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^inh 2018071301 | monograph |
Im Verlaufe unserer Forschung nach neueren Ansätzen zu Theorien der Harmonielehre
stießen wir auch auf das Buch [stegemann].
Dies enthält sehr interessante Überlegungen über Symmetrie-Verhältnisse
in atonalen und tonalen Sätzen (was immer das auch sei, wie Stegemann das zutreffend
problematisiert !-)
Leider ist das Buch teilweise doch recht unübersichtlich geschrieben.
So werden z.B. immer wieder
grundlegende Eigenschaften auf komplizierte Weise
als a posteriori auffindbare, als empirische Erkenntnisse präsentiert, die
bereits in der Konstruktion der Grundbegriffe zwingend angelegt sind, also rein
analytische sind. Es wird umständlich als aufgefundenes Ergebnis berichtet, was
bei einer entsprechenden Darstellung schon bei der Konstruktion
unmittelbar einsichtig sein sollte und als zwangsläufig begreifbar.
Andererseits setzen die dem Buch zugrundeliegenden Werke [mazzola] und [mazSteg]
beim Lesen den geübten Umgang mit mathematischen Strukturen voraus, was bei Musikern
auch nicht immer gegeben sein wird.
Deshalb versuchen wir hier eine kurze, deutlich aufgeräumtere und dem konkreten
Tondenken folgende Paraphrase
des allgemeineren Teiles des an sich doch sehr begrüßenswerten Werkes.
Die einzelnen Analysen verschiedener historischer Werke von Bach bis
Schönberg sollten auf dieser Grundlage dann wieder ohne große Schwierigkeiten
im Originaltext nachvollziehbar sein.
Ausgangsfrage für alle folgenden Überlegungen könnte die sein nach der Konstruktion einer Zwölftonreihe, deren zweite Hälfte eine Transposition ihrer ersten ist.
Wenn zwei Halb-Reihen ihre gegenseitige Transposition sind, dann sind es allemal
ihre Ton-Vorrate, also die aufsteigend sortierte Menge ihrer Tonklassen
(= Tonhöhen modulo Oktave). Eine solche sechs-elementige Menge wird auch Hexachord
genannt.
Überlegen wir also ganz grundsätzlich, wie Paare von komplementär-isomorphen Hexachorden
aussehen können. Das sind solche, die sich zum zwölftönigen Total ergänzen
und zugleich ihre gegenseitige Transposition sind.
Als Transpositionsintervall t kommen zunächst alle Intervalle von 1 bis 6 Halbtonschritten in Frage, -- danach wiederholen sich die Verhältnisse, da wir ja immer "modulo 12" rechnen, auf den kreisförmig angeordneten zwölf Tonklassen.
Wenn ich mit Schritten der Länge t durch diesen Zirkel gehe, komme ich irgendwann am Ausgangspunkt wieder an. Die Folge der dabei berührten Punkte ist ein Orbit des Ausgangspunktes. Damit t brauchbar ist, muss die Länge der sich ergebenden Orbits geradzahlig sein, was man sieht wie folgt:
Bezeichnen wir die Zugehörigkeit zum ersten Hexachord im folgenden symbolisch mit
"X" und die zum anderen mit "O". Wenn ich den Startpunkt n des Orbits mit "X" bezeichne, muss ich
den nächsten Punkt (an der Stelle n+t) mit "O" bezeichnen,
weil er da ja die Transposition der ersten Tonklasse darstellt,
in genau dem Intervall t, welches die beiden Hexachorde auf einander abbilden soll.
Der dritte Punkt bei n+t+t muss dann aber wieder "X" sein.
Wäre es nämlich wieder ein "O", dann müsste ja t Schritte tiefer
ein "X" stehen, was aber dem dort bereits eingetragenen "O" wiederspräche.
Also wechseln sich auf jedem Orbit die Zugehörigkeiten "X" und "O" streng ab;
also muss die Orbitlänge geradzahlig sein.
Für t=1 ergibt sich nur ein einziges Orbit, alle Tonklassen wechseln streng ab, die beiden
Hexachorde sind folglich zwei Ganztonleitern; das Muster der Zugehörigkeiten der Tonklassen
der chromatischen Skala ist
O X O X O X O X O X O X
Für t=2 ergeben sich zwei Orbits der Länge 6. Es gibt zwar zwei mögliche gegenseitige
Lagen der Startpunkte der Orbits, aber beide führen zur selben Struktur aus abwechselnden
Zweiergruppen:
X X O O X X O O X X O O
Wir haben also Folgen von kleinen Sekunden und Terzen in den Hexachorden.
