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2011072700 | Tannhäuser --- Leider schuldig geblieben! |
2011072701 | Mahlers Achte --- Das Unzulängliche, hier wird's gefeiert! |
^inh 2011072700 | monograph |
"Ich bin der Welt noch den Tannhäuser schuldig!" soll der greise Richard Wagner gesagt haben. (Quelle leider z.Zt. nicht bekannt, deshalb der Konjunkiv !-)
Wie hat er doch recht damit! Das Werk ist ja leider so gründlich missraten!
Das Hauptproblem scheint mir zu sein dass fünfzig Prozent der komponierten
Zeit in allerdrögesten Rezitativen besteht, deren melodischer Gehalt und
motivische Inspiration gerademal null beträgt.
Die Kunst, in schlicht einstimmige Melodieführung tiefste Gefühle und strukturelle
Wahrheiten zu legen, entwickelte der Meister erst im Rheingold.
(Damit aber machte er dann allerdings auch Epoche!)
Hier aber ist alles noch zutiefst schematisch, unmotivisch, unmotiviert und blutleer! Selbst die "Gesänge" der konkurrierenden Ritter beim "Sängerwettstreit" hinterlassen im Ohr nur einen grauen Schatten wie von Schimmel, da wird nix gesungen, da wird gehustet! Einzig das Preislied auf Venus hat Witz und Einfall, desen erinnert man sich gut und gern, das würde man gerne öfter hören!
(( Um so skandalöser dass genau dieses gekürzt, nämlich seine erste Wiederholung in D-Dur mit der köstlichen und kostbaren Textzeilen "Doch ich aus diesen ros'gen Düften verlange nach des Waldes Lüften" in der heurigen Bayreuth-Aufführung ganz gestrichen wurde, und damit der sorgsam disponierte und zum Funktionieren dieser Szene unverzichtbare Halbton-Anstieg zerstört! Statt das endlose Gemaule der faden Ritter und des debilen Burgherrn einfach ganz zu streichen!))
Überhaupt, es gibt durchaus inspirierte Melodien und Momente. Wenn dem Verfasser beim Hören der heurigen Live-Übertragung aus Bayreuth das gesamte Gestammel schier unerträglich wurde, und er sich den Schluss des zweiten Aktes ersparte, so leuchten doch im Nachhinein die großartigen Ideen und Erfindungen um so klarer:
Nundenn, so mag man meinen, diese Liste ist doch lang und sehr eindrucksvoll! In der Tat, so scheinet sie! Aber zwischen diesen Perlen liegen tagelange Strecken reinster Ödnis!
Was ist das gegen den unmittelbar folgenden Lohengrin, dieses funkelnde Meisterwerk, wo jedesmal wenn ein Sänger den Münd auch nur aufmacht, und sei es der tumbe Heer-Rufer, bereits ein sinn- und bedeutungsvoller Einfall ertönt. Gegen jenen Blütenkranz unerschöpflicher und unergründlicher Melodien, wo noch das letzte Achtel der unscheinbarsten Überleitung motivisch vermittelt und harmonisch begründbar ist! Gegen jenes erste Exemplar des neuen "Gesamtkunstwerkes", gegen die letzte, erste und wahrste "romantische Oper", die glüht und leuchtet in melodischer Empfindung und harmonischer Radikalität, selbst wenn man nur ihren Namen nennt.
Hier hingegen nichts als Grauheit:
Die Dialoge, ja, selbst die "Lieder" all dieser Ritter und Fürsten sind
nichs als sinnlos gereihte Skalenfragmente und Dreiklangsbrechungen immer
der grad falschen Funktion!
Nundenn, kann man sagen, da decken sich doch Form und Gehalt auf das
Glücklichste, das sind halt alle Dumpfbacken