zu den Gesamtinhaltsverzeichnissen |
^inh 2011090100 | monograph |
1
Einleitung
2
Ein alter Text aus Schülerzeit
3
Anlass: Eine Übertragung aus Bayreuth, und deren Grenzen
4
Einzelbetrachtungen
4.1
Zum Vorspiel
4.2
Zitat der Schicksalsfrage
4.3
Von einem Kahn, der klein und arm
4.4
Er sah mir in die Augen
4.5
Das schenkte mir die milde Magd
4.6
Vom Mast der Freude Flagge
4.7
Das ganz ich heut genese
4.8
Ich trink sie dir
4.9
O truggeweihtes Glücke!
4.10
Schlussakkord des ersten Aktes
4.11
Frau Minne kenntest du nicht?
4.12
Frau Minne will: es werde Nacht!
4.13
Zweite Szene: "Tristan und Isolde", o Wonne der Seele
4.14
Treu beschloss nach Irland ich zu fahren
4.15
Da dämmerte mild erhabner Macht im Busen mir die Nacht
4.16
Schimmernd dort zu leben
4.17
O nun waren wir Nachtgeweihte
4.18
Der Bratschen-Schleifer
4.19
Selbst dann bin ich die Welt
4.20
Und
4.21
Der Liebe nur zu leben / Habet acht
4.22
Höchste Liebeslust, --- die Katastrophe
4.23
Tatest du's wirklich? Wähnst du das?
4.24
die Marken du gewannst?
4.25
bis, Tristan, du ihm drohtest,
4.26
Den unerforschlich tief geheimnisvollen Grund
4.27
Dem Land das Tristan meint,
4.28
als, den im Tode sie empfangen,
4.29
Ob sie ihm folge treu und hold?
4.30
die Marken du gewannst?
4.31
Daß sie ihm folge treu und hold
4.32
dem Konig, den ich verriet.
4.33
Dritter Akt, die Klagende Weise
4.34
Wo du bist? In Frieden, sicher und frei.
4.35
In welches Land?
4.36
Nicht doch, in Kareol
4.37
Noch sah ich Land, noch Leute
4.38
Krachend hört ich hinter mir
4.39
Vor Sehnsucht nicht zu sterben
4.40
Für dieser Hitze heißes Verschmachten
4.41
Hin zu Irlands Kind
4.42
Nun seht, was von ihm sie Dankes gewann
4.43
O Wonne, nein, er regt sich
4.44
Das Schiff? Gewiss, es naht noch heut;
4.45
Tristan, Geliebter! -- Zu Ihr!
4.46
Der letzte Blick
4.47
Mit Tristan treu zu sterben
4.48
Muss ich nun jammernd vor dir stehen?
5
Die Tragödie der Liebe
Zu einem großen, wichtigen und so überaus geschlossenen Werk wie dem Tristan mag es vielleicht dem Zugang hilfreich sein, vereinzelte Gedankensplitter, die sich beim letzten Hören aufdrängten, unzusammenhängend einfach nur hintereinanderzustellen.
Vielleicht wächst da ja mal was zusammen ?!
Tristan und Isolde ist ein Werk des Widerspruchs: Einerseits mündet in ihm die Geschichte der funktionalen Harmonik auf's deutlichste (vielleicht erstmals in dieser Deutlichkeit!) in die Identität von Wirk-lichkeit und Gemeintem: Die orgiastisch-physischen Mechanismen von Kadenz, Spannung, subdominanter Leere etc. werden verwendet zur Schilderung ihrer banaleren Äquivalente, der sexuell-körperlichen. Ihre Abstammung von genau diesen wird aufgedeckt, zumindest behauptet.
Andererseits aber tut die Musik in ihrer ungreifbaren Chromatik alles, um die Banalität der Kadenz zu vermeiden.
Ähnliches geschieht in
der Handlung: Die Protagonisten fliehen vor den eigentlichen Problemen,
indem sie die äußeren Hindernisse fälschlicherweise,
(vielleicht bewußt fälschlicherweise) als die einzigen auffassen.
Der Feind der Liebe aber ist, was sie sehr genau ahnen, nicht die
Umwelt, sondern die Gewöhnung. Der alte Witz, wie Tristan und Isolde
sich nach zwanzigjähriger Ehe wohl noch liebten, enthält viel Wahres.
Um die Absolutheit ihrer unreifen Liebe zu retten, wählen sie
die Selbstvernichtung.
(Unreif trotz der Betonung
des "Und", Wagner komponiert hier das Gegenteil seiner Ansicht:
Das "Und" ist eben noch nicht realisiert; es liegt Tragik in
ihrer Verzagtheit, nicht Größe in ihrem Todeswillen.)
Das einzige, dem sie gestatten, sich ihrer Unendlichkeit entgegenzustellen, ist das NICHTS. Die Ver-nichtung bewahrt ihnen die Reinheit der Liebe.
Sie stellen nichts Positives auf. Sie fliehen.
Das Faschistoid-Gewollte liegt darin, dass sie nicht warten (wie der Schubertsche Wanderer) bis sie, ins Elend gestoßen, ihre Liebe im Tod suchen müssen, sondern dass sie sich aus den Gipfeln des Glücks in die Vernichtung stürzen. Mißachtung des Durchschnittlichen.
Die meisten der folgenden Bemerkungen gehen zurück auf das Anhören der Radio-Übertragung von den Bayreuther Festspielen 2011. Inzwischen heißt die ehemalige Sendereihe "Internationale Musikfestspiele" nun großspurig "ARD Radio-Festival", wird bundesweit produziert und umfasst das gesamte Abendprogramm, bis zum Beginn des eh längst schon unifizierten Nachtprogrammes.
