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2013081600 | Was ist wirklich ? |
2013081601 | Die Höhepunkte der Adagios aus Bruckners Sinfonien |
^inh 2013081600 | phaenomen |
Nunja, so allgemein wollen wir die Frage hier und heute weder stellen noch beantworten, -- präzisieren wir sie zu "Was ist musikalisch wirkmächtig?"
In ganz anderem Such-Zusammenhang nämlich fiel mir letztlich auf, dass in der Partitur z.B. von Bruckners Fünfter Sinfonie (Adagio, Takt 95) eine Stelle wie
...doch sehr unscheinbar wirkt: Zwei schiefe Punkte auf Papier, kaum größer als Fliegendreck, -- sollte das wirkliches Gewicht haben?
Wenn ich nun ans Klavier gehe und diese Punkte in Klang umsetze, kommt nur ein mageres "Plong-Pling". Wie uninteressant!
Beim Abspielen einer Schall-Aufzeichnung, je nachdem wie laut man erlaubt ist, die Anlage zu drehen, können u.U. schon wirkliche vibrations rüberkommen.
Bei einer Aufführung jedoch, wenn man eine gute Position relativ zur Saal-Akustik hat einnehmen können, da kommt erst das wahre Gewicht dieser "Stelle", die zwar nur ein Fliegendreck in der Notation ist, aber eine Gewaltaktion der Bläser-Lunge und ein Vibirieren des ganzen Hallenbodens bis in die Sohlen des Hörers: Da röhren die Hörner, da massiert uns der Schalldruck, da wird die verminderte Septime zum drohenden Rohrstock des Dorfschullehrers.
Ganze innere Welten tun sich auf: Der röhrende Hirsch über der Couch von Tante Klara; eigene Wanderungen, Weiterungen, Wallfahrten und Weigerungen; Geschichten vom Förster vom Silberwald, von Brunst und Revierkampf und Elefantenfriedhöfen. In Grenzen gehalten aber werden diese (doch immer sehr persönlich determinierten) Assoziationen durch die reine Physik des Vorganges und das Erleben der physischen Gewalt. DAS nun ist wirklich wirklich!
Nicht jener abstrakte Fliegendreck!
Dann aber geht man heim vom Konzert, nachts, im Dunkeln, durch Großstadtstraßen glänzend noch vom letzten Regen. Oder auch Tage später.
Und dann kommt die Erinnerung, die "Schallaufzeichnung im Kopf", das Wiedererleben nicht nur dieses einen Intervalles, sondern der gesamten harmonischen Entwicklung. Oder Nicht-Entwicklung.
Und dann, obwohl im Zwerchfell weissgott gerade nichtsmehr vibriert, obwohl die Physis um uns herum so still ist wie es nur irgend geht, um Mitternacht, da dröhnen dann die Septimen mit Urgewalt und reissen unser Gefühl in Abgründe von Jubel und Gipfel von Verzweiflung, da packt uns die ganze Wirklichkeit des Schalldruckes, um uns im selben Moment über diesen Moment hinaus die dahinterliegende Bedeutung umso eindrucksvoller einzuprägen, ...
In der Vorstellung, da ist dann der höchstmögliche Grad an Wirklichkeit und Wirksamkeit erreicht, da fällt das Physische und das Transzendentale zusammen, da wird das Röhren des Hirsches zum eigenen Bedürfnis.
In der Vorstellung allein vollzieht sich das allerintensivste Erleben!
Und dann sind wir doch wieder beim Aller-Abstraktesten, bei
^inh 2013081601 | monograph |
Die deutschsprachige wikipedia behauptet im Artikel "Anton_Bruckner" (abgerufen 20130801), im Abschnitt "Bruckner als Sinfoniker", Spiegelpunkt "Der langsame Satz (4/4-Takt)", tatsächlich
"Das besondere Merkmal von Bruckners langsamen Sätzen ist ihr feierlicher Höhepunkt vor der Coda, welcher in fast allen Fällen, unabhängig von der Tonart des Satzes, in C-Dur steht und auf den der ganze Satz zielgerichtet zusteuert, bevor er in der Coda leise ausklingt."
Das erfüllte uns zunächst mit Schrecken, denn, wenn uns diese Tatsache entgangen wäre, wäre unser Artikel ston 20100903 01 -- "Inverse Disposition von Tonarten -- Beethovens Bagatellen op. 126 umspielen C-Dur" hochgradig unvollständig.
Glücklicherweise stimmt diese Behauptung einfach nicht. Es ist völlig unverständlich, wie diese Behauptung zustandekommen konnte!?!
Hier nämlich eine knappe Tabelle der Brucknerschen Sinfonien, soweit sie bei mir im Bücherschrank stehen, mit ihrer jeweiligen Tonart, der Tonart des Adagios und der seines Höhepunktes:
Werk | Tonart gesamt | Tonart Adagio | Tonart Hp | |
Erstes (Linzer Fssg. 1866) | c-moll | f-moll | As-Dur/Ces-Dur | |
Zweite (Fssg. 1877) | c-moll | f-moll | H-Dur | |
Dritte(Fssg. 1 +3) | d-moll | Es-Dur | Des-Dur/es-moll | |
Vierte(Letzte Fssg. 1880) | Es-Dur | c-moll | C-Dur | <<<stimmt |
Fünfte | B-Dur | d-moll | (F-Dur) | |
Sechste | A-Dur | d-moll | Des-Dur | |
Siebente | E-Dur | cis-moll | C-Dur | <<<stimmt |
Achte | c-moll | Des-Dur | b-moll / Es-Dur Ces-Dur | |
Neunte | d-moll | e-moll | Gis-7 |
Anmerkungen:
In nicht wenigen Fällen ist entweder nicht ein einziger "Punkt" als
Höhepunkt identifizierbar, oder aber der "Hoch-Fläche" nicht eine einzige
Tonart eindeutig zuordbar (dritte, fünfte, achte).
Extrempunkt dieser Entwicklung ist der zwar über-eindeutig als Zielpunkt
des Satzes präsentierte, aber maximal unbestimmte Akkord im Adagio der Neunten,
gis+a+his+cis+dis+fis. Wer benennt da die Tonart? Dominate wohin?
Jedenfalls auch hier kein C-Dur in Sicht ...
Nachtrag 20170503:
Bei der Arbeit zu ston2017042600.html trafen wir auf die Stelle,
die diesen Irrtum erklären kann. Bei Steinbeck [steinbeck, S.42] heißt es nämlich:
"Und bemerkenswert ist ferner, dass es
(trotz der unterschiedlichen Grundtonarten der Sätze) mehrfach C-Dur ist". Wohlgemerkt
"mehrfach", nicht "in fast allen Fällen"!
Steinbeck nennt "III. bei K, IV. bei T.217, VII.bei W, 1. Fassung der VIII.bei U".
Dazu sei bemerkt dass mit der III. die Fassung 1889 gemeint sein muss (Gesamtausgabe Band III/3), und dass der C-Dur Einsatz am Beginn der Steigerung, nicht etwa am Durchbruchspunkt steht.
[steinbeck]
Bruckner Neunte Symphonie d-moll Wilhelm Fink, München, 1993 ISBN 3-7705-2783-6 |
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