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^inh 2012092400 | ereignis |
Helmut Lachenmann ist ein Altmeister der Neuen Musik.
Ein Grosz-Meister.
Sein Gran Torso für Streichquartett war dem Verfasser damals, in Witten, in den Siebzigern, durchaus Offenbarung: Wie "Neue Musik mit Groszem Enn" der klassischen Ästhetik der Ton-Produktion, der herkömmlichen Logik der Ton-Verhältnisse sich verweigern kann, ohne zu verlieren, zu vermissen, einzubüßen, stattdessen Bewegungen, Raum-Trajektorien, Bogen-Choreographien, Folgen von Hand-Griffen und Instrumental-Gesten ihre eigene Zwangsläufigkeit, Echowirkung, ja, Schönheit entfalten, von eigener Bedeutung, mit eigenen Gesetzen der stimmlosen Stimmführung, aus eigenem Recht, und den ästhetischen Durst durchaus befriedigend.
Als Verfasser das Werk Das Mädchen mit den Schwefelhölzern
letzte Woche in der Deutschen Oper besuchte, kannte er es nur
als Fama, und auch seine sonstige Vorbereitung war, es sei zugegeben,
schlecht, sprich, völlig unterblieben.
Also las er, schon im Saale sitzend,
zu diesem Zweck die "Beschreibung" oder "Hör-Anleitung"
aus des Komponisten eigener Feder, die sich im Programmheft befand.
Da fing er an sich zu freuen!
Wenn er selbst auch "Neue Musik" nicht komponiert, so hat er das doch einmal
studiert und gelernt, und hört manches aus dieser Stilrichtung auch sehr gerne.
Hier nun, der Beschreibung nach, durfte er sich auf Spannendes freuen:
Zunächst Geräuschhaftes, naklar, das ist wohl typisch für den Komponisten!
Dann aber auch "kupfern-warme Ofentöne", dann Fragmente/Fetzen von
Weihnachts-Chorälen, die der frierenden Protagonistin entgegenwehen,
dann ein Text von Frau Ensslin, was ja auch eine gewisse Herausforderung
an die Umsetzung bedeutet, --- und so weiter, ein bunter Strauß von Materialien
und von Ideen zu deren Verknüpfung!
Helmut Lachenmann ist ein Verfechter von Verweigerung.
Seine Musik ist "Neue Musik mit Groszem Enn" in bester Tradition, -- hochkomplex,
hochdifferenziert, keine Instrument, keine Sechzehntel, keine Klangfarbe,
keinen Griff der Beliebigkeit überlassend, und keine Choristenstimme dem Chorischen.
Dem Ohr, und auch dem Auge, frische Material-, Gestaltungs- und Erlebensmöglichkeiten
öffnend. Sich verweigernd allen, aber wirklich auch den aller-letzten Fetzen von
Anklängen an traditionell-bürgerlich-kommerzielle Musikproduktion. Es sei denn,
dass in Accanto ein Mozart per Tonband vom Himmel herabsteigt.
Sich aber auch verweigernd dem Programm von "Agit-Prop" im weitesten Sinne.
Wohl aus wohlerwogenen Gründen, die vielleicht sogar nachvollziehbar wären,
würde er sie mitteilen.
Als Resultat aber steht eine Musik, die nicht mehr
"politische Musik" ist, sondern eine, die behauptet, das zu sein,
aber bestenfalls ein politisches Programm als
aller-unterste, weitest möglich zugeschüttete Hintergrunds-Schicht beinhaltet.
Was hätte man aus dem vom Komponisten selbst geschilderten Plan, solchem Material, solcher Besetzung nicht alles machen können! Wie spannend, mitreissend, aufwühlend, ergreifend hätte das nicht werden können, auch, ja, gerade mit Mitteln der "Neuen Musik".
Aber auch dem verweigert sich der Komponist.
Wohl bewußt, wohl auch mit guten Gründen.
Aber mit welchen Folgen?
Bei seinem verehrten Lehrer Hufschmidt konnte Verfasser lernen, z.B. in dessen Stefanus, wie De-Komposition von Sprache, Vermittlung zwischen Klang, Laut und Silbe, Steigerungsflächen von Rufen, die soziale Zusammenrottung in chorische Höhepunkte überführen und umgekehrt, Texte als Bedeutung, die zerkrümeln zu Reihen von Phonemen, und wieder zurück, und hin und her, in hunderterlei Kombinationen, alle mit Sinn und Verstand, entweder vom Komponisten schon gemeint, allemal aber vom Hörer so erfühl- und erfüllbar, -- wie unmittelbar packend Neue Musik sein kann.