Für t=3 ergeben sich drei Orbits der Länge 4. Jedes Orbit zeigt (wieder abgebildet auf
die aufsteigende chromatische Skala) das Muster
X . . O . . X . . O . .
wobei "." die für die "übersprungenen" Tonklassen steht.
Alle drei Orbits sind um eine Position im Halbton-Zirkel verschoben.
Um zwei Orbits zu kombinieren gibt es (modulo Zyklus und Spiegelung) nur zwei Möglichkeiten:
Die "X" liegen direkt nebeneinander oder durch eine Lücke "." getrennt:
X x . O o . X x . O o .
X . x O . o X . x O . o
Im ersten Fall ergibt sich, egal wie das dritte Orbit belegt wird, immer (modulo Zyklus) das
neue Verteilungsmuster
X X X O O O X X X O O O
Im zweiten Fall kann sich dieses ergeben, oder das bereits bekannte alternierende:
X O X O X O X O X O X O
Für t=4 = große Terzen ergeben sich vier Orbits der Länge 3. Es ist also keine Konstruktion möglich.
Für t=5 = Quarte ergibt sich nur ein einziges Orbit. Die Zugehörigkeit der chromatisch
angeordneten Tonklassen ist also streng abwechselnd wie bei t=1:
X O X O X O X O X O X O
Als vielseitigstes Intervall bleibt t=6. Dieses wird im folgenden kurz und metaphorisch als Tritonus bezeichnet. Die sechs Orbits sind die kürzest möglichen. Sie haben die Länge 2 und auch auf ihnen müssen "X" und "O" sich abwechseln.
Konstruieren wir also Paare von komplementär-tritonustransponierten Hexachorden. Dazu stellen wir im folgenden die Tonklassen in zyklischer Anordnung dar. Die dabei sich jeweils genau gegenüber liegenden Tonklassen haben den Abstand eines Tritonus und müssen verschiedenen Hexachorden angehören; die Tritonus-Transposition des fertigen Hexachords entspricht dann einer Punktspiegelung des ganzen Bildes am Mittelpunkt oder einer Drehung um 180 Grad, wodurch die "X" und "O" ihre Position genau austauschen:
| . | . X | . . | . --------+-------- . | . . | O . | . | |
Eine jede Drehung entspricht bekanntlich der Hintereinanderausführung von zwei Spiegelungen an zwei Achsen, die sich im Drehpunkt schneiden und den halben Drehwinkel einschließen. Im folgenden betrachten wir nur Achsen, die zwischen zwei Tonklassen hindurchlaufen, also einen halben Halbtonschritt von den unmittelbar benachbarten Tonklassen entfernt sind. Zwei beliebige solche Achsen im Winkel von 90 Grad sind oben bereits eingezeichnet. (Es sind ja auch Achsen denkbar, die gleichsam durch eine Tonklasse laufen und rechts und links jeweils 5 Punkte auf einander abbilden.)
Beginnen wir mit der Konstruktion des Hexachordes mit einem der drei parallel zu den Achsen dem Kreis einbeschriebenen Vierecke, z.B. dem Quadrat. Weil die gegenüberliegenden Punkte verschieden sind, müssen genau zwei "X" und zwei "O" auf die Ecken verteilt werden. Aus demselben Grund liegen die "X" auch entlang einer Kante, nicht etwa sich gegenüber. Deshalb wird zwangsläufig die eine Achse zu einer Komplementärachse, kurz K-Achse, die "X" auf "O" abbildet und umgekehrt. Die andere Achse wird zur Symmetrie- oder S-Achse, die gleiche Symbole auf einander abbildet:
K . | . X | O . | . S --------+-------- . | . X | O . | . | |
(Bei anderer Verteilung muss das Bild halt gespiegelt oder gedreht werden; strukturell gibt es nur diese eine Anordnung.)
