^inh 2013082300 | monograph |
Die Tonart C-Dur tritt im Ring des Nibelungen an verschiedenen Stellen und in verschiedenen Rollen auf. Vorauszusetzen ist, dass eine derart umfangreiche Architektur wie der gesamte Ring nicht zuletzt deshalb funktioniert, weil Tonarten durchaus sparsam eingesetzt werden, und besonders bestimmte Motive und bestimmte Tonarten fest verbunden werden, und normalerweise nicht transponiert auftreten.
So ist die "Heimat-Tonart" des Siegfried-Motivs das c-moll, des Schwert-Motivs das C-Dur, des Rhein-Wallens das Es-Dur.
Die Tonart C-Dur ist historisch immer schon eine semantisch aufgeladene: spätestens seit Beethovens Fünfter, die den mühevollen Weg von c-moll nach C-Dur als Programm "per aspera ad astra" zelebriert, gilt sie als Sieges-Tonart, als Aufstrahlen des Triumphes. So auch in Werken wie der Jupiter-Sinfonie und der Waldstein-Sonate, und nicht zuletzt den letzten großen Klavierwerken Beethovens, siehe auch senza⌒tempo2010090301.
Als Ausgangstonart setzt Wagner sie in den Meistersingern, ein durchaus programmatischer und problematischer Akt.
Im Ring nun wird sie nur einmal, am Ende des Sf, tatsächlich zur Grundtonart. Sie "blitzt" aber immer wieder an zentralen Stellen auf, kurz nur, aber um so bedeutender, z.B. als Heimat-Tonart von Rheingold-Motiv und Schwert-Motiv.
Die wichtigsten C-Dur-Stellen im Ring sind ...
Rheingold | Szene 1 | Rheingold-Motiv |
Szene Vier | Erste Zeile Fluch-Motiv (geht von fis-moll nach C-Dur) | |
Szene Vier | Schwertmotiv | |
Walküre | Erster Akt | Schwertmotiv |
Siegfried | Dritter Akt | Brünnhildes Erweckung |
Schluss-Triumph/Aktschluss | ||
Götterdämmerung | (z.B. II: "Rüstet euch wohl") | Fluch-Harmonik (C-Dur mit fis im Bass) |
Götterdämmerung | Dritter Akt | Trauermarsch (Schwertmotiv, vor c-moll!) |
Besondere Bedeutung aber sehen wir im Schluss der Götterdämmerung, der eigentlich das Des-Dur als Grundtonart des ganzen Werkes und Tonart der letztlichen Erlösung feiert, dabei aber nach allen Seiten weit ausgreift.
Wie weit, das soll der folgende Auszug verdeutlichen: 1
Die Melodie des Anfanges (bei X1) ist das "Weia! Waga! Woge du Welle",
ist Ton für Ton vollkommen identisch mit der Gesangspartie am Anfang
des Rheingoldes, also mit den allerersten gesungenen Tönen des Gesamtwerkes
überhaupt!
Die Begleitung ist leicht modifiziert: Beidemale erklingen wuselige
Streicher-Akkordbrechungen des As-Dur-Dreiklanges.
Damals aber weder d noch des, und in T.149 ("(wie du) wachst. -- Sicher vor (dir)")
wurde dann mit einem d nach Es-Dur zurückgeleitet.
Hier hingegen erklingt deutlich
ein des. Dies gibt einen leicht anderen harmonischen Kontext, und damit
die "Aura des Zitathaften", die für die Gd an vielen Stellen so charakteristisch ist.
Dann folgt (bei X2) sofort das Walhall-Motiv, und zwar ebenfalls in Tonart, Lage, Harmonisierung, Stimmführung und Instrumentierung (fast völlig) identisch mit seinem allerersten Auftreten am Beginn von Rg/2. Also als wäre die ganze erste Szene Rg, die ja in der Tat in der Gesamtarchitektur ein Vorspiel auf der Doppeldominanten ist, herausgeschnitten worden.
Hier nun muss kurz auf das Walhall-Motiv als solches eingegangen werden, auf seine Grund- und Original-Gestalt, wie sie zu Beginn der zweiten Szene Rg exponiert wurde. Seine unterschiedlichen sequentiellen Bestandteile sind alle auf je andere Art durchaus charakteristisch: Die sieben Akkorde des Anfanges; mittendrin Sequenz und Abspaltung; später die coda-haft wiederholten Sekundschritte; am Schluss seines zweiten Auftretens der emphatische Sprung in den scharf-reibenden Sextvorhalt des Dominantseptakkordes (auf "Bau"). 2 Diese Schluss-Floskel bezeichnen wir mit WVh, und ihre An- und Abwesenheit wird im folgenden architektonische und inhaltliche Bedeutung tragen:
Am kühnsten aber die ersten beiden Takte, besagte sieben Akkorde,
lt. Thomas Mann "hingewälzte Felsbrocken".