Die einzelnen Akte der Übertragungen aus Bayreuth, die nicht "life" waren, wurden in den letzten Jahren doch tatsächlich "attacca" gesendet.
Nebenbei: Der Verfasser hat in seiner Jugend zweimal sog. "Werdener Wagner Weihen" veranstaltet, bei denen der ganze Ring hintereinanderweg von Schallplatte gehört wurde. Dabei gab es zwischen den Akten auch keine Pause, stattdessen längere Pausen zwischen den einzelnen Opern, teilweise mit Nudeln-Kochen und -Essen, etc.! In einem solchen Gesamtkontext allerdings verändert sich das Zeitgefühl grundlegend, und Pausen zwischen den Akten wären allen Beteiligten als übertrieben erschienen.
Hier jedoch, beim radiophonen hören einer einzigen Oper, war das Aufeinanderprallen
der Akte mit nur zwei Minuten Erholungszeit dazwischen selbst dem
Verfasser als "Hartgesottenem" zu anstrengend gewesen.
Aber da haben sich wohl mehrere beschwert, denn die verantwortliche Redaktion ist
wieder dazu zurückgekehrt, zwischen den Akten Wortbeiträge zu senden.
Diese aber waren durchaus unangenehm, nämlich von sachlichen und interpretativen FEHLERN durchzogen, die mit wenig Aufwand vermeidbar wären, und damit umso ärgerlicher!
So ist es z.B. inzwischen allgemeine Überzeugung, dass sowohl die Intention des Autors, als auch, was noch wichtiger ist, die inhärente Semantik des Textes beinhaltet, dass die Protagonisten statt des Todestrankes (der wahrscheinlich recht wirkungsvoll gewesen wäre, dann was das Töten angeht hat die Pharmazie seit Jahrtausenden gute Erfahrungen sammeln können) irgendein farbiges, ansonsten aber unwichtiges Wässerchen geschluckt haben, und nun, angesichts ihres bald zu erwartenden Ablebens, schlichtweg einfach endlich den Mut finden, ihre gegenseitige Liebe, die seit dem "er sah mir in die Augen" und "das Schwert, ich ließ es sinken" zweifellos längst wirkmächtig war, sich selbst und gegenseitig auch einzugestehen. Und damit natürlich unumkehrbare Fakten schaffen. 1
NICHT jedoch ist es so, dass sie aufgrund der Wirkung dieses Liebestrankes (der wie gesagt nur fromme Erfindung sein kann, oder halt Metapher) in gegenseitige Beziehungssucht verfallen, was ja eine eher unappetitliche Angelegenheit wäre.
Nungut, die Person, die diese falsche Ansicht äußerte, war eine der Sängerinnen in einem der Pausen-Interviews, und die dürfen sowas sagen, die werden ja weder für philosophische noch für dramentheoretische Exaktheit bezahlt.
Schwerwiegender ist schon, wenn die von Fachleuten/Redakteuren erstellten und in den Pausen verlesenen Handlungszusammenfassungen Mängel aufweisen.
So wurden angeblich die Protagonisten im Zweiten Akt
von Melot und den übrigen überrascht,
BEVOR sie überhaupt zum Vollzug des Liebesaktes kamen. Obwohl Dieter Schnebel
sehr überzeugend nachwies, das spätestens das "O sink hernieder, Nacht
der Liebe" ein "Suspensionsfeld post-koitaler Dankbarkeit" darstellt
([schnebel]), und vielleicht sogar vom EINGANGSJUBEL der zweiten Szene
(mit seinen spitzen hohen Zees) angenommen werden kann, er beinhalte auch
die körperliche Vereinigung.
Wie stellt der Autor dieser Inhaltsangabe
sich eine solche denn im Zusammenhang einer symbolischen
Bühnenhandlung vor, wenn nicht als Abstraktion? Dies ist ein Werk
von Richard Wagner und nicht von Teresa Orlowski!
Aber die Idee dass die beiden da AUSSCHLIESSLICH Philosophie treiben (während
die Musik ja oft genug, mindestens dreimal, das Gegenteil behauptet), ist ja nun
wohl GAR ZU abwegig.
Ähnlich der Irrtum bezogen auf den dritten Akt: Isolde erreicht angeblich Kareol erst, als Tristan just gestorben ist. Eine Begegnung findet nicht statt, behauptet der Text.
Das ist allerhand!
Genau diese Begegnung ist es, auf die die Handlung (das wenige, was daran
Handlung ist) des ganzen dritten Aktes hinsteuert! Der Blick, das Sehnsuchtsmotiv,
die drei berühmten Worte "Tristan", "Isolde", "Ha!".
Der Heiligenschein in der Harfe, F-Dur,
dann das Abbrechen des Hauptthemas. Der BLICK halt,
der zwischen ihnen hin und her geht, --
schon im ersten Akt, erst in der Vorgeschichte, dann in der Trankszene,
und nun zum letzten Mal realiter hier, danach, abschließend im
"Mild und leise, wie er lächelt", als Vision.
Dieses Zentrum des ganzen dritten Aktes, DAS kann man überhören?
Und dann auch noch GELD dafür beziehen dass man für den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk Pausenfüllertexte schreibt?
Folgende Splitter kamen dem Verfasser anläßlich o.e. Radio-Übertragung.
...sagen wir erstmal garnix. Da haben andere Leute ganze Bücher drüber geschrieben [kurth] .
Erster Akt, zweite Szene:
"Frag ihn doch selbst, den freien Mann, ob mir zu nahn er wagt?"
Wir erinnern: Vorliegendes Werk ist entstanden
inmitten des Siegfried und nach der Walküre.
Also ist das ubiquitäre, ja, inflationäre "Schicksalsfrage-Motiv" schon
Geschichte.