Die Existenz einer K- und einer S-Achse gilt für jedes eingezeichnete Viereck, so lange man es alleine betrachtet. Wenn nun dem ersten Viereck ein zweites hinzugefügt wird, dann können die K- und S-Achsen der beiden Vierecke aufeinander liegen und das Gesamtbild hat auch solche Achsen. Oder aber sie können sich unterscheiden, dann hat das Resultat keine K- und S-Achse. Die längere Kante des neuen Vierecks sei parallel zur S-Achse des Quadrates. Dann gibt es zwei Möglichkeiten einer symmetrischen Gesamtfigur und eine unsymmetrische:
K K . | . . | . . | . x | o x | o x | o X | O O | X X | X S --------+-------- S --------+-------- --------+-------- X | O O | X O | O x | o x | o x | o . | . . | . . | . | | | |
(Es gibt nur eine(1) unsymmetrische Figur, weil das Quadrat ja entlang der Achse S symmetrisch ist, also die vierte Möglichkeit für das neue, längliche Rechteck (oben "O" und unten "X") nur eine Spiegelung der dritten Möglichkeit ergibt.)
K- und S-Achse treten bei tritonustransponierten Hexachordpaaren
immer beide zusammen auf, oder auch nicht.
Seien h und v die Achsenspiegelungen, dann gilt für deren Verknüpfung laut Konstruktion ja
h(v("X")) = "O"
Wenn v eine Komplementärachse ist, dann gilt an jeder Stelle
v("X") = "O"
und daraus folgt dann für jede Stelle auch
h("O") = "O",
was bedeutet, dass h eine Symmetrieachse ist.
Die umgekehrte Folgerung ist ebenso ableitbar.
Wenn die Anfangsachsen nach Hinzufügung des zweiten Rechtecks keine K- und S-Achsen mehr sind, dann können ja evtl. die beiden anderen möglichen Achsenführungen solche sein. Anders formuliert: Durch Drehung der Achsen um einen Halbtonschritt nach links oder rechts können diese evtl. wieder zu K- und S-Achse werden. Das ist auch für die unsymmetrische Figur oben nicht ausgeschlossen.
Um dies einfacher zu untersuchen betrachten wir Lmax als die Größe des maximal zusammenhängenden Bereiches desselben Zeichens. Beginnen wir immer unten links im Uhrzeigersinn mit dem Abtragen einer "X"-Folge von der maximalen Länge und der daraus folgenden eindeutigen Fortsetzung. So muss diese Folge von je einem "O" rechts und links beendet werden, und alle die so gesetzten Werte bestimmen ihr Komplement gegenüber. Erst danach betrachten wir die möglichen Varianten der weiteren Auffüllung:
Lmax = 1 gibt überhaupt keine Lösung, da es "oben rechts" zwei widersprüchliche Anforderungen gibt: "O" wegen der Tritonus-Komplementarität und "X" wegen des von Lmax bestimmten Rhythmus:
O | * <-- Konflikt O/X X | . O | . ^ -------+-------- \ X | . \ O | . \ X | O starte hier ---/ | |
Lmax = 2 ist schon überraschend weit determinierend:
x | o . | o . | x --------+-------- O | . X | . X | O | |
Für die fehlenden beiden Positionen können nur "O X" oder "X O" eingesetzt werden, da mit "O O" oder "X X" Lmax überschritten würde. Das ergibt zwei Lösungen:
x | o x | o X | o O | o O | x X | x --------+-------- --------+-------- O | x O | o X | o X | x X | O X | O | [KS-1] | [KS-2] |
Wenn wir die Achsen im einen Halbtonschritt im Uhrzeigersinn drehen, wird aus der vertikalen eine S-Achse und aus der horizontalen eine K-Achse.
Für Lmax=3 gibt es zwei Anordnungen:
x | o . | o O | o --------+-------- X | x X | . X | O | [non-1] [non-2] |
Am fehlenden Punkt kann zwischen "X" und "O" ausgewählt werden. Es gibt niemals eine K-/S-Achse, denn um die Dreiergruppe von "X" auf die von "O" abzubilden muss eine Achse durch ein Element laufen, nicht zwischen zwei Elementen, wie es ja oben gefordert wurde.
Charakteristisch für beide Lösungen ist die Folge von Segmenten von ein bis drei gleichen
Symbolen, die entweder mit zunehmender oder abnehmender Länge auf einander
folgen und damit jede Symmetrie brechen:
[non-1] = X O O X X X O X X O O O ...
[non-2] = X X X O O X O O O X X O ...
Bei LMax = 4 muss die initial gesetzte Viererkette aus "X" rechts und links durch ein "O" beendet werden, damit sind alle Punkte schon festgelegt:
x | o O | o X | o --------+-------- X | o X | x X | O [KS-3] | |
Kippt man die Achsen einen Halbtonschritt gegen den Uhrzeigersinn, so erhält man K- und S-Achse.
