^inh 2017111000 | weiteres |
Manchmal ist durchaus möglich, Sach- und Fachbücher
unter ästhetischem Blickwinkel und mit ästhetischem Genuss zu rezipieren.
Manchmal ist dies sogar die best passende Art.
Denn "Ästhetik" bedeutet im weitesten und ursprünglichen Sinne ja
Wahrnehmungs-Theorie, und damit etwas ähnliches wie Epistemik, -- Erkenntnistheorie.
Und ein Sachbuch, dem es gelingt, die einfachen Prinzipien, die
ja immer auf einfache Weise der komplexen Realität zu grunde liegen,
aber dem Auge zunächst unsichtbar dieses eher verwirren, auf einfache Weise
aufzuweisen, -- ein solches Buch erschließt dem Leser dann die
Schönheit der Einfachheit des Dargestellten, und hat selber auch Teil daran.
Klassisches Beispiel für uns ist Brian W. Kernighan / Denis M. Ritchie The C Programming Language.
Die Programmiersprache "C" ist einerseits aus heutiger Sicht eine "Low-Level-Sprache". Sie operiert direkt auf der Hardware, auf Speichern und Adressen, auf einem Niveau das ein zeitgenössischer Programmierer nur dann betreten mag wenn unumgänglich. Allerdings operiert sie auch diesen tiefliegenden Strukturen mit hochentwickelten Abstraktionsmechanismen: Die Sprache "C" konstituiert gleichsam eine abstrakte Hardware, die zwar erlaubt jedes Bit im Speicher einzeln anzufassen, dies aber in allgemeiner Form, automatisch übertragbar auf alle existierenden Rechnerarchitekturen, -marken und -hersteller.
Diese Leistung ist eine der einflussreichsten in der technologischen Entwicklung der Computer überhaupt, vielleicht vergleichbar der Ammoniak- oder Anilin-Synthese in der chemischen Industrie. Weniger die Programmiersprache im Sinne eines Benutzerhandbuches darzustellen, als vielmehr diese ihr zugrundeliegenden Prinzipien, ist Aufgabe genannten Buches.
Wichtige dieser Prinzipien sind die In-Eins-Setzung von "statement" und "expression", und die weitest mögliche Verknappung aller Ausdrucksmittel. Wir können hier nicht auf die Details eingehen; ihre Darstellung aber ist eine zentrale Aufgabe des Buches. Diese geschieht am eindrucksvollsten am Beispiel einer Funktion "copy(to,from)", die eine Zeichenkette zwischen zwei Speicherstellen kopiert. Dieses sehr einfache Beispieles wird in mehreren Schritten immer weiter reduziert, von Kapitel eins bis fünf, um damit die Mächtigkeit und Ausdrucksfähigkeit der syntaktischen Formen dieser Sprache zu demonstrieren.
Diese Reduktionsfolge geht ungefähr ...
void copy (char *to, char *from) { int i; i = 0; while ((to[i] = from[i])!='\0') i++; } { while ((*to = *from)!='\0'){ to++ ; from++ ; } } { while ((*to++ = *from++)!='\0') ; } { while (*to++ = *from++) ; } |
Wenn endlich, nach vier Kapiteln, diese letzte Fassung erscheint, dann ist das
ein Moment mit magischer Wirkung: Es wirkte beim ersten Lesen auf den Rezensenten als erhebe sich
Excalibur aus der nebligen Tümpelfläche; als lerne Parsifal endlich den Vater kennen;
als sei die ganze umständliche Konstruktion der Taylor-Reihen endlich bei ihrem
einfachen Bestimmungsziel
"e^(2iπ)=1" angekommen.
Es ist wie wenn Miss Marple endlich den Mörder nennt. Und den Hergang erklärt.
Das ist einfach schön und schön einfach. Und alles macht schlagartig Sinn ...
Ähnlich erging es dem Rezensenten mit Peter Karlson Kurzes Lehrbuch der Biochemie für Mediziner und Naturwissenschaftler. Entgegen dem Titel ist es selbstverständlich nicht "kurz", aber so kurz wie möglich. Und nicht zuletzt deshalb eine Berühmtheit, im Jahr 1994 schon in vierzehnter deutscher Auflage und übersetzt in siebzehn Sprachen, meist in ebenfalls mehreren Auflagen.
Der Autor versteht die Kunst der Vereinfachung, ohne zu vereinfachen.
So gelingt eine schrittweise auf einander aufbauende Darstellung der Gesamtheit
der Stoffwechselprozesse, wobei jedes Kapitel ("Organische Chemie", "Aminosäuren",
"Peptide", "Proteine", "Enzyme", "Coenzyme", "Nucleinsäuren", etc.)
in den Anforderungen an den Leser tatsächlich nur auf seinen Vorgängern aufbaut, aber
aus der Gesamtheit sich organisch ein großes, vollständiges, konsistentes und
am Schluss wieder zu seinem Anfang hin sich rundendes Bild ergibt.
Allein dieser Plan ist schon ein Wunderwerk.
Hat man dieses Buch gelesen, und Rezensent hat es in zwei Nächten verschlungen, so
fühlt man sich gesättigt und gestärkt und meint, sich selber endlich deutlich besser
begriffen zu haben.
Hier schenkt einer wirklich Erkenntnis, nachvollziehbar, verständlich und dauerhaft,
und das ist einfach schön.
Und einfach schön ist es, dass das alles in uns drin so gut funktioniert, und dass man
es so einfach begreifen und schön darstellen kann.