Dies wird hier zitiert, aber nicht angebracht. Die typische Harmonisierung
wird bewußt vermieden.
Darf man annehmen, dass der Meister das mit einem (für ihn sehr untypischen)
"Schmunzeln" so gesetzt hat?
Folgendes Notenbeispiel zeigt das Particell und, zum Vergleich, in der untersten Zeile die der "Walküre" entsprechende Harmonisierung.
Erster Akt, dritte Szene, das Motiv
"Von einem Kahn, der klein und arm, ..." (acht Takte vorher rein
instrumental eingeführt), ist das nun ein wirklich "neues Motiv" oder
nicht nur die simple chromatische Skala, die ja doch eher ubiquitär ist?
Wenn man es als Motiv wahrnimmt, könnte man meinen, es sei schon
vorher dagewesen. Oder aber man hört es als die ubiquitäre chromatische
Welle, die hier, für einen begrenzten Zeitraum, eine bestimmte Rhythmisierung
halt bevorzugt, um nachher wieder ins Allgemeine überzugehen.
Allemal wirkt es sehr geheimnisvoll.
Erster Akt, dritte Szene.
"Er sah mir in die AUGEN".
Das berühmte Hauptthema, also das mit der
fallenden Sexte (oder Septime) bedeutet den BLICK, wie es ja
besonders bei der Wiederbegegnung im letzten Akt auf der Nadelspitze
der Millisekunde ausbalanciert wird.
Also hier schon: Bei "Augen": Endlich C-Dur.
Erster Akt, fünfte Szene.
"Das schenkte mir die MILDE Magd"
Der Doppelschlag ist vom Senta-Thema bis zum Götterdämmerungs-Vorspiel
bei Wagner immer das stärkste Symbol des Weiblichen. Gleichsam eine
Vagina schon im Notenbild!
Hier scheint er es aber selbst-ironisch zu verwenden! Bemerkenswert!
Mit "Milde" hat Isolde ja nun garnichts am Hut, und ihr erotisches Verlangen ist so unbezähmbar wie verdeckt.
Erster Akt, fünfte Szene.
"Vom Mast der Freude Flagge" wird dargestellt, recht naiv, durch
die gleichermassen jublierenden wie wehenden Flötentriller.
Doch weh dem der den dritten Akt schon kennt!
Erster Akt, fünfte Szene.
"Das ganz ich heut genese", eine VOLLSTÄNDIGE Kadenz, etwas recht seltenes
im ganzen Werk. Die Endgültigkeit seiner Genesung, denn die sucht er
im Tode.
Erster Akt, fünfte Szene.
"Betrug auch hier? Mein die Hälfte! Verräter! Ich trink sie dir!"
In der Wiederaufnahme des gesamten Vorspiel-Anfangs geschehen unerhörte Dinge! Wir weisen nur auf zwei Details hin:
Die HARFE ertönt hier zum ersten Mal. Beim dritten Erklingen des
Anfangs-(/"Sehnsuchts"-)Motiv bringt sie auf den (im Vorspiel ja völlig
unbegleiteten) Hochton "h" einen G-sieben Akkord.
Der kann nur wie eine Halluzination wirken, wie eine Scheinfunktion.
Wir gehen ja, das wissen wir ja schon, nach H-sieben, und das mit
einem "eis" als Vorhalt von unten zum fis.
Also ist das G-sieben eher ein verkürzter
Cis-sieben mit tief-alterierter Quinte "g" und None "d". SOWAS auf ner
Harfe klingt natürlich ausserirdisch!
Das auf dieses "h" folgende "b" ist auf die metrische Eins vorgerutscht! HIER NUN kann man tatsächlich "g-moll" hören, jedenfalls nach ein paar Millisekunden drängt sich dieses Abrutschen in die allertragischsten Subdominantregionen leise auf!
Erster Akt, fünfte Szene.
"O Wonne voller Tücke, o trugge-WEIH-tes Glücke!"
Während der Sänger die Silbe drei Halbe lang aushält, VOLLZIEHEN die Blaser (Ob, Hrn, Fg) mit ihren drei würdigen Schritten den VORGANG DER WEIHE.
Der Schlussakkord des ersten Aktes liegt (nach einem kurzen Schlag auf der Eins)
AUSSCHLIESSLICH beim
Bühnenorchester! Also bei den in der Handlung "realiter" auftretenden
Königs-Trompeten! Das C-Dur ist die REALITÄT! Das wird noch sehr
ungemütlich! Die können nemmich KEINE Chromatik!
Kennen die nicht!
Mögen die nicht!
Akzeptieren die nicht!
Zweiter Akt, erste Szene: "Dein Werk? Du tör'ge Maid! Frau Minne kenntest Du nicht?"
Die darauf folgende in glückseliger Pfefferminzharmonik schwelgende Fläche ist eine erste Vorstufe zu Tristans Vision im letzten Akt "Isolde, wie SCHÖÖÖÖÖN bist du!"
Der Text aber ist genau das Gegenteil, denn dort wird ER erkennen, was
sie hier verneint, dass Liebe nämlich tatsächlich Menschenwerk ist:
"Aus Vaters Not und Mutters Weh
Aus Liebetränen eh und je
Aus Lachen und Weinen
Wonnen und Wunden
hab ICH des Trankes Gifte gefunden"
soweit die wohl schrecklichste, ehrlichste, wahrste Stelle des ganzen Textes,
die hier ihre Negation als ihren Schatten vorweg wirft.
Zweiter Akt, erste Szene: "Frau Minne will: Es werde NACHT, daß hell sie dorten leuchte, wo sie dein Licht verscheuchte."
Einer der heiligsten Momente der Menschheit!