Lmax = 5 ist wiederum nicht möglich; wie bei Lmax = 1 erhält man einen Widerspruch:
O/X| . X | . X | . --------+-------- X | . X | . X | O | |
Lmax = 6 gibt genau eine Lösung mit K- und S-Achse:
K X | O X | O X | O S--------+-------- X | O X | O X | O [KS-4] | |
Es gibt also zwei strukturell verschiedene nicht-symmetrische Hexachordaufteilungen und vier symmetrische, wenn man Paare von tritonustransponiert-komplementären Hexachorden sucht.
Sehr einfach lassen sich die (im folgenden wichtigen) symmetrischen komplementär-tritonustransponierten Hexachorde wie folgt in der Grafik erkennen: Bezeichne Spaltenpaar die Menge der vier Punkte mit gleichem absoluten Abstand zur K-Achse und Spalte die Teilmenge eines Spaltenpaares auf einer Seite der K-Achse. Dann besteht jedes symmetrische, komplementäre und tritonus-transponierte Paar von Hexachorden in einer bestimmten Auswahl von je einer Spalte je Spaltenpaar:
Spaltenpaar +-------+ | | v K v K K K X | O O | X X | O O | X X | O X | O O | X O | X X | O X | O X | O X | O S--------+------- S--------+-------- S--------+-------- S--------+-------- X | O X | O X | O X | O X | O X | O O | X O | X X | O O | X X | O O | X | [KS-4] | [KS-3] | [KS-2] | [KS-1] |
Aus der Ungleich-Verteilung der Sechser-, Vierer- und Zweiergruppen ist evident, dass KS-2 bis KS-4 keine anderen Symmetrieachsen haben können. Einzig KS-1 hat drei verschiedene Möglichkeiten, K- und S-Achse zu positionieren.
In der musikalischen Umsetzung sollen sich die
Hexachord-Paare nun so ausprägen, dass
zu einem gegebenen Zeitpunkt oder in einem bestimmten Wahrnehmungskontext
oder in einem wie auch immer definierten Ausschnitt des Werkes (="Zeitfenster")
entweder die Tonklassen des einen symmetrisch-tritonustransponierten-komplementären
Hexachordes oder die seines Komplementes erklingen, aber keine Mischungen stattfinden.
(Man könnte auch neutraler sagen: Entweder die Tonklassen des einen oder die des anderen
Hexachordes.)
Daraus folgt die schwäche Bedingung, dass jede Tonklasse x
(in solchen Ausschnitten) nie mit K(x), ihrer Spiegelung an der K-Achse,
gemeinsam auftreten darf.
Dieses gemeinsame Auftreten (bezogen auf eine festgelegte Position der Achse K)
nennen wir K-Konflikt,
sein Fehlen K-konfliktfrei. K(x) nennen wir das "K-Komplement von x".
(Stegemann wechselt in seinen Darlegungen öfter zwischen der stärkeren Bedingung der
Hexachordzugehörigkeit und der schwächeren der K-Konfliktfreiheit, leider meist ohne
das explizit zu erwähnen.)
Legen wir nun fest, dass die Tonklassen in unserer Darstellung im Uhrzeigersinn wachsen. Dann ergeben sich folgende Abstände der Tonklassen in Halbtonschritten zu ihrem jeweiligen K-Komplement:
K K +1| -1 1 | 11 +3 | -3 3 | 9 +5 | -5 5 | 7 S --------+-------- S --------+-------- -5 | 5 7 | 5 -3 | 3 9 | 3 -1 | 1 11| 1 |
... wobei, wegen der zyklischen Struktur, gilt +11=-1, +9=-3 und +7=-5.
Diese intervallischen Abstände sind nun bestimmend für die möglichen Standorte für Dur- und moll-Dreiklänge. Diese haben bekanntlich einen Aufbau, der sich in Halbtonschritten von unten nach oben darstellt als 4+3=7 und 3+4=7.
Wenn ein Dreiklang also den o.e. Strukturzusammenhang bilden soll, wo nur Töne aus einem von zwei (noch zu bestimmenden) Hexachorden auftreten sollen, dann muss K so gewählt werden, dass es weder die kleine Terz (3 Halbtonschritte) noch die Quinte (7 Halbtonschritte) halbiert. Denn dann wäre ja schon die schwächere Bedingung der K-Konfliktfreiheit innerhalb der Dreiklangstöne verletzt.
Ein gegebener Dreiklang (moll oder Dur)
verhindert also zwei von den sechs möglichen Positionen für K (= "K-Räume").