Denn in der Tat bestehen diese zunächst lediglich aus mit dem
Langweiligsten, was in der klassischen Europäischen Musik überhaupt möglich ist:
einer schulbuchmäßigen "vollständigen Kadenz" der Formel T-S-T-D-T.
Der brave Bass macht die schulbuchmäßigen überdeutlichen konventionellen
Quartschritte (im Notenbeispiel bei X2).
Wie kann solch ein Allgemeinplatz motivisch signifikant, architektonisch relevant
und emotional gehaltvoll werden?
Die vom Meister getroffenen Maßnahmen sind dialektische:
Hört man zunächst die Eins des ersten Taktes als schwer, so erklingt dort
in der Melodie
die Quinte des Dreiklanges, die zur Terz fällt. Erst als letztes
der Grundton
auf der schwächsten Zeit, als Auftakt. Die Dauernverhältnisse
der auftretenden Melodietöne Grundton/Terz/Quint sind ebenfalls
gegengewichtet, nämlich 1 zu 3 zu 2 Viertel.
Auf der nächsten schweren Zeit steht die Subdominante, dauernd anderthalb
Viertel. (Oder wenn man vom Achtelauftakt abstrahiert, wie
Mann es mit der Rede von den "Sieben Akkorden" macht, gar zwei.)
Die S ist also schwerer und betonter als alle anderen Funktionen.
Dies bleibt auch so: die Rückkehr des Tonikaklanges und seine Befestigung durch
die Dominante geschehen kurz und auf schwachen Zeiten.
Dabei allerdings wird zum ersten Mal die Sekund-Bewegung aufwärts eingeführt,
was ja theoretisch auch schon mit der Subdominante hätte geschehen können, dort
aber zugunsten der reinen Terz-Melodik vermieden wird.
Diese Sekund-Bewegung wird einerseits sofort anschließend Material einer kleinen
sequenzierenden "Durchführung", andererseits im Gesamtwerk überaus wichtiges
Unter-Motiv. (Bis hin zu "(Nagt meiner) Fäden Geflecht.")
Zusammenfassend: Der Tonika-Klang erscheint schwach und beiläufig, am Anfang in Quintlage, am Ende auf der dritten Halben. Hingegen schwer und betont die Subdominante genau in der Mitte der "Sieben Akkorde". Die ersten beiden Takte haben also ihren einzigen eindeutig angesteuerten Schwerpunkt in der Mitte.
Die weitere Exposition im Rg folgt dem Gesetz der "Minimierten Willkür"; der musikalische Prozess wird sich selbst überlassen, möglichst wenig eingegriffen: Es folgt die wörtliche Wiederholung der ersten beiden Takte; die Abspaltung besagter Sekundfigur; deren ebenfalls wörtliche Wiederholung und zweimalige Sequenz der enstandenen Zweiergruppe.
Damit ist qua Sequenz F-Dur erreicht; es folgt, wie zu Beginn, die "Sieben Akkorde" zweimal, allerdings nun als Dur-moll-Rückung.
Diese ganze Abfolge, bis hin zur Kadenz, endet bei ersten Mal in der Tonart der Dominante; dann ein "träumerischen" Einwurf Wotans, fast eine kleine Durchführung; dann, als dieser endlich erwacht ist, die ganze Abfolge ein zweites Mal, mit hinzugefügtem ("eingebautem") Gesang und in Des-Dur schließend, zum ersten Mal WVh exponierend.
Dies ist der erste Teil der Ausgangsvoraussetzungen für die Gestaltung
des Gesamt-Schlusses.
Nach dem ersten, originalen Auftritt des Walhall-Motives (X2) folgt (bei X3)
wieder "Weia-Waga", diesmal gleichzeitig mit dem Erlösungsmotiv und seiner
so ausdrucksvollen Ausweichung in die moll-Parallele.
Dann (X4) das Walhall-Motiv nochmal, nun ganz schlicht auf der zweiten Stufe
sequenziert.
Diese sehr konventionelle Vorgehensweise hat (ausgehend von Dur)
stets zwei widersprechende inhaltliche Konnotationen:
erstens ist es eine "einfachst-mögliche" Art der Sequenzierung, kommt
also mit der Anmutung einer gewissen Notwendigkeit, zumindest Zwanglosigkeit.
Zweitens aber verändert es die Intervallverhältnisse erstmal zu einem
"dorischen" moll, negiert also die mathematischen Intervallverhältnisse
und das emotional wirksame Tongeschlecht.