Eines der heiligsten e-moll, die je konstruiert wurden. Neben dem Chopin-Prélude und dem Anfang der Matthäus-Passion
(Dies wohl auch warum Mahler e-moll wählen musste, als er seine Siebente Sinfonie mit den "Nachtmusiken" entwarf.)
Der gesamte Tristan vollzieht insgesamt nur zwei simple Quintschritte nach oben.
Der ganze erste Akt ist (trotz dem vordergründigen C-Dur-Schluss) zweifellos nur ein breit auskomponiertes a-moll.
Im dritten Akt geschieht ein zweites Transzendieren, das Heben in den Versöhnungs-Schluss des H-Dur!
(Zwangsläufig, dass einer so komplexen und elaborierten Harmonik im kleinen, wie sie die Partitur ja aufweist, eine so maximal einfache Disposition im Großen gegenübersteht! Sonst würd das Ding ja auseinanderfliegen!)
(Diese Disposition ist das genaue DUAL zum zweimaligen Quint-FALL des Ringes Es-As-Des!)
Hier nun, an genau dieser Stelle, auf Wort und Silbe "NACHT" geschieht der erste tonale Schritt der Gesamtkonstruktion! Deswegen diese überwältigende Wirkung dieser Stelle. Nicht etwa wegen der klanglichen und satztechnischen Faktur oder der unmittelbaren harmonischen Umgebung. Nein, das ist nur Zutat.
Die kosmische Wirkung dieser Stelle hat strategische, nicht taktische Gründe.
Insbesondere wird sie unterstützt indem die ganze erste Szene dieses zweiten Aktes eine riesige ausgebreitete Dominante zum hier erreichten e-moll bildet, ohne dass man es merkt. Oder besser: Die man erst im NACHHINEIN als solche begreifen kann.
Wir meinen DEN für diese Szene so charakteristischen Klang, den man zunächst, ganz im Gegenteil, als völlig TENDENZLOS, AFUNKTIONAL, in sich ruhend und klangspielerisch beschreiben könnte, den berühmten Klang der Jagdhörner f-a-c-es-g, das aus dem F-Dur- und dem c-moll-Dreiklang zusammengesetzte, rein lautmalerische, a-tonalen Klang-Gemälde.
Die Satzstruktur, die Aufteilung auf zwei Gruppen von Hörnern, die seine beiden Teil-Klänge immer in weiter Entfernung verträumt blasen, erklären ihn aufs deutlichste als Gleich-Zeitigkeit zweier Dreiklänge. Höchstens, dass in dem "a-c-es-g" eine intervallische Umlagerung des (eine große Terz herabtransponierten) "Tristan-Akkordes" sich aufdrängt, der ja (jedenfalls bei bestimmter Interpretation) auch nur eine Umkehrung der Moll-Subdominaten mit sixte ajoutée ist.
Hingegen, und das zeigt des Komponisten Rafinesse wie abgrundtiefe Gemeinheit, ist hier in Wirklichkeit etwas ganz anderes zugange: Es handelt sich nämlich schlicht um einen alterierten H-sieben-neun, also eine über unendliche Minuten auf das sadistischste aufgespannte Dominante genau auf dieses e-moll hin, was die zweite große Grund-Funktion des Gesamtwerkes ist:
Der BEWEIS für die Stichhaltigkeit dieser Interpretation ist genau das Motiv der "Schicksalsfrage", das oben noch explizit vermieden wurde (Abschnitt 4.2). Diesem nämlich liegt notengetreu, also untransponiert, genau diese enharmonische Interpretation der oberen vier Töne dieses Klanges zugrunde. Und in der Walküre notiert Wagner auch korrekt den eröffnenden c-moll-Klang als SCHEINFUNKTION c-dis-g !! Das macht er hier natürlich nicht, aber nur deshalb, weil der hier nicht eine halbe Note lang liebenbleibt, sondern eine ganze halbe SZENE!
Das e-moll ist nun nicht nur der erste Schritt hin zur Erlösung im finalen H-Dur, die Mollterz "g" nimmt auch das charakteristische fisis des Schlusses vorweg!
Zweiter Akt, zweite Szene.
Diese Szene trägt einen eigenen TITEL, der so lautet wie der der
ganzen Oper.
Dabei aber keinesfalls ihr Personal bezeichnet, denn das schließt ja
ein BRANGÄNEN, einsam wachend in der Nacht.
Hier aber wird das HOHE C gleich mehrfach erreicht, während der
Schluss ja nur bis zum as sich versteigt und die höchste Lust gar
auf fis sich schon findet.
Wonne der Seele.
Es mag zunächst nicht ganz "fair" erscheinen dass der TENOR sich hier noch schonen darf!? Aber der hat noch einen sehr langen dritten Akt, dessen Strapazen der Interpet der Uraufführung in der Tat nicht überlebte.
Zweiter Akt, zweite Szene:
"Treu beschloss ... nach Irland ich zu fahren."
Nur für EIN VIERTEL wird hier das G-Dur erreicht, was dem C-Dur des ersten
Aktes entspricht, beidemale "tP"
Zweiter Akt, zweite Szene:
"Da dämmerte mild erhabner Macht im Busen mir die Nacht"
Das "sink hernieder Nacht der Liebe" dämmert hier schon auf,
noch ohne seinen motivischen Kern, nur in seinen harmonischen Rückungen.
Aber deutlich als motivisch, als NEUES gemeint!
Zweiter Akt, zweite Szene:
"Schimmernd dort zu leben",
welch regelwidrig frei einsetzender,
kühner und das Wort so treffender (ganz konventioneller) Quartvorhalt.
Zweiter Akt, zweite Szene:
"O nun waren wir Nachtgeweihte".