Auch hier wird wieder spröder Sachtext zu einem genuß- und sinnreichem Erleben.
Aber WOHLGEMERKT, diese Lobeshymnen gelten nur für die frühen Auflagen!
Denn leider haben der inzwischen stattgefundene technologische resp. wissenschaftliche
Fortschritt, hat im einen Falle die inzwischen erfolgte Normierung zu "ANSI-C" und
im anderen die weiterentwickelten Prüfungsanforderungen für das "Physikum der Mediziner"
dazu geführt, dass die ehemals schlanke, konsistente und übersichtliche Struktur beider
genannten Werke, in den ersten Auflagen noch reduziert auf das Unverzichtbar-Wesentliche,
durch Neben-Themen, Details, kompliziertere Schreibweisen, Exkurse zur "Pathobiochemie" etc.
angefettet, ja, verwässert werden musste.
Dies war in beiden Fällen wohl unausweichlich und hat seine guten Gründe und
nützlichen Auswirkungen.
Allemal jedoch sei dem Leser, der sich an beiden Themen als Laie interessiert, und der den
ästhetischen Genuss sucht, die jeweils frühest erreichbare Auflage empfohlen.
Es lohnt sich.
Es sind Meisterwerke, auch der Literaturgeschichte.
^inh 2017111001 | weiteres |
Gelassene Patienten dank niedergelassener Ärzte
Diese Phrase konnte man letztlich auf großen, teuren Plakatwänden lesen.
Irgendein Ärzteverband warb da um Verständnis. Irrngtwie. Wofür auch immer?
Allerdings ist diese Phrase keine der deutschen Sprache, sondern schlicht sinnloses
Wortgestammel.
Was vielleicht gemeint gewesen sein könnte, kann man nur raten, denn mehrere
Korrekturen drängen sich auf:
Gelassener Patienten Dank niedergelassenen Ärzten
oder
Gelassenen Patienten Dank niedergelassener Ärzte
oder auch
Gelassene Patienten dank niedergelassenen Ärzten
In ersten beiden Fällen danken die einen den anderen, warum auch immer; im letzten Fall ein Dritter, -- wem? Den Ärzten!
Selbstverständlich ist Sprache ein variables und sich entwickelndes System, und
jeder hat das Recht, Neologismen definieren zu wollen.
Wenn aber Vertreter der "Kreativ-Wirtschaft", zu deren Berufsausbildung doch der
sorgfältige Umgang mit unserer Muttersprache gehören sollte, so unsäglichen
Unsinn fabrizieren, und das noch gegen teuer Geld und nur aus Gründen
eitler Borniertheit, ist doch Wut und Entsetzen die einzig angemessene Reaktion.
Der Fehler allerdings ist weit verbreitet.
Er kommt so zustande:
Wenig belesene und gebildete Menschen haben mal gehört, dass die Konjunktion
"wegen" mit dem Genitiv verwendet wird.
Der Dativ ist falsch, proletarisch und unfein.
Es heißt ja auch "deswegen" und nicht "demwegen".
Daraufhin meinten sie, aus purer Borniertheit, es sei "foin", jetzt auch "trotz" und
"dank" mit dem Genitiv zu verwenden.
Der Genitiv ist allerdings möglich, bedeutet aber etwas ganz anderes als
das in dieser "lingu-sozialer Übersprungs-Handlung" Gemeinte.
Nämlich so ziemlich das Gegenteil.
Dem ist vorwegzuschicken dass ein Wort ja nicht seine Bedeutung und seine Bindungsfähigkeiten
ändert, wenn es die Wortform wechselt, also gleichsam seinen Aggregatzustand, von
fest, flüssig, gasförmig, von Substantive, Verb, Konjunktion und Präposition.
Die Konjunktionen "dank" und "trotz" sind gleichsam abgeschliffene Ablative:
"Wir erreichen das Ziel, (erstattend Dank/) dank dem Schiffer."
"Wir erreichen das Ziel, (trotzend/)trotz dem Winde."
Der Dank und der Trotz binden aber nun Dativ-Objekte. Wenn sie mit einer Genitiv-Apposition kommmen, so ist das immer ein Genitivus Subjektivus, nie ein Objektivus!
Der Dank des Kindes den Eltern führt dazu, dass das Kind "dank den Eltern" auf eine
bessere Schule geht, der "Dank der Eltern" ist allemal etwas ganz anderes.
Vielleicht der Schule!?
Ebenso gehen die Eltern "trotz dem quengelnden Kind" in die Oper.
Das ist nämlich genau "der Trotz der Eltern dem Kinde (=gegen das Kind)".
"Trotz des Kindes" kann nur dieses Quengeln selber meinen.
Es heißt ja auch "trotzdem" und nicht "trotzdessen". Noch nicht.
Genauso mit "dank" als Substantiv und Präposition: "Dank dem Autor" lesen wir ein gutes Buch; aber der "Dank des Autors" gilt dem Leser, der es käuflich erwirbt.
Das überaus Ärgerliche ist, dass den Unsinn des falschen Genitivs auch Menschen nachplappern, deren hehrste Berufspflicht die Pflege der unübertroffenen Vielfalt und Präzision unserer Sprache sein sollte, -- und das nur dank/wegen Bedeutungsdrang und Eitelkeit, und trotz allem Sprachgefühl.
^inh 2017111002 | weiteres |
Und noch so ein unsäglicher Unsinn, den wir seit Jahren anprangern. Leider haben wir keinerlei Reaktion auf nachstehendes Schreiben. Diese Leute sind nicht nur dumm, sondern auch noch arrogant:
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