearen Entsprechung, o.e. Montagetechnik gilt relativ zur Exp wie
relativ zum Vorbild.
Wichtigste weitere
Abweichungen: (a) Der Zwischenhalbsatz T.358 wird im
Lied nicht wiederholt, hat also nicht o.e. architektonische Funktion.
(b) Der Seitensatz wird ab T.141 eine Quarte tiefer wiederholt, ist im Lied also
"irgendwie eingerichtet", im Sonantensatz aber nicht. (Dort wäre eine Folge
"Exp:Es-Dur, Rp:C-Dur" die konventionellere, für "Exp:C-Dur Rp:X-Dur" ließen sich
zwar Werte für X!=C finden, aber dies würde die Gesamt-Architektur doch eher
verunklaren.)
(c) Das Motiv X2 in T.372 (und dann später in der Coda T.561) ist,
allem Anschein von Verwirbelung und Vermittlung entgegen, in der Tat
das einzige Vordergrund-Material, das in beiden Sphären
(innerhalb und außerhalb der originalen Noten des Liedes) auftritt und zum Lied-Material
real klingend hinzutritt.
10 Die ersten vier Takte des Sinfoniesatzes finden sich nicht im Lied.
11 Es wird sich herausstellen, dass die zweite Version die Normalform darstellt, weswegen wir die erste mit dem Ableitungsstrich dekorieren.
12 Charakteristisch wieder der klein-Sekund-Tausch des-c am letzten Taktstrich!
13 Dieses Motiv wurde, als übernommen von Rott und evtl. auch aus dem Siegfried ("Friedensmelodie") in der Fachliteratur lange diskutiert, siehe [stRott], -- dort auch Literaturverzeichnis.
14 Die Parallelenbehandlung bei Mahler ist einer eigenen Untersuchung wert. Man siehe z.B. den berühmten autographen Eintrag "Sind verboten, ich weiß (Anmerkung für Preisrichter)" beim Übergang zu T.226 (fis+cis'')-(g+d'') in einer Kopie des dritten Satzes [banksCat].
15 Stephan geht u.E. leicht zu weit, das schon als "Fernorchester" zu benennen. [stephanMahler2, , S.71]
16 Vgl. die zugleich ruhend und quälend sich ausstreckenden Quintklänge am Beginn jedes Formteils im Finale der Pastoralsinfonie.
17 Und dann zum Hauptmotiv von des Verfassers erster Klaviersonate wurde !-)
18 Der Ausdruck "Terzknoten" stammt u.W. von Gerd Zacher.
19 Diese erinnert in Takt 65 bemerkenswert deutlich (und uns zur Zeit noch unerklärlicherweise) an Dvorak, Aus der neuen Welt / Largo, T.55.
20 Sowie die Anschläge 7 und 9; dies kann man als eine Art tonaler Beantwortung verstehen.
21 Bei den Material-Buchstaben überspringen wird das "T", weil es schon für "Takt" benutzt wird.
22 Diese Figur wird Keim der Einleitung zum Zweiten Theil der Achten Sinfonie werden, und auch deren triumphalen Schluss bestimmen (dann selbstverständlich ins ff gewendet !-)
23 Dies allerdings nur, wenn das b-vier des Schrei-Akkordes PA, Picc-Fl in T.3 nur als "Instrumentations-Vier-Fuß" und nicht als reale Lage gezählt wird.
24 Durchaus Anklang an das Haupthema im Finale der Ersten Sinfonie.
25 Hier hat QC die größte Ahnlichkeit zur "Tagesschau-Melodie", wie diskutiert in [stRott].
26 Z.B. Stephan schreibt schon bezogen auf das allerste Auftreten von QC: "aus dem sich alsbald (T.31) ein an Takt 286 des ersten Satzes erinnerndes Thema entwickelt". Dies ist richtig, was den "objektiven" Befund des Notentextes angeht, beschreibt aber wohl nicht den Rezeptionsvorgang, der zumeist erst hier (T.305) und im Nachhinein diesen Bezug durch doppeltes Erinnern realisieren kann.