Mit dieser Kadenz nach as-moll, in den Tristan-Akkord, beginnt ein
ganz neuer Groß-Abschnitt, der sich zur Gänze auf as-moll bezieht.
Fast eine WENDEPUNKT, als begönne hier die zweite Hälfte des Aktes,
und damit des ganzen Werkes.
Zweiter Akt, zweite Szene:
Zwischen dem Höhepunkt "wo ewig wahr Liebeswonne ihm lacht." und dem
Neu-Anstieg "O sink hernieder, Nacht der Liebe" ein seltsamer
chromatisch aufsteigender sforzato-Schleifer in den Bratschen.
Erste Störung?
Vorbote der Katastrophe?
Verdrängung des Morgengrauens?
(Ein bisschen erinnert dies Geräusch und seine Rolle an das hinter der Szene stattfindende erste Räkeln des erwachenden Siegfrieds, resp. seines Horn- und Helden-Motivs, welches im Götterdämmerungsvorspiel die Nornen vielleicht mehr noch zu verderblicher Eile antreibt als der ja absehbare Sonnenaufgang.)
Zweiter Akt, zweite Szene:
"Selbst dann bin ich die WELT"
Auf "Welt" finden beide sich UNVERMITTELT im EINKLANG über dem Tristan-Akkord.
Das große f aber NUR von den KONTRABÄSSEN mit TREMOLO! Ungewöhnlicher geht's nicht!
Zweiter Akt, zweite Szene:
"...und ..."
Welch köstliche Pausen umrahmen die eine Silbe und heben diesen
Bestandteil des Operntitels, obowhl er selber nicht singt,
zur Würde der Bedeutung.
Zweiter Akt, zweite Szene:
"Der Liebe nur zu LEBEN" / "HABET acht"
ENDLICH ist mal von "Leben" die Rede, statt immer nur
von Tod, Nacht und Sterben!
Einzig an dieser Stelle treffen alle drei Stimmen aufeinander!
Zweiter Akt, Übergang von zweiter zu dritter Szene:
"Höchste Liebeslust", -- auf das Fis-sieben folgt als Katastrophe
das Cis-sieben-neun.
Erst mit dem letzten Akkord des letzten Aktes wird endlich
das wahre Ziel dieses Fis-sieben erreicht werden.
Zweiter Akt, dritte Szene:
"Tatest du's wirklich? Wähnst du das?"
König Marke tritt auf mit dem SPEERMOTIV aus dem Ring, und "Wotans Unmut".
Zweiter Akt, dritte Szene:
"Wozu die Dienste ohne Zahl, ...die MARKEN DU GEWANNST?"
Das auf die Melodie von "König Markens Land" aus dem ersten Akt!
Zweiter Akt, dritte Szene:
"...bis, TRISTAN, du ihm drohtest, "
Auf "TRISTAN" ein transponierter Tristan-Akkord (d-f-as-c !), mit nur zwei Streichern und Gesang.
Zweiter Akt, dritte Szene:
"Den unerforschlich tief geheimnisvollen Grund,
wer macht der Welt ihn kund?"
Hier dichteste Kombination von Stilmitteln und Zusammenführung von wohl exponierten Elementen:
Zweiter Akt, dritte Szene:
"Dem Land das Tristan meint, ..."
1) Die PAUKE!
2) Im Baß: wieder das Motiv der Schicksalsfrage! Selbstverständlich nur die Melodiestimme (hier als Bass-Stimme), nicht aber die Harmonik.
Zweiter Akt, dritte Szene:
"..., als, den im Tode sie empfangen, im Tod ließ an das LICHT gelangen."
Wie im Parsifal, nur noch verschäfter (hier stirbt die Mutter, wie bei Siegfried, gleich bei der Geburt!)
Und das LICHT zu hassen lernte er als erstes!
"Was, da sie mich gebar, ...".
Das ganze ist wirklich kaum erträglich!
Zweiter Akt, dritte Szene:
"ob sie ihm FOLGE treu und hold",
ein b-moll-Quintsext-Akkord, also eine charakterstische
UMKEHRUNG des Tristan-akkordes.
Zweiter Akt, dritte Szene:
"Wozu die Dienste ohne Zahl, ...die MARKEN DU GEWANNST?"
Das auf die Melodie von "König Markens Land" aus dem ersten Akt!
Zweiter Akt, dritte Szene:
"Daß sie ihm folge treu und HOLD, den Weg nun zeig Isold".
Die Violinen die ganze Phrase über colla-parte im Einklang mit dem Gesang, nur auf HOLD singt der ein es'' und die Violinen bleiben deutlich darunter mit dem reibenden des''.
Zweiter Akt, dritte Szene:
"Aus Eifer verriet mich der Freund dem König, den ich verriet"
Hier nun endlich die Kadenz nach d-moll, die Quinte abwärts "a-d", die seit langem gefordert ist und erwartet wird, nämlich seit Markes "wer macht der Welt) IHN KUND?", Abschnitt 4.26!
Dritter Akt, die Klagende Weise.
Beide Bögen im folgenden Notenbeispiel tauchen im Solo des Englischhorn, der sog. "Klagenden Weise", immer wieder auf:
Der erste dieser beiden Bögen ist zweifellos ein Bindebogen. Den ZWEITEN dieser Bögen jedoch, und alle weiteren ähnlichen, halten wir hingegen eindeutig für HALTE-Bögen! D.h. der staccato-Punkt bezieht sich nur auf das ENDE des Triolenachtels, welches abgestossen werden soll. Der Anfang dieses Achtels soll NICHT abgesetzt werden, sondern das Achtel ist in erster Linie die zeitliche Verlängerung der vorangehenden ganzen Note, über den Taktanfang und Taktschwerpunkt hinaus. Das Achtel KANN allemal mit einer leichten Betonung, einem Akzent, als die "Eins" artikuliert werden, was auch nötig ist, um die Triole als solche auch an dieser Stelle nachvollziehbar zu machen. Aber eben nicht als eigenes Anschlagsereignis. Dies ist ein gewaltiger Unterschied.