Umgekehrt verhindert ein gegebenes K von den je 12 möglichen Dur- oder moll-Dreiklängen je vier,
nämlich die wo das "obere Ende" oder das "untere Ende" der K-Achse die kleine Terz
symmetrisch teilt oder die Quinte.
(Eine derartige Teilung der Quinte fällt übrigens immer zusammen mit der gleichartigen
Teilung ihrer komplementären Quarte
(= Intervall vom Quintton des Dreiklanges hinauf zur
Oktave seines Grundtones) durch "das andere Ende
der K-Achse", genauso wie die Teilung der kleinen Terz mit der ihres Komplementärintervalles,
der großen Sechste.)
Sei K nun fest. Moll- und Dur-Dreiklänge haben über dem Grundton eine Quinte, also ist genau dort für beide eine Lücke in der Folge möglicher Dreiklangs-Grundtöne, wo diese Quinte von K halbiert werden würde. Das ist 3,5 Halbtonschritte unter K. Die kleine Terz (3 Halbtonschritte) wird in moll ebenfalls vom Grundton abgetragen. Der Abstand der beiden Mittelachsen (von Quinte und kleiner Terz) ist gleich der Hälfte ihres Größenunterschiedes (4 Halbtonschritte), also liegt die Achse der kleinen Terz 2 Halbtonschritte unter der Achse der Quinte. Die Lücke, wo also relativ zu K kein moll-Dreiklang beginnen darf, liegt also 2 Halbtonschritte höher als die gemeinsame, quint-basierte Lücke.
Umgekehrt bei Dur: Die Lücke wegen der Terz liegt 2 Halbtonschritte unter der gemeinsamen Lücke. Im Bild:
K oder positiv, K . | . wo sind Dur/moll Dm | m KEIN-m | . möglich: D | Dm . | . Dm | - S --------+-------- S --------+-------- KEIN-Dm | . - | Dm . | . Dm | D KEIN-D| . m | Dm |
Hier haben wir Gebrauch davon gemacht, dass die rechte Hälfte in obigem Bild nicht eigens analysiert werden muss, da ja die möglichen Aufteilungen in Hexachorde 180-Grad-drehsymmetrisch (=zentralsymmetrisch) sind.
Diese sich ergende Verteilung der möglichen Dreiklangs-Standorte hat wichtige Konsequenzen:
a) je Tongeschlecht gilt: die beiden Lücken liegen so dicht beieinander, dass es einen
Bereich von drei zusammenhängenden Positionen gibt, wo Dreiklänge erlaubt sind.
(Im folgenden kurz "Dreierbereich")
b) die Dreierbereiche von moll und Dur überlappen an genau einer Stelle, die
der gemeinsamen Lücke im Abstand drei gegenüber liegt.
c) der jeweils vereinzelte Position des einen Geschlechtes liegt jeweils am
anderen Ende des Dreierbereiches des anderen Geschlechtes.
Das hat wiederum ganz praktische Auswirkungen:
Genau gegenüber dem Dur-Dreierbereich liegt also ebenfalls ein Dur-Dreierbereich.
Die Spiegelung am Mittelpunkt entspricht 6 Halbtonschritten, also einem Tritonus.
Kombiniert man also die zwei Halbtonschritte innerhalb eines
Dreierbereiches jeweils mit der Spiegelung, so erhält man
zwei Quintschritte zwischen Dur- (oder moll-) Dreiklängen, also
eine konventionelle Kadenz.
Anders herum ist eine konventionelle Kadenz auch nicht anders möglich als in diesen Abständen. Eine vollständige konventionelle Kadenz in Dur legt also K auf +1,5 Halbtonschritte über der Tonika fest, eine solche in moll auf 0,5 unter der Tonika. (Beides modulo 6, selbstverständlich.)
Die Tonika der moll-Kadenz liegt dabei zwei Halbtonschritte = ein Ganztonschritt = zwei Quinten über der Tonika der Dur-Kadenz. Es ist also der "Molldreiklang der zweiten Stufe" und funktional gesehen die Subdominant-Parallele. Ihr Tonvorrat liegt also eine Quinte tiefer als die der Dur-Tonart. (Z.B. enthält ein d-moll die Tonklasse "b", während das C-Dur die Tonklasse "h" enthält.)