Aber auch dem verweigert sich Lachenmann.
All das geschieht
allerdings hier auch! Diese Prozesse, Überführungen, Kontrastierungen,
Kontrapunkte herrschen durchaus, nicht nur
zwischen physischen Stimmen, sondern auch in den unabhängig behandelten
einzelne Parameter-Schichten einsamster Soli.
Und auch die Gesamt-Dichte wechselt durchaus in erholsamer Wellenbewegung.
Aber es geschieht schlichtweg zuviel!
Nicht dass "zuviel" im Endprodukt vorläge,
in der End-Gestalt, im Notentext, aber es geschehen zuviele Schritte in dessen
Ableitungsprozess! Was kann man nicht alles für witzige, interessante, ätzende,
tragische, anklagende Sachen mit Weihnachts-Lieder-Zitaten machen!?!?
Hier treten diese angeblich ausgiebig auf,
aber offenbar dermaßen stark vermittelt,
dermaßen oft durch die Ableitungs-Mangel gedreht, dass vielleicht beim aufmerksamen
Lesen der Partitur noch etwas zu sehen ist, beim Hörer allerdings, selbst
dem vorbereiteten, garnixmehr ankommt!
Einmal gab es einen moll-Akkord, was allerdings sensationell wirkte.
Aber wo Corialan-Ouvertüre, der Schlussakkord aus Mahlers Sechster,
und all die anderen angekündigten Zitate geblieben waren, ist dem Verfasser
völlig unklar!
Er jedenfalls, der Berias Sinfonia schon mit sechzehn
problemlos und lustvoll goutierte, hörte hier
kein einziges! Nunja, er saß ja auch in der letzten Reihe.
Vielleicht waren ja die Intervallverhältnisse genannten Schlussakkordes in rhythmische
Proportionen umgerechnet worden, oder der markante Rhythmus des Ouvertürenanfanges
in Tonhöhen-Codes. Das wären durchaus der Neuen Musik adäquate
Materialgewinnungstechniken, und verwirklichen die Hypothese und Forderung,
dass alles mit allem verwandt sein soll (aber eigentlich eh schon irrngxwie
verwandt ist !-)
Mitteilen können sich Zitate auf diese Weise aber nicht mehr!
Sollen sie dann wohl auch nicht.
Schade eigentlich.
Was entsteht ist ein durchgehendes Band von Rauschen, ist ein jederzeit
changierendes, in hunderten von Abstufungen auf das interessanteste
sich immer wieder umfärbendes Grau.
Ihm selber, und allen Kunstschaffenden, kann der Abend durchaus als Warnung dienen: wie schnell man doch in die Falle der Selbst-Bezüglichkeit gerät, in das Over-Doing, in das Mehr-als-Nötige, und damit schon Schädliche. Wie die "Schönheit der Schaffenslogik" sich verselbstständigen kann, wie das eigene Denken zum eigenen Maßstab wird, und die Beziehung zum Publikum und die Realität der Kommunikation verlorengeht.
Das zu vermeiden scheint sehr schwer, besonders wenn man etabliert ist.
Auch da kann er seinen alten Lehrer zitieren, der gerne folgenden Witz zu diesem Thema erzählte:
Ein Amerikaner kommt nach Ammergau zu einem Herrgottsschnitzer, und läßt sich
dort ein Kruzifix schnitzen.
Der Schnitzer meint, er sei fertig, der Amerikaner bewundert es sehr, ist
aber noch nicht ganz zufrieden, und meint (und hier muss man
Amerikanischen Akzent improvisieren) "Bitte: etwas mehr Trauer, etwas mehr Leid!"
Nungut, der Herrgottsschnitzer setzt nochmals das Messer an, der Amerikaner
findet es schon besser, aber -- "Etwas mehr Trauer, etwas mehr Leid!"
Und ein drittes Mal läßt der Schnitzer sich überreden, nachzubessern,
um dann erschrocken die Arbeit abzubrechen "Jo moi, nu lacht er!"
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