(Das wurde übrigens in o.e. Übertragung aus Bayreuth, siehe Kapitel 3, anders gemacht, also u.E. FALSCH!)
Warum ist das so wichtig?
Nachdem Tristan endlich erwacht ist, kündet Kurwenal an, dass Isolde auf dem Wege sei, da er sie als "Ärztin" gerufen habe und sie zugesagt habe. Daraufhin erlebt Tristan einen ersten Ausbruch von Euphorie, endend mit "Das Schiff, das Schiff, Kurwenal, siehst du es nicht?", der durch das Ausbleiben der Antwort und, stattdessen, Wiedereinsetzen der klagenden Weise ersteinmal widerlegt scheint.
Daraufhin wendet Tristan sich bewußt der Klagenden Weise zu
(realisiert durch das nun neu hinzutretende, Wiederhall-ähnliche
pianissimo-Streicher-Tremolo), kommentiert diese,
interpretiert sie und dekodiert sie als Zusammenfassung seines eigenen Verhängnisses:
"Muss ich dich so verstehn,
du alte ernste Weise
mit deiner Klage Klang?"
Und weiter, die Stelle, um die es uns geht:
"Durch Abend-WEHEN drang sie bang,
als einst dem Kind des Vaters Tod verkündet."
Hier nämlich ist es der GESANG, der die bis jetzt so schmerzhaft fehlende
"Eins" (an der Stelle "*")
tatsächlich "bringt", d.h. mit einem Anschlagsereignis Realität werden
läßt!
Das Wort "Wehen" ist es, was das Motiv des Englisch Horns erst vervollständigt.
Und gleichsam freisetzt! Die ganz klassische ABSPALTUNG, dass das Triolen-Motiv
ab jetzt auch alleine, ohne vorhergehende Ganze, auf der Eins erst beginnen
darf, ganz wie bei Beethoven, und die folgende Passage in
ganz klassisscher "durchbrochener Technik", dass das freigesetzte Motiv
frei von der Bühne ins Orchester und dann durch die Instrumente wandert,
ganz wie bei Beethoven,
sind ERST AB JETZT möglich, erst, nachdem der Gesang diese fehlende Eins, die
fehlende Interpretation, diesen fehlenden metrischen Startpunkt, in das
rein instrumentale Motiv eingeprägt hat, erst jetzt, da der interpretierende
Geist die Bedeutung der Klage auf die Ebene des bewußt artikulierten (in
des Wortes doppelter Bedeutung) gehoben hat!
Die kosmische Wirkung (falls diese Stelle sensibel und hyperexakt ausgeführt wird) genau dieser einen Note auf "WE-HEN" ist es, die verlangt, dass die GANZE ZEIT VORHER der auf die Eins führende Bogen als HALTE- und nicht nur als Binde-Bogen interpretiert wird!
Vergleichbar scheint uns die kaum glaubliche Wichtigkeit dieses minimal-kurzen
Zusammentreffens mit dem "Ja-Ja" in der Nummer 39 des Vierten
Teils des Weihnachtsoratoriums.
Das Sopran-Solo singt
"Flüßt mein Heiland, flößt dein Namen,
auch den allerkleinsten Samen
jenes Strengen Schreckens?
Nein, du sagst ja selber nein."
Und dann im Mittelteil:
"Oder sollt ich mich erfreuen?
Ja, du Heiland sprichst selbst: ja"
Diese Arie ist für Sopran-Solo und ECHO-Sopran. Am Ende jeder Teile singen Solo und Echo nur noch das Wort/die Silbe "nein", und entsprechend Mittelteil "ja",
Der HÖHEPUNKT liegt beidemal am Ende und ist jeweils anders gestaltet: Im A-Teil durch den ersten PAUSEN-LOSEN Wechsel, mitten im Satz. Der B-Teil/Mittelteil steigert es, indem er die Stimmen bis zur GLEICHZEITIGKEIT ineinanderschiebt:
In Takt 125, an der Stelle (*) kommt es dabei zur EINZIGEN ÜBERLAPPUNG von Sopran und Echo!
Ein ebenso kosmischer Wimpernschlag 2 .
Ähnliches gibt es in des Verfassers Kammeroper "Margarete", op. 33: Im Dialog von Gretchen und Marthe (nach deren zweitem Schmuckfund) schieben sich die verschiedenen Interpetationen und Absichten der beiden an EINER Stelle übereinander, um danach wieder auseinanderzulaufen. Die mit "*" markierte Stelle realisiert in den Intervallverhältnisses das im Text erwähnte "Spiegelglas":
Und nicht zuletzt, um auf Tristan und Isolde zurückzukommmen, ist
deren letzte Begegnung auch ein derartig "minimales" Berühren:
Das letzte Auftreten des Hauptthemas aus dem Vorspiel, abbrechend mitten
im Verlauf, die Regieanweisung heißt:
"(Sterbend zu ihr aufblickend.)",
und schon acht Achtel später
"(Er stirbt)", -- mit einer letzten, nicht überlappenden, nur berührenden
Achtel aus dem Mund der Geliebten.
Viel knapper geht's nicht, wenn man bedenkt, wie lang der ganze Akt dauert!
Die perfekte kompositorische Umsetzung eines Augen-Blickes!
Dritter Akt, erste Szene:
"Wo du bist? In Frieden, sicher und frei."
Das sog. Kareol-Motiv ist von der ROLLE die es spielt das Gegenstück zum "Frisch weht der Wind" des ersten Aktes, (wohlgemerkt, in seiner orchestralen Fassung, "Blaue Streifen steigen im Osten auf").