Der Übersichtlichkeit halber zeigen folgende Diagramme unterschiedliche Kombinationen der Kadenzen:
K K Ds |. D |. . | d [T] | . S | . S | . S --------+-------- S --------+-------- . | . . | [S] . | T . | T t |. . |[D] Dur-Kadenz und überlappende Dur-Kadenz und ihr moll-Kadenz Tritonus-Komplement "[..]" |
Eigenschaft c) oben hat auch eine wichtige Konsequenz: Der einzelne moll-Dreiklang läßt sich als Subdominante in die Dur-Kadenz einbauen und der einzelne Dur-Dreiklang als Dominante in die moll-Kadenz. In der Reihenfolge der Konstruktion ergibt sich damit s-T-D und s-t-D, in der der klingenden Realisierung meist s-T und s-D-t.
Bis jetzt wurden die Dreiklänge jeweils nur einzeln überprüft, ob sie bei gegebenem K
"ganz auf einer Seite" einer komplementären Zerlegung liegen, also frei sind von
K-Konflikten = komplementären Paaren (x, K(x)).
Diese Frage läßt sich auch auf ganze Kadenzen anwenden. Dabei ist allerdings klar,
dass ihr Tonvorrat mit sieben Tönen allemal jedes Hexachord übersteigt, also die
Komplementfreiheit nur maximal für eine sechs-elementige Untermenge gegeben sein kann.
(so auch [stegemann, S.48])
Oben waren die Grundtöne der Dreiklänge eingezeichnet. Es fehlen nur die Terzen und die
Quinte der Dominante, hier als S3, T3, D3 und DD symbolisiert:
Dur-Kadenz mit Terzen: Beispiel auf C-Dur: K K | | D | . G | . . | S3 . | A S | . F | . S --------+-------- S --------+-------- T3 | *D3* E | *H* . | T . | C DD | . D | . | | |
Die Durterzen bilden bekanntlich in sich auch einen Quint-Turm, den man auch eine Quinte über den Quintton der Dominante setzen kann (DD -> S3 ist auch eine Quinte, im Beispiel: D->A, unter Ignorieren des syntonischen Kommas). Dann erhält man sechs Quinten übereinander, die sog. "pythagoreische" Konstruktion der Dur-Tonleiter. Erst die oberste Quinte fällt aus dem Hexachord heraus, alle anderen Tonklassen passen in einen einzigen isomorph-komplementären Hexachord. (Ähnlich auch [stegemann, S.48])
Bei moll ist es umgekehrt: Der Quintturm der drei Terztürme kann als unterer Teil eines Quintturmes aufgefasst werden (d3 -> s ist auch eine Quinte, im Beispiel: C -> G)
moll-Kadenz mit Terzen: Beispiel auf d-moll: K K | | s | . G | . . | d . | A t3 | s3 F | *B* S --------+-------- S --------+-------- dd | . E | . . | d3 . | C t | . D | . | | |
Hier ist es umgekehrt: Die im Quintenturm tiefste Tonklasse = s3 muss weggelassen werden, damit alle anderen sechs Töne in einen einzigen Hexachord passen.
Die pythogoreische Konstruktion der Dur-Tonleiter zeigt auch, dass das so sein muss: Jeder Quintschritt aufwärts (sieben Halbtonschritte) entspricht einem Schritt auf dem Kreis aufwärts (bei uns: im Uhrzeigersinn), kombiniert mit einer Zentralspiegelung. Diese kann man aus der folgenden Betrachtung ausschließen, da die Verhältnisse ja symmetrisch sind. Eine Quinte kann keinesfalls in einen isomorph-komplementären Hexachord eingebaut werden, wenn sie an einer Position x steht, für die gilt (K(x)-x)mod 12 = 7. Dies ist nur an zwei (punktsymmetrischen) Stellen im Kreis der Fall; danach folgen die sechs Positionen mit den Abständen 5, 3, 1, 11 und 9, auf denen jeweils eine Quinte stehen kann. Das bildet insgesamt ein Quintenturm von sechs Tonklassen, der an jener Stelle x endet, an der es nicht weitergeht.
Die ersten drei Tonklassen liegen (weil auf dem Kreis schrittweise folgend) in drei verschiedenen
Spalten. Sie liegen auch in drei verschiedenen Spaltenpaaren, da der Anfang (bei K(x)-x=5)
eine äußere Spalte ist. (Denn: Die Abstände 5 und 7 senkrecht zur K-Achse
sind die größten auftretenden.)
Wichtig ist, dass der dritte Schritt (von Position 1 nach 11) die K-Achse überschreitet,
also in die andere Spalte der mittleren Spaltenpaar übergeht, was aber durch die
Zentralspiegelung wieder rückgängig gemacht wird. Also werden tatsächlich nur drei
Spalten (aus jedem Spaltenpaar eine) benötigt, und alle Tonklassen fallen in einen
isomorph-komplementären Hexachord.