Beginnt also die Sequenz X4 in es-moll, so wird schon der dritte Akkord durch Unter-Terzung zum Ces-Dur; diese Tonklasse ist neu und bedeutet die Negation des Dorischen, oder die Komplettierung des moll, nämlich die kleine sechste Stufe statt der großen. Die A-Normalität im Kleinen (dorische Sexte) wird also vermieden, erkauft durch eine weitergehende Verschiebung der Tonart auf der nächst-höheren Betrachtungsebene.
Diese Unterterzung wird beibehalten, die s=as-moll ersetzt durch sG=Fes-Dur; die folgende t=es-moll ersetzt durch tG=Ces-Dur.
Die D aber erklingt wieder wie nach dem originalen Sequenzmodell: Dominante nach es-moll muss B-Dur sein; während das ces das c ersetzte, tritt nun, gleichsam als Auswiegung, d an Stelle von des, und das es-moll tritt am Schluss bestätigt in seine Tonika-Funktion, allerdings, als Echo auf die Verdurung der Dominante, ebenfalls verdurt.
So haben wir bei X5 zwanglos Es-Dur (statt Des-Dur) erreicht, und die Kombination Weiawaga+Erlösung erklingt einen Ton höher, Es-Dur und c-moll sehnsuchtsvoll verbindend.
Exakt die klangliche Abfolge von X4 steht bei X5, wiederum einen Ton
höher, entsprechend dem erreichten Es-Dur statt Des-Dur
erklingt hier f-moll statt es-moll.
Wie gerade ist der dritte Akkord unterterzt, also Des-Dur statt f-moll.
Dann aber geht es anders weiter, durch Verkürzung resp. Abspaltung.
Das Sequenzprinzip läuft aber weiter, wird also ab hier auf kürzere Abschnitte,
nämlich einen Takt statt zwei, angewandt:
Takt X6 entspricht X5, einen Ganzton höher.
Takt X6+1 entspricht X6, noch einen Ganzton höher, jetzt aber der
der allererste Anschlag, der Quintton, mit dem Dominantklang harmonisiert.
Nachdem das letzte Viertel des ersten Taktes schon dreimal aus dem
am Anfang durchliegenden drei-Halbe "herausdifferenziert" worden ist,
geschieht dies jetzt auch mit der ersten Halben.
Würde man versuchen, den direkten Anschluss zu hören, so macht
der Schritt "Des-Dur als 46-Akkord -> D-Dur-Septakkord" wenig Sinn!
Nachvollziehbar, ja notwendig erscheint die Folge allerdings als
es-moll->f-moll->g-moll, wobei letzterer durch die auf schwerer Zeit
eingeschobene Dominante nur noch mal verdeutlicht wird.
Bei X6+2 wird nun genau dieser Ablauf, wieder einen Ganzton höher, wiederholt, also E-sieben->a-moll.
Es handelt sich notabene immer um "reale" Sequenzen, also das zweite Auftreten
ist "real" transponiert und negiert folglich bestimmte Stufen des Vorgängers:
Dessen moll-Terz und -Sexte werden verdurt (z.B. as wird a und des wird d
beim Übergang X6->X6+1), die vierte Stufe wird hochalteriert zum neuen
Leitton (f wird fis, ebd.) und der alte Leitton aufgegeben zugunsten
des Grundtones der Parallelen (h wird zu b).
Man beachte, dass alle diese Widersprüche erst durch die schrittweise eingeführten
neuen Harmonisierungen auf dem ersten und letzten Viertel (D und tP) in
den klanglichen Vordergrund treten und somit
deutlich werden, -- in der Originalfassung des Walhall-Motives
(wie bei X2) brachte ja der ganze erste Takt
nur die Tonika-Töne, und die Sequenz ab X6 wäre nur eine simple
Dreiklangsrückung.
Nachdem dies zweimal deutlich durchexerziert wurde, geschieht eine "Übersprungs-Handlung": Bei X7 steht zwar ebenfalls wieder, im selben Rhythmus, die Folge Dominante-Tonika, aber erstens ist das Sequenzintervall die kleine Terz, also einen Halbton größer als bisher, und zweitens steht die Tonika in Dur statt in moll.
Damit ist diese Sequenz aber keine reale mehr, sondern eine tonale. Die enorme Spannung und Dynamik der ständigen Vorzeichenwechsel (wie gerade beschrieben) kollabiert ins Gegenteil: Nur noch gis wird zum g, ansonsten bleiben wir in den a-moll-Tönen, die ja mit C-Dur identisch sind; die sP des letzten Viertels vor X7, das F-Dur, wird plötzlich im Nachhinein zum integralen Bestandteil der Kadenz nach C-Dur, zum S in der ganz konventionellen Folge S-D-T, die hier auftritt verschoben zur Motivik des Sequenzmodelles.