Beide Motive bleiben lokal zu einem der Aussenakte, strahlen Optimismus
und gefestigte Metrik aus.
Das Kareol-Motiv in seiner hier exponierten Fassung nimmt auch
Schenker in seiner Harmonielehre ([schenkerHarm], Notenbsp. 159)
zum Anlass seinen "Stufen"-Begriff zu demonstrieren. Er kommt für die
gesamte Zahl von acht Takten auf drei eingenommene derartige Stufen (I, II und V).
Dem entspricht auch die Interpretation im historischen Kontext:
Dieses Motiv, mit seiner rustikal-diatonischen Aussengestalt und
der bewußt verborgenene Binnenchromatik, nimmt es aufs deutlichste wesentliche
Strukturmerkmale der Satztechnik der Meistersinger vorweg!
Dritter Akt, erste Szene:
"In welches Land?" -- Wiedermal die Schicksalsfrage!
Dritter Akt, erste Szene:
"Nicht doch, in KAREOL"
Hier ein ganz simpler DV! So etwas abgegriffenes, alltägliches, tausendfach gehörtes!
Hier aber klingt er irgendwie anders!?!?!?
Wir haben noch nicht herausgefunden, warum.
Dritter Akt, erste Szene:
"Noch sah ich Land, noch Leute"
Der GESTOPFTE Horn-Ton, der die beiden Glieder der Aufzählung trennt,
wird in den meisten Interpretationen mit einem sforzato versehen.
Dies STEHT NICHT in der Partitur!
Wir halten es aber dennoch für schön und richtig!
Dritter Akt, erste Szene:
"Krachend hört ich hinter mir schon des Todes Tor sich schließen"
Das Posaunen-Achtel, was diesen Satz einleitet, ist das
klassische TUBA MIRUM. Verkürzt auf eine Achtel!
(Wie sagte Nietzsche doch bis zuletzt? Wagner sei der Meister
der kleinsten Nuance, des winzigsten Details?)
Zwar steht nur ein einfaches "f" davor, wie bei allen anderen hier spielenden Orchesterinstrumenten, aber ein leichtes Hervortreten scheint angesichts des semantischen Gewichtes dieses Akkordes doch geboten.
Dritter Akt, erste Szene:
"Vor SEHNSUCHT nicht zu sterben"
Hier wird die STEIGENDE QUINTE der Klagenden Weise im Nachhinein mit der "Sehnsucht" textiert, die im ersten Akt der Walküre ("Zu der mich nun SEHNSUCHT zieht"), ja, im ganzen Ring ("DIE LIE-be ließ ich nie!") an die kleine Sexte gebunden ist!
Dritter Akt, erste Szene:
"Für dieser Hitze heißes Verschmachten"
Die Steigerung, die zur Selbsterkenntnis und zur Selbstverfluchung
führt ("ich selbst, ich hab ihn gebraut")
kombiniert verschiedene Grundmotive, u.a. die Triolen-Dreiklangsbrechung
aus der klagenden Weise.
Dem Verfasser aber ging es so, dass er, wg. der geänderten Satzstruktur,
Instumentation und wg. des hohen TEMPOS, diese Triolen nicht mehr
unmittelbar auf jenes Thema beziehen konnte!
Wenn Hörner und Fagotte schnelle Brechungen spielen, dann schlägt, ab
einem bestimmten Tempo, das um in ein anders wahrngenommenes
Phänomen, wird vom melodischen Verlauf diskreter Ton-Abfolgen zu einem
gesamtheitlich wahrngenommenen "Schmetter-Klang".
Damit verschwindet die motivische Beziehung, bis sie durch einen bewußt-willentlichen
Akt wiederhergestellt wird.
Dritter Akt, erste Szene:
"Hin zu Irlands Kind"
Hier nun kontrapunktiert sich die Klagende Weise mit sich selbst: Ihre Takte eins-zwei gegen ihren Takt fünf. Dagegen gleichzeitig noch das sog. "Tages"-Motiv aus den ersten Takten des zweiten Aktes und das "Von einem Kahn der klein und arm" aus dem ersten.
Kontrapunktischer Höhepunkt, bei melodischer und textlicher Naivität!
Versöhnung der Klage mit sich selbst scheint auf als MÖGLICHKEIT!
Dritter Akt, erste Szene:
"Hier liegt er nun, der wonnige Mann,
der wie keiner geliebt und geminnt.
NUN SEHT, was von ihm sie Dankes gewann,
was je Minne sich gewinnt."
Welch seltsames, plötzliches ad spectatores !?!?
Dritter Akt, erste Szene:
"O Wonne, nein, er regt sich"
Das allererste Motiv des Verlangens, die vier chromatisch aufsteigenden Töne, hier aber mit einer GROSZEN Sekunde beginnend!
Dritter Akt, erste Szene:
"Das Schiff? Gewiss, es naht noch heut."
Wie ein krankes Kind beruhigen wollend.
Wie anrührend.
Dritter Akt, zweite Szene:
"Tristan! Geliebter!"
"Wie, hör ich das Licht? die Leuchte, ha!
Die Leuchte verlischt!
zu Ihr, zu ihr!"
Isolde setzt ein, die allererste Note dieses kurzen Dialoges, auf ihrem HOCHTON (für diesen Akt!), dem a, und Tristan schwingt sich auf zu ebendiesem mit dessen letzter.
Dritter Akt, zweite Szene:
Der Vorhalt h-a und darunter der HEILIGENSCHEIN der Harfe, die Brechung des so naiven F-Dur-Dreiklanges.
Dann Isoldes "Ha!", was zwischen dem fis des D-Dur und dem ges des es-moll vermittelt.
Dritter Akt, zweite Szene:
"Mit Tristan treu zu sterben"
Hier, kurz vor Schluss, führt der Meister noch ein NEUES Motiv ein!
Dies ist kurz und köstlich, und man kann es nicht oft genug hören.
(u.a. mit Namen "Todesfrage" belegt)
Deshalb kann man die Textstelle Isoldens (ein paar Partiturseiten
später)
"Nur einmal, ach, nur einmal noch"
aus der Perspektive des Hörers durchaus ergänzen zu
"Nur einmal noch dieses wunderschön-seltsame Triolenmotiv"
Dritter Akt, zweite und dritte Szene:
Die Disposition der Hochtöne der Isolde zeigt eine bemerkenswerte
Knick-Figur:
Mit "Tristan! Geliebter" trat sie auf bereits mit ihrem Hochton, dem a''.
"Dass wonnig und her die NACHT wir teilen" fällt dann auf das as'',
und mit
"Muss ich nun JAMMERND vor die stehen?" bis zum ges''.
Von da scheint sie sich wieder hochzuarbeiten:
"Zu SPÄT" zum g'',
"Nicht meine Klagen darf ich dir SAGEN" zum a''.
Dann fällt sie erstmal in OHNMACHT und all die Auseinandersetzungen zwischen Brangäne, Kurwenual, Marke und Melot kriegt sie dankenswerterweise garnicht mit!
Dann aber, mit ihrer großen Verklärungsansprache, umkreist sie nur noch den bisher sorgfältigst AUSGESPARTEN Spitzenton as'', im zeiten Teil dann gis''. Hier Schlusston ist dann das "fis''" auf dem Wort "Lust", die dialektische Aufhebung genau jenes "JAMMERND".
Tristan und Isolde ist eines der erschüttendsten Werke der Weltliteratur.
Allein schon das Schauspiel als solches scheint schier unerträglich.
Am Ende sind, bis auf Marke, der "die Leichen segnet"
(so die letzte Bühnenanweisung) fast alle TOT!
3
Fürchterlich!
Es ist die LIEBE SELBST, die in all ihren Kombinationen scheitert, es ist die Tragödie der LIEBE ALS SOLCHER, nicht nur die zweier Liebender. Denn in der Tat sind ALLE Teilnehmer von Liebe getrieben:
Was die Gründe für das Versagen der beiden Hauptpersonen ist, so sind sie sich derer in Verlauf ihrer Reflexionen seltsam eindeutig bewußt: Es ist "der Tag", "das Licht", das sie "verblendet". Es ist ihr "Ansehen"; sie selbst durch die Augen der anderen, der "Welt", gesehen, der äußerliche Begriff von "Ehre", der ihnen den Zugang zu ihrer wahren metaphysischen Bestimmung verwehrt.
Tristan weiß es noch genauer: (denn er als Mann steht dem Autor des Dramas
nunmal näher !-)
Die "frühe Störung", die frühkindliche Traumatisierung des elternlos
aufgewachsenen läßt ihn seine eigenen Bedüfrnisse verdrängen, bis es zu spät ist.
"Aus Vaters not und Mutters Weh, ...hab ich des Trankes Gifte gefunden."
Heil-froh einen Vater-Ersatz gefunden zu haben, will er lieber diesem
eine "würdige" Ehegattin vermitteln, und somit sich auch noch eine
Ersatz-Mutter verschaffen, als sich seinen eigenen Emotionen zu stellen.
Das ist sein Verhängnis.
Aber warum tut man sich als Hörer sowas entsetzliches überhaupt an?
"Weil die Musik so schön ist!"
Das ist ja eine seltsame Antwort!
Kann es sein, dass
eine so schrecklich, blutige, ausweglose Handlung überhaupt "schöne Musik"
zeitigt?
Nunja, als nichts mehr geht, als die Situation völlig verfahren und nur noch durch Mord und Totschlag aufzulösen ist, da erwachen die Protagonisten endlich zur inneren Freihet, erkennen, benennen und ergreifen ihre wahre Bestimmung und empfinden, dass sie eins sind, eins mit sich, eins mit dem andern, eins mit dem Weltall, das sie hervorgebracht hat als eine der unzähligen Mittel und Möglichkeiten, sich über sich selbst Klarheit zu verschaffen.
Und das hört man dann doch ganz gerne!
[schnebel]
Postkoitale Dankbarkeit in: [musikkonzepte not found] |
[kurth]
Romantische Harmonik und ihre Krise in Wagners "Tristan" Georg Olms Verlag, Hildesheim, 1985 |
1 Der Tod als Befruchter. So würde eine schlechte Diagnose wohl auch dem Verfasser den Mut verleihen, endlich mal Verleger und Mäzene um Förderung seiner Kompositionen anzusprechen.
2
Derartige Vergleiche sind gestattet dem Komponisten, weil die gesamte
Geschichte und ihre Struktur für ihn Material sind, Einzuverleibendes,
Teil eines großen zusammenhängenden kulturellen Teiges,
den er auf einsamen Wanderungen immer wieder durchknetet, um zu eigenen
Erkenntnissen und Vorstellungen zu gelangen, hinreichend verschieden von
und hinreichend verbunden mit dem Vorgefundenen.
Ob der Wissenschaftler (im engeren Sinne) so argumentieren darf, scheint
eher zweifelhaft.
3 Von Isolde weiß man es nicht! In der Partitur steht die Bühnenanweisung "(Isolde sinkt, wie verklärt, in Brangänes Armen sanft auf Tristans Leiche.)". Dass auch SIE stirbt, steht nirgendwo geschrieben. Der oft gebrauchte Titel "Isoldes Liebestod" ist eine freie Mystifikation!
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