Dieser heißt "hexachordum naturale" [stegemann, S.30] und entspricht unserem "KS-2" oben.
HERLEITUNG FIXME BESSER !?!?!??
Unter "charakteristischer Dissonanz" versteht man eine einem Funktionsdreiklang hinzugefügte weitere Tonklasse, die, wie der Name ja sagt, (a) zu mindestens einer anderen seiner Tonklassen dissoniert und (b) nur mit dieser Funktion auftritt, sie also (deutlich) charakterisiert.
Hier verlässt Stegemann die Frage nach einem Hexachord und stellt nur die deutlich schwächere Bedingung, dass (bei gegebener Position der K-Achse) keine K-Konflikte auftreten.
(Diese Vereinfachung ist zwingend nötig, denn die empirisch relevanten charakteristischen Dissonanzen stehen ja im Tritonus-Abstand zu einem Akkordton (Sixte ajoutée im f-moll-Dreiklang = as-d; Septime im G7 = h-f). Deshalb sprengen sie die Grenze jedes tritonus-transponierten Hexachords.)
Jeder Dur-Dreiklang der Kadenz besteht aus den Tonklassen im Abstand 0, 4 und 7 zum Grundton. Hier nochmal die (oben abgeleitete) einzig mögliche Verteilung der Grundtöne der Funktionsdreiklänge relativ zur K-Achse (modulo 6) beim Auftritt einer vollständigen Kadenz, hier mit eingezeichneten Terz- und Dominantönen:
K K D | . s | t T | S3 . | d S | T3 . | s3 S --------+-------- S --------+-------- . | D3 d5 | t3 . | S5 t5 | d3 D5 | T5 s5 | . |
Auf diese Lage beziehen sich die folgenden Überlegungen. Hier liegen (wie oben gezeigt) alle Töne eines einzigen Dreiklangs K-konfliktfrei, und alle Töne zusammen sogar (bis auf den quintenmäßig höchsten in Dur und tiefsten in moll) sogar in einem einzigen Hexachord, dem o.e. "hexachordum naturale".
Für jeden Funktions-Dreiklang im Rahmen der Kadenz sind als Zusatztöne
möglich alle Tonklassen, die nicht K-Spiegelungen seiner drei Akkordtöne sind.
Die folgende Tabelle gibt für alle Funktionen die Dreiklangstöne selbst (als "x") und deren
Spiegelungen (als "g" "t" "q") an der K-Achse,
indiziert nach Halbtonabständen zum jeweiligen Grundton,
Diese Spiegelungen sind wegen des unterschiedlichen Abstand des Funktionsgrundtones
zur K-Achse jedesmal andere:
Da die Grundtöne jeweils um einen(1) Schritt der Spiegelachse entgegenwachsen
(modulo 6, dh. die Tonika ist oben zwischen S und D notiert), werden die Abstände
zu den Spiegeltönen jeweils um zwei(2) Schritte kleiner:
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 S x t x g x q T x g x x q t D x g x q x t D S S D 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 s x g x q x t t x x q x t g d x q x t x g d s s d |
Die freibleibenden Stellen sind die möglichen Ajoutées zu der Funktion ohne K-Konflikt. Die jeweils letzte Zeile weist aus, welche Leerstellen nur in D und nicht in S auftreten, oder umgekehrt, welche also "charakteristisch" sind. Die 9=große Sexte zur Subdominante und die 10 = kleine Septime zur Dominante sind die einzigen Hinzufügungen, für die das in beiden Geschlechtern gilt.
Die weitergehenden Folgerungen sind wieder in leider verworrener Art dargestellt: Auf S.42 angedeutet, ab S.59 dann erst ausgeführt und begründet und ab S.63 nochmals zusammengefasst. (Die S.42 ist relativ unverständlich, da hier zwischen abstrakter Darstellung, verschiedenen Beispieltonarten und unvollständigen Spezifikationen munter gesprungen wird.)
Abgesehen davon treten hier einige der Folgerungen aus der KS-Analyse und die historischen Tatsachen der kompositorischen Praxis doch teilweise deutlich auseinander:
Stegemann geht nun durch verschiedene Epochen und analysiert die Folge der auftretenden Gruppen von Tonhöhen nach der jeweils möglichen Menge von K-konfliktfreien Positionen der K-Achse. Das führt dazu, dass jede dieser Gruppen unterschiedliche Achsenpositionen ausschließt, woraus sich über einen längeren Verlauf eines Musikstückes häufig eine einzig übrigbleibende K-Achse ergibt, entweder eine stabile oder eine sich in gewisser Regelmäßigkeit verlagernde.