27 Stephan hört diese Quinte als Echo oder Auflösungsziel der verminderten Quinte, die in den Pos ab T.395 am Ende von U.2 abgespalten wurde. [stephanMahler2, , S.72]. In der Tat kann as-des aus Des-Dur als Auflösung von ges-c aus As-sieben fern-bezogen werden, ungeachtet des Dazwischenliegenden und seiner anderen harmonischen Ausleuchtung.
28 Man beachte die typischen Quintparallelen beim Übergang T.423-424.
29 Stephan hört in deren aufsteigender Skala einen Anklang an den Seitensatz des ersten Satzes, T.48, [stephanMahler2, , S.66]. Wir allerdings nicht, da die charakteristische Rhythmisierung und der Quartsprung aufwärts fehlen.
30 Stephan [stephanMahler2] weist darauf hin, dass im ersten Satz das Hauptthema erst in der Rp in seiner "wahren Gestalt" erklingt. [stephanMahler2, , S.30] So, meint er sich jedenfalls zu erinnern, erging es dem Verfasser auch als Kind, in dessen Ohr immer die Rp-Fassung wurmte.
31
Es ist uns übrigens nicht ganz verständlich, warum nicht wenigstens in
QA.7 noch QA' angebracht wurde.
Die Gesamtfolge heißt nun
Scherzo: QA'-QA
Finale Anfang: QA'-QA
Rufer i.d. Wüste: QA-QA
Orchesterteil Schluss: QA-QA
In T.427 hätte sich, mit sogar besserer Stimmführung, sehr hübsch QA' anbringen
lassen.
Vielleicht war dem Komponisten das Bildungsgesetz der Großform (Übergeordnete
Verarmung, Annäherung an RA) wichtiger als die varietas delectans im Detail.
32 Vergleichbar den sich multiplizierenden Rufen in der Echo-Schlucht, die Jim, Lukas und Emma fast zum Verhängnis werden.
33 Dieser ruck-frei Übergang von Naturlaut und Vogelstimme zu Marschmelodie oder Wanderlied, und umgekehrt aus dem wohlgeordnet-melodischen zurück in eine Fläche von Rufen, Naturlauten, Tierstimmen und Vormusikalischem ist bei Mahler häufig Thema. Siehe Überleitungsstellen im ersten Satz der Neunten Sinfonie und deren ewig-geheimnisvolles Coda-Terzett; die Todesvögel im Finale des Liedes von der Erde, auch im instrumentalen Zwischenspiel; besonders aber die Vogel- und Horn-Rufe im zweiten Satz der Siebenten Sinfonie und ihre Agglutinierungen und Zersetzungen.
34 Vergleiche auch das von Adorno so erkannte synthetische Instrument von vier Flöten unisono in der Df des ersten Satzes der Vierten.
35 Dies geht, wie so vieles, auf Beethoven zurück: Der Verfasser meint sich zu erinnern, wie er als Kind das allererste Mal von Schallplatte die ersten Takte des ersten Satzes von Beethovens Neunter hörte und meinte, es sei wohl ein Live-Mitschnitt und das Einspielen sei halt mit aufgenommen worden, gleich käme der Applaus für den eintretenden Dirigenten, etc.
36 Nicht zuletzt dessen geringes Ausmaß bewog wohl Adorno zur negativen Bewertung, der Orchesterteil "plaudert zuviel vom vokalen aus", laut [stephanMahler2, , S.74].
37 Stephan hört die aufwärts-Skala T.542f wieder als Seitensatz des ersten Satzes [stephanMahler2, , S.73]; wir hingegen als QC, mit leicht abgeschliffenem Kopf. Sonst käme hier ja auch keine neue Variante des kontrapunktischen Verbandes zu Stande.
38 Klingt wie die Alternativen auf der Speisenkarte eines chinesischen Restaurants!?
39 Genau dieser Klang am Schluss der Achten Sinfonie den ersten Schritt markieren und die ganze folgende Steigerung auslösen (4n202, "Alles vergängliche", dort einen Ganzton höher).
40 Dies ist schon der zweite "dem Hören an-trainierte Pseudo-Vorhalt" nach dem 7-6 in q57. Vielleicht ist dieser Transfer von gelernten Patterns ein Stilmerkmal des Komponisten? Wäre einer Untersuchung wert!
41 So auch [stephanMahler2, , S.11]
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