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^inh 2017080500 | ereignis |
In dem inzwischen aus Kostengründen völlig gleichgeschalteten Sommerprogramm der "Dritten Programme" des reichsweiten Hörfunks wird heuer KEIN Ring übertragen. Das ist sehr bedauerlich, -- wofür zahle ich diese horrenden Gebühren?
Was sie aber dort dankenswerterweise wieder aufgegeben haben ist die Praxis,
diejenigen Wagner-Opern, die als Aufzeichnungen ausgestrahlt werden,
aus Gründen der Zeitplanungseffizienz auch noch gänzlich ohne Pause
zu senden, wie es zwischendrin mal üblich war. Barbarischerweise.
So funktionieren diese Werke nicht!
Tristan oder Meistersinger in knapp vier oder fünf Stunden Non-Stopp
sind selbst dem eingefleischten Wagner-Verehrer ungenießbar.
(Es wäre sogar mal der Untersuchung wert, ob die Tonika-Verlaufs-Kurven, wie
Lorenz sie so dankenswerterweise für den Ring herausschrieb, nicht in
der Disposition ihrer ersten Ableitung (= ihrer Steilheit) die Dauer
der Pausen durchaus bewußt mit einkalkulieren? Dies sowohl für die Pausen innerhalb eines
Abends,
als auch für die zwischen den "Tagen" des Ringes, siehe die Graphik im
entsprechenden Artikel.)
Nungut, das hat man korrigiert, und bringt stattdessen wieder eigens produzierte Essays, ältere Beiträge theoretischer Reflexion oder historischen Kommentares (sehr bedeutend, immer wieder gern gehört und unvergessen die Bayreuther Szene von Horst Krüger) oder Interviews mit den Beteiligten. All dies von durchaus unterschiedlicher Qualität.
So geriet Verfasser in der Pause des heutigen Tristan in ein Interview mit der Regisseurin und Festspiel-(Co-)Leiterin Katharina Wagner. Er muss zugeben, nach der ersten ausgesucht idiotischen Frage der Interviewenden und der nicht weniger gehaltvollen Antwort von Frau Wagner schmerzschreiend zum Ausschalter gehechtet zu sein, dass er also nicht beurteilen kann, ob im weiteren Verlauf des Interviews nicht vielleicht wertvollere Sätze zutagegefördert wurden.
Die erwähnte erste Frage lautete nun, wie es denn zu erklären sei, dass das Werk "Ihres Urgroßvaters" sich auch heute noch immer so großer Beliebtheit erfreue. Die Antwort lautete, ungefähr und nur aus meinem schmerzbelasteten Gedächtnis zitierend, dass das darin begründet läge, dass er sich ja mit den ewigen Themen der Menschheit wie Liebe, Treue, Verrat beschäftige, was ja nie unaktuell werde.
Dies ist offensichtlicher Unsinn.
Denn genau dies tut der Lore-Roman am Bahnhofskiosk ja auch.
Im Munde einer schlicht-gestrickten Rundfunkmitarbeiterin mag ein solcher Unsinn noch
verzeihlich sein, -- wäre sie intelligenter, hätte sie einen anderen Beruf.
Aus dem Munde der zur Zeit jedoch für eine der wichtigsten Kulturinstitutionen der Welt
Verantwortlichen ist das jedoch nicht nur Unsinn, sondern krimineller, strafwürdiger
Schlendrian.
Nur zur Information:
Das Werk dieses Richard Wagner, jedenfalls zumindest der reifere Teil,
ist einer der wichtigsten Umschlagpunkte in der Musikgeschichte. Der dort
manifestierte Paradigmenwechsel mag nicht unvorbereitet sein, er mag Vorläufer und
Wegbereiter haben, wird aber nur hier mit dermaßener Prägnanz, Konsistenz und Konsequenz
zelebriert, dass dieses Werk bis heute unsere Auffassung von Musik, von dem was in ihr möglich
ist und möglich sein sollte,
von Grund auf umkrempelte. Es spielt in der Musikgeschichte in derselben
Liga wie die Missa Pape Macelli, wie die Kunst der Fuge, wie die
Hammerklaviersonate, allein schon was Einfluss und Auswirkungen angeht.
(Falls Sie, gnädige Frau Wagner, von derartigen Petitessen je gehört haben sollten?)
Und es würde auch in dieser Liga spielen, rein musikalisch,
wenn es nur von Kartoffelsalat mit Würstchen handelte.
Darüberhinaus jedoch, und teils sogar unabhängig davon, ist das Wagnersche Werk in seiner konkreten Faktur, seiner literatischen Vermitteltheit und seiner psychologischen Vorgehensweise auch ein Wendepunkt in der Geschichte des menschlichen Geistes an sich. Es steht vom philosophischen Gehalt und vom Erkenntniswert damit in einer Reihe mit den Werken Platons, mit der Kritik der reinen Vernunft, mir der Freudschen Psychoanalyse und dem Kapital. Es bezeichnet, ja: es bildet eine der wichtigen und unverzichtbaren Stufen in der Entwicklung des Menschlichen Geistes per se.
Darin waren und sind sich, bei aller Kontroverse in der Einschätzung, bei
aller Gespaltenheit des persönlichen Verhältnisses dazu,
alle nachfolgenden Autoren einig;
deshalb, und NUR deshalb hat Wagner
auf Baudelaire, Debussy, Nietzsche,
Proust, Mann, Shaw, Adorno, und unzählige weitere
so intensiv gewirkt,
dass es hunderte an Regalmetern von Literatur über ihn, sein Werk und sein Wirken gibt.
Und dessen transzendentalen Implikationen.
Wagner und sein Werk haben kosmische Bedeutung.
Allein die Frage danach zu stellen zeugt von abgrundtiefer Ungebildetheit und
Arroganz dem Gegenstande gegenüber.
Frau Wagner hat, nach dem, was man so hören kann, sich große Verdienste
erworben um sinnvolle Neuerungen, Entstaubungen und Erweiterungen
des Festspielbetriebes, um digitale Präsenzen,
Freiluftübertragungen, Jugendveranstaltungen, etc.
Ihre unsägliche Antwort auf jene unsägliche Frage aber zeigt, dass ihre Qualifikation zur Leiterin
einer der wichtigsten kulturellen Einrichtungen dieses Planeten tatsächlich lediglich
ihr Urenkelinnenthum ist.
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