Diese Achsenposition wird als im Hörer ein Zusammenhangsgefühl auslösend angesehen. ("Die Synopse der Klänge und der durch ihre ci [=complementary interval=K-Komplement] verursachten Exklusionen macht die tonalen Pfade einer Komposition sichtbar", S.46)
Konkret läuft die Analyse so ab:
Jedes Auftretens einer
kleinen Sekunde (1 Halbtonschritt), kleinen Terz (3) oder Quarte (5) oder einem
ihrer Umkehrungsintervalle wird als "ci" = "complementary interval" bezeichnet
und schließt genau diejenige Position der K-Achse aus, die es halbiert.
Sobald mit dem Fortschreiten des Werkes
nur noch eine einzige K-Achse erlaubt ist, wird diese als Indikator eines
gewissen Tonika-Gefühls angesehen, -- unabhängig von Genre, Stil und Epoche der Komposition!
Sobald auch diese Achse ausgeschlossen ist, liegt eine Verlagerung der K-Achse und
damit der Tonalität vor und das betrachtete K-konfliktfreie Zeitfenster muss
entsprechend weitergeschoben werden.
Dies ist ein sehr mechanistisches Vorgehen, mit den großen Vorteilen von (a) leichter
Automatisierbarkeit, (b) objektiver Überprüfbarkeit und (c) Stil-Unabhängigkeit.
Welche äshtetische Relevanz die Ergebnisse dann haben werden ist wahrscheinlich in
jedem Einzelfall eigens zu bewerten.
In allen Varianten herkömmlicher Tonalität kann auch anders herum argumentiert werden:
Jede vollständige Kadenz definiert genau eine mögliche K-Achse. Eine Vielheit möglicher
K-Achsen zeigt also an eine zeitweilige Un- oder Unterbestimmtheit des Tonika-Gefühls.
Eine jede Modulation z.B. besteht darin, zur bestehenden K-Achse durch Wegfall von
ci's neue Möglichkeiten hinzuzufügen (wenn das Zeitfenster entsprechend mit-verschoben wird)
und sich danach auf eine andere davon wieder einzuengen.
Allerdings reicht die K-Achse alleine nicht, eine Tonart festzulegen, da sie ja vier Kadenzen erlaubt (z.B. C- und Fis-Dur, d- und gis-moll). Deshalb muss der siebente Skalenton (b/ais oder h) dazutreten und die Tonika als Dreiklang auftreten. 1
Die von Stegemann konkret besprochenen Beispiele sind:
Aus unserer Sicht sind die einzelnen konkreten Ergebnisse teils überraschend, teils aber auch selbstverständlich und auch bei "konventioneller" Betrachtung schon evident, wie bei Liszt La lugubre gondola.
Das Ganze ist an sich hoch interessant, weil es bestimmte Symmetrie-Verhältnisse, mit denen gerade der "romantische" Komponist bei der tonikalen Umdeutung "vagierender" Akkorde täglich umgeht, präziser beschreibt als es mit anderen Mitteln möglich wäre, und weil es in der konkreten analytischen Anwendung teils neue, überraschende Sichtweisen ermöglicht.
Es aber deshalb gleich als eine neuartige "Theorie der Tonalität" zu bezeichnen scheint uns persönlich doch ein wenig hochgegriffen.
[mazzola]
Geometrie der Töne: Elemente der mathematischen Musiktheorie Basel, 1990 |
[mazSteg]
und Hidden Symmetries of classical tonality in Schönberg's dodecaphonic compositions in: Journal of Mathematics and Music, pg.37-51, London, 2007 |
[stegemann]
Theorie der Tonalität Wilhelmshaven, 2013 ISBN 978-3-7959-0962-8 |
(20210317)
1 "Da jeder K-Raum vier potentielle Toniken enthält, ist der einzig zuverlässige Weg, um eine davon als solche zu bestätigen, deren Aufwertung durch den zugehörigen Dreiklang [=durch dessen Erklingen]." (S.50) Dem möchten wir die Allgemengültigkeit entschieden absprechen. Fälle, wo nur die Dominante o.ä. eindeutig eine Tonika definiert, die als solche überhaupt nicht klingt, sind nicht selten.
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2021-05-02_09h39
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