Hier zeigt sich wieder Wagners Genie in der großformalen Gestaltung: Dass hier das Walhall-Motiv im Gestus eines Ziel- und Höhepunktes in C-Dur erscheint, bedeutet die Synthese von Schwertmotiv (also Revolte und Aufbegehren der Wälsungen), Brünnhildes Erweckung, Siegfrieds Erwachen und Wotans Erlösung. Dieses eine Auftreten des Walhall-Motives in C-Dur ist der wahre Höhe- und Endpunkt der Götterdämmerung.
Es geht identisch weiter wie oben: X7 ist die intervallgetreue Transposition von X2 (C-Dur statt Des-Dur) und X8 die von X4 (d-moll statt es-moll), jeweils bis auf den ersten Akkord, der nun (seit X6+1) ja Dominante ist.
Auch fällt weg die Verdurung der zweiten Stufe am Ende des
wiederholten Zweitakters: X4 endet in Es-Dur statt es-moll,
X8 aber bleibt in d-moll und kadenziert darin.
So ist durch dieses syntaktische Mittel das d-moll deutlich aufgewertet,
zur "Ehre der Kadenz erhoben". Es ist ja
eigene Tonart mit eigener Geschichte,
im Ggs. zu es-moll, welches nur Durchgangsphänomen ist, hier im Kontext der Sequenz
wie mit der Nornenszene im ganzen Ring.
Damit ist die Tonart Siegmunds ebenfalls in die Gesamtschau, die Rückschau
organisch und überaus deutlich eingebunden und wird explizit
ausgesprochen und durch die Kadenz bestätigt. Mit all ihrer Aura und
Geschichte: Man kann hier sogar das allererste
Auftreten des Wälsungen-Motivs aus WkI mit-hören!
Nach jenem Es-Dur folgte f-moll, g-moll, a-moll.
Hier muss es natürlich anders weitergehen: Es erklingt am Anfang
des nächsten Abspaltungs-Teiles bei X9 die Singularität eines
übermäßigen Dreiklanges.
Dieser läßt sich als "Mischung" oder "Kompromiss" hören:
g+h als Bestandteil eines hypothetischen e-moll-Dreiklanges
entsprechen notengetreu dem as+c des f-moll-Dreiklanges von X6, halt einen
Halbton tiefer (entspricht d-moll vor X9 statt Es-Dur vor X6).
Das es wäre ein dis, wenn dieses e-moll hier (wie es seit X6+1 ja ohne
Ausnahme der Fall) durch seine eingefügte Dominante h+dis+fis dargestellt wäre.
Man kann auch sagen: in h+dis+fis ist der Quint-Ton fis durch eine frei eingestellte
obere Sekunde g ersetzt.
Die Mehrdeutigkeit des übermäßigen Dreiklanges erlaubt es nun,
mit der fallenden Terz h-g nicht nach diesem erwarteten e-moll sondern
nach c-moll zu kadenzieren.
Dieses c-moll wird danach für drei Anschläge beibehalten:
Die übliche Unter-Terzung des letzten Viertels fällt ebenso weg wie der
übliche Schritt in eine über-ferne Zwischendominante mit dem Taktstrich.
Dies ist ein plötzlicher Stillstand des harmonischen Rhythmus, der
das c-moll auf bedeutungsvolle Weise betont. Seine Dauer entspricht
der Situation im ersten Takt der Originalfassung (gar kein harmonischer Wechsel
den ganzen Takt lang), allerdings synkopisch verschoben. Wir erleben hier also
einerseits überraschendes Stocken, andererseits Rückkehr zum "altgewohnten Geräusch".
Dieser "Stau" der harmonischen Entwicklung entlädt sich, indem mit
jedem folgenden Akkordwechsel ein neues Maximum an harmonischem
Fortschreiten geschieht:
Auf der zweiten halben folgt f-moll, welches instantan durch Des-Dur
ersetzt wird, welches instantan vermollt wird; mit dem Schritt
zum zweiten Akkord in X9+1 geschehen also drei harmonische Schritte
gleichzeitig, die durch das Festhalten am c-moll über drei Akkorde hinweg
"überfällig" geworden sind.
Das heses-Dur auf dem letzten Anschlag ist dann nur die "normale" Unterterzung. Mit ihr ist der tiefste Punkt der bisherigen harmonischen Entwicklung erreicht. (Gleichzeitig aber auch enharmonisch/dialektisch die Dominante zu d-moll, von dem wir ja eigentlich weg-wollen!)
Als Konsequenz ergibt sich die kleine Sekunde
als Sequenzintervall, wenn man die Folge der Spitzentöne und der Tonika-Klänge
betrachtet.
In den Spitzentönen wird dies tatsächlich fortgesetzt (h-c-des bei X10),
nicht jedoch in den Tonika-Funktionen, denn d-moll ist im Sinne
eines übergeordneten Planes natürlich nicht sinnvoll.
Die Lösung ist eine geniale Synthese:
Der melodisch folgende Ton des wird nun einfach wieder wie in allen
anderen Abläufen zuvor (bis auf die zwei ab X8) behandelt, nämlich als Quint-Ton
des Tonika-Klanges, und (wie in allen ab X6+1) wieder
harmonisiert mit der Dominantfunktion.
Also ist hier Ges-Dur erreicht. Es folgt ein allerletzter Einsatz des Walhall-Motives auf der Subdominanten. Dieser ist zugleich überraschend, da die Sequenz verkürzt erscheint (nur zwei ein-taktige Glieder bei X9 statt drei zuvor bei X6). Andererseits aber auch zutiefst logisch und vermittelt, welcher Eindruck besonders im "Rückwärts-Hören" überwiegen wird.
Der erwähnte subdominante Schwerpunkt des ersten Doppeltakters des Walhall-Motives steht also diesmal in Ces-Dur; durch eine Ausweitung des Prinzips der Unter-Terzung auch auf diesen Anschlag erklingt dort as-moll.
Nachdem bei X11 dieser Einsatz (ganz erwartungsgemäß) in Ges-Dur kadenziert, wird einfach durch einen Auftritt des Siegfried-Motivs in fis-moll dieses als Subdominate zu Des-Dur klargestellt und der Satz schließt folgerichtig und überzeugend.
Das Handlungskonzept der Götterdämmerung beinhaltet ein schweres praktisches und dramaturgisches Problem: Auf der Erde tobt ein leidenschaftliches Drama von Liebe und Verrat, Verblendung und Rache, Mord und Gier, und letztlichem Erkennen, Verzeihen und Erlösen. Dies ist überzeugend dargestellt und ohne große Schwierigkeit nachvollziehbar. 3
Warum allerdings dabei, in Parallele zum irdischen Scheiterhaufen, auch der Grötterhimmel in Flammen aufgehen muss, -- ja, allein schon die Tatsache, dass er es tut, ist mit normalen Bühnenmitteln nicht darzustellen.
Der Meister bedient sich dazu einer "zeitlich verschobenen Teichoskopie":
In den Erzählungen der Nornen am Beginn und von Waltraute am Ende des
ersten Aktes wird der Vorgang der göttlichen Selbstverbrennung
als Vision der Zukunft deutlich in Worte gefasst, geschildert, begründet
und gerechtfertigt.
Die Musik ist nun ohne große Schwierigkeit in der Lage, am Ende des dritten
Aktes, wenn alles das dann
angeblich tatsächlich geschieht, Bezug dazu und Erinnerung daran herzustellen.
Das Mittel dazu ist das sog. Scheiterhaufen-Motiv (SchH). Es besteht aus aufwärtssteigenden punktierten Skalen, abwechselnd in Bass und Alt, abwechselnd harmonisiert mit Dominantsept- und Mollsubdominantquintsextakkord. Die Verknüpfung ist mediant, die Terz wird beibehalten.
Bezeichnen wir im folgenden mit "SchH.1", "SchH.2", etc. das erste, zweite, etc.
Auftreten des Motives. Dann stellt sich die Harmonik bei SchH.1 (siehe Notenbeispiel)
so dar:
Auf das auftaktige, recht "normal" als Hinführung wirkende, halt irgendwie eine
Auflösung fordernde G-sieben mit besagter Skala im Bass folgt ein as-fünf-sechs mit
der Skala in der Oberstimme. Harmonisch gleichsam ein "doppelter Trugschluss": statt
c-moll folgt As-Dur, das vermollt wird.
Auf dieses folgt dann B-sieben, als wären beide Klänge s und D zu Es-Dur; aber das zweitaktige Modell wird einfach fortgesetzt, es folgt also ces-56, siehe Notenbeispiel SchH.1.
Erwähnte Akkordfolge steigt also abwechselnd in kleinen und großen Sekunden an. Dieser Ablauf wird bei jedem Auftreten ganz schematisch beibehalten.
Der psychologische Eindruck dieses Motives ist bestimmt durch den Trugschluss und den überraschenden Einsatz des Mollsubdominantquintsextakkordes, der in Verbindung mit den aufsteigenden punktierten Achteln den Eindruck von Ausweglosigkeit, Verhängnis und Erbarmungslosigkeit geeignet ist zu erwecken, -- Verfasser sieht hier schon die Tanks des "Unternehmens Barbarossa" gen Osten fluten.
Dieses kurze, (fast) nie sich ändernde Motiv wird nun benutzt, um durch syntaktische Mittel die Verbindung zwischen den explizit verbalisierten Visionen vom Götterende und dem Ende des Bühnenwerkes herzustellen.
Es beginnt mit den Nornenerzählungen.
Diese gliedern sich wie folgt: Eigentlich künden die
Nornen eins bis drei von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und
das in drei "Gesprächsrunden", in denen sie sich Seil und Rederecht
zuwerfen.
Dieses einfache Schema aber verwirrt sich zunehmend:
Schon in Runde zwei hat die erste nichts mehr zu sagen. In Runde drei
wird von ihr die Vergangenheit wieder erwähnt, "Das Rheingold raubte Alberich einst."
Dies aber reicht, um vollends Verwirrung zu stiften; der Fluch ragt hinein
in die Gegenwart, wird zum schneidenden Felsenzahn, das Seil reißt.
Die Vergangenheit wird zur Gegenwart; die Zukunft wird der Hörer ab
nun "live" erleben dürfen.
Wer? | Runde 1 | Runde2 | Runde3 |
1.Norn | Astraub | Fluch | |
2.Norn | Fällung | Feuerzauber | |
3.Norn | Brand | Brand |
Immer die Dritte Norn spricht vom kommenden Brand Walhalls, die Musik
bringt das Scheiterhaufen-Motiv (SchH.1 und SchH.2).
Der Zielpunkt der Sequenzfolge von SchH.1 ist (nach zweieinhalb Abläufen)
das Weltesche-Motiv. Dies ist in seiner Originalgestalt eine simple
ab- und aufsteigende Dreiklangsbrechung,
exponiert in es-moll, auf den Text "an der Weltesche wob ich einst" der ersten Norn.
Hier nun in e-moll statt in es-moll, "die Weltesche war dies einst", nämlich
der Scheiterhaufen.
Auf SchH.2 folgt ebenfalls dieses Motiv; statt der Tonart ist hier
die melodische Gestalt modifiziert: sein zweiter Takt ist eine
gestauchte Form des zweiten Taktes des Walhall-Motives, auf den Text
"(den wirft der Gott) in der Weltesche zu Hauf geschichtete Scheite".
Beide Motive decken damit ihre nahe Verwandschaft auf.
Diese Gleichsetzung ist aber auch ein wichtiger Schritt in der das ganze
Werk umspannenden "syntaktischen Äquivalenz", die hier gelernt werden soll.
Am Ende des ersten Aktes berichtet dann Waltraute von denselben Gegebenheiten. Es erklingt SchH.3 (nun leicht andere Rhythmisierung), und nun, schon nach zwei Einsätzen, wirksam eindeutig das Walhall-Motiv, in C-Dur, gefolgt von einer harmonisch weitausgreifenden Sequenz, die nach Ges-Dur zurückmoduliert und dort dann ausladend und konventionell kadenziert.
Diese Maßnahme ist überraschend: Es wird hier nämlich
der gesamte zweite Teil der oben beschriebenen, so sorgfältig disponierten
Schluss-Steigerung vorweggenommen!
Allerdings hier im piano und vorgetragen nur von den Holzbläsern, -- am Schluss
dann ff vom Blech.
Im dritten Akt nun wandert das Scheiterhaufen-Motiv und all seine syntaktischen Zusammenhänge nun ganz in Brünnhildes großen Schluss-Monolog. Dieser beginnt sogar mit SchH.4 auf die Worte "Starke Scheite schichtet mir dort". Sein Zielpunkt ist eine "Feuer-Fläche"; in die hinein erlingt zum Text "den Leib des hehresten Helden verzehrt" das Siegfried-Motiv in fis-moll.
Kurz darauf, bei "vollbringt Brünnhildes Wort", erklingt SchH.5, (nicht im Notenbeispiel), welcher Auftritt als erster keinen direkten Zielpunkt hat, sondern sich in einer langsam die strenge Form verlierenden Fortspinnung verläuft.
Auf "Ruhe du Gott" dann das Ende des Walhall-Motives in seiner Stammtonart Des-Dur, mit Mollsubdominante und zum letzten Mal mit kompletter Endfloskel WVh.
Dann, als würde Brünnhilde sich zusammenreißen, den Gedanken an den Vater abschütteln, sich schnitt-artig der Gegenwart wieder zuwendend, zum letzten Mal das SchH.6, "Mein Erbe nun nehm ich zu eigen".
Es folgen erstes Anklingen des Rheines, Vererbung des Ringes,
Aussendung der Raben zu Loge und Wotan, sie mögen das Feuer nun entzünden,
Auftritt des Pferdes und Gruß an den Gatten.
Im amorphen Zischen und Brodeln zerfällt der musikalische Satz, bis dann,
leicht, hoch oben und zunächst scheinbar unvermittelt das
"Weia-Waga" einsetzt, und die ganze oben beschriebene Schluss-Struktur.
Am Ende des allerletzten Auftretens des Walhall-Motives in dieser Schluss-Steigerung, und damit im ganzen Ring, erklingt die so überaus charakteristische Schlussfloskel WVh ausdrücklich nicht, sondern sie wird ersetzt durch den Auftritt des Siegfried-Motives in fis-moll, wie es ganz zu Beginn von Brünnhildes Monolog schon einmal auftrat.
Damit schließt sich ein zweiter Kreis:
Das c-moll als Heimat-Tonart Siegfrieds wird ersetzt durch
ges-moll, die Mollsubdominante
der Zieltonart, -- als Aufwiegung der In-Eins-Setzung von C-Dur und Ges-Dur
beim Auftritt des Walhall-Motives.
Vielleicht wäre ein letztes Auftreten des Siegfried-Motives
in seiner Heimat-Tonart c-moll überzeugender gewesen?
Aber es müssen ja, um das Bild von Lorenz weiterzutreiben,
die Beziehungen der Tonarten
auf den unterschiedlichsten Ebenen wie mehrere gegeneinader verschiebbare
Skalen zur Deckung gebracht werden.[lorenzRing, S.51]
4
Aber man darf nicht vergessen, dass auch die Person Siegfrieds ja eine
Wandlung vollzogen hat, -- erwacht zur Erkenntnis und gegangen aus dem Leben.
Dem entspricht dieser Tonartwechsel, der darüberhinaus die
mit syntaktischen Mitteln die formalen Kreise des Gesamtwerkes schließt:
Auf die C-Dur-Sequenz, die Waltraute im ersten Akt schon vor-exponierte,
vorher-sah, folgt das fis-moll-Sf-Motiv, das Brünnhilde im letzten Akt,
am Beginn ihres Monologes angesprochen hatte:
Die Fragmente schieben sich zusammen; der Ring ist geschlossen;
das profane Verbrennen "des edelsten Leibes" ist integraler
Bestandteil des Erlösungsplanes:
Wann? | Wer? | ||||
Vorspiel | 3. Norn | SchH.1 | Weltesche-M | ||
Vorspiel | 3. Norn | SchH.2 | Weltesche-M | (Walhall-M) | |
I/3 | Waltraute | SchH.3 | Walhall-M Sequenz C-Dur->Ges-Dur | ||
III/3 | Brünnhilde | SchH.4 | Sf-M in fis | ||
III/3 | Brünnhilde | SchH.5 | ... | ||
III/3 | Brünnhilde | SchH.6 | Walhall-M Des-Dur->C-Dur->Ges-Dur | Sf-M in fis |
^inh 2013082301 | phaenomen |
Vorangehende Betrachtung des Schlusses des Ringes zeigte,
dass die Sequenz des Wahlhall-Motives, die hauptsächlich die allerletzte
Schlusswirkung des gesamten Riesenbaues
trägt, konstruiert ist, um "Im Inneren des Hörers", "Im Nachhören"
als unendlich fortsetzbar aufgefasst zu werden.
Alle die gewaltsamen Rückungen werden im Nachhinein als folgerichtig,
ja, als "natur-gewollt" rück-begründet. Folglich können viele weitere,
neuartige, hier garnicht notierte
Fortsetzungen (so z.B. fast alle denkbaren übermäßige Dreiklänge und
ihre Auflösungen) in den Prozess des Nach-Erlebens vom Hörer selbst eingefügt und
als logisch empfunden werden. Und dies in alle Ewigkeit.
Dieser Prozess hat keine natürliche Grenze, keinen Punkt an dem er
abbrechen muss, -- ihn anzuhalten, was immer nur durch Um-Biegen gelingt,
ist eine Sache der freien Entscheidung.
Dies gilt ähnlich für alle "modernen" Sequenzen, womit wir in diesem Zusammenhang solche ab der Vor-Klassik meinen, nämlich die, welche über ein festes A-A'-X-Modell hinausgehen, wie es bei J.S.Bach ubiquitär ist, obwohl auch bei ihm vereinzelt diese "moderne" Variante schon auftritt, die mehr als zwei-einhalb Schritte vollzieht und prinzipiell offen ist in ihrem Abbiege-Verhalten und ihrem tonalen Ziel.
Typische Beispiele sind immer die Dispositionen der Durchführungen der klassischen/romantischen Sonatenhauptsätze: So kann man z.B. die Sequenzfolgen des ersten Satzes von Beethovens Achter wunderbar im Kopf weiterführen und permutieren lassen einmal um den ganzen Quintenzirkel, einmal um den ganzen Erdball, einmal durch alle tonale Erinnerung, die man überhaupt in seinem Schädel gespeichert hat.
Durch diesen Effekt der "sich-selbst-weiterschreibenden Erinnerung"
erzielen diese Sequenzen die Vereinbarkeit der so widersprüchlichen
Eindrücke von (a) grenzenloser Möglichkeit und (b) strenger innerer Logik.
Beim wiederholten psychischen Erleben der konkreten Gestalt,
des aufgeführten Werkes, das ja in der Tat irgendwo sein Ende findet, qua Rückbiegung,
reibt sich dieses deutlich mit der Erwartung und Erinnerung
dieser Unendlichkeit, und führt in einem weiteren Synthese-Schritt zur
erneuten Modifikation und Erweiterung
der frischen, nachfolgenden
Erlebens-Vorgänge des psycho-internen Modelles.
Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, weil die Regeln streng sind.
Und du selber bist es, der diese Möglichkeiten explorieren darf/muss/soll.
Dies sind die wahre Semantik und die intendierte
Bedeutung, auch eine politische, der modernen Sequenztechnik.
^inh 2013082302 | monograph |
Bisher hielt der Verfasser folgende Stelle immer für die tiefste, also am stärksten sub-dominantische Tonart-Angabe der Weltliteratur: Goofy in der Rolle des Dschingis-Khan [gadk] will einem Gast und dem versammelten Hofstaat seine tieftraurige Lebensgeschichte erzählen, die erklärt, warum er die Welt vernichten will, und fordert vom Hofmusiker dazu melodramatische Untermalung mit den Worten ...
Ich hatte damals, in den Neunzigern, sogar ein Computer-Passwort daraus abgeleitet, weil dieser Unsinn so einprägsam ist. Die Tonart ces-moll gibt es natürlich nicht, im funktionalen System. Es wäre eine Vorzeichung mit ZEHN b-Vorzeichen, also vier b-s und drei Doppel-b-s. c-moll hat ja schon drei bees, und dann kommt vor jeden der sieben Tonleiter-Töne nochmal eines davor, dann hat man ces-moll.
Tonarten mit doppelten Vorzeichen sind allerdings nicht mehr im System, wenn es auch durchaus Akkorde mit derartigen Bezeichungen gibt, z.B. die tiefste Stelle des "Wohltemperierten Klavieres", der Heses-Dur-Sextakkord auf der Eins des Taktes 45 in der As-Dur-Fuge im zweiten Band.
Sehr viel später erst fiel mir dann auf, dass es vielleicht DOCH eine lang ausgesponnene Partie in der unmöglichen Tonart "ces-moll" gibt, und das noch an prominenter Stelle: Die ganze erste Szene des ersten Aktes der Götterdämmerung nämlich steht notiert in einem h-moll, welches im Kontext des vorangehenden Vorspiels und der nachfolgenden Teile betrachtet durchaus zweifelhaft ist. Könnte es sein, dass die ganze Gibichungen-Szene tatsächlich ("wirk-lich") vielmehr in ces-moll steht, und der arme Gunther ein zweiter Goofy-Khan ist?
Dies ist die berühmte, begrüßenswerte Tonarten-Kurve aus Lorenz, Das Geheimnis der Form bei Richard Wagner, [lorenzRing], mit der entsprechenden Korrektur ces-moll statt h-moll. Erscheint irrngxwie logischer, oder?
[gadk]
Goofy als Dschingis-Khan Ehapa Verlag, Köln, 2009 (Reprint!) ISBN 978-3-7704-3275-2 |
1 In diesem Auszug werden die Akkorde nicht auf ihre harmonische Substanz reduziert, sondern weitgehend lage-getreu dargestellt, da die Verteilung der charakteristischen Dissonanzen auf die Oktavregister klanglich und architektonisch konstitutiv wirkt.
2 Auch dieses Motiv ist bei jedem Auftreten ein deutliches Beispiel, wie klanglich bedeutend und konsitutiv wirksam bei Wagner die Lagen-Behandlung, das "voicing" der Stimmen ist.
3 Verfasser erinnert sich gerne, wie er vierzig meistenteils völlig unvorbereitete Mitreisende einer Chorfahrt in Budapest zum Besuch einer Aufführung des Werkes in ungarischer Sprache bewog, und fast alle hellauf begeistert die fünf Stunden verließen.
4 So muss ja auch z.B. das Schwertmotiv in den letzten Takten des Rheingoldes aus "lokalen Gründen" transponiert werden.
©
senzatempo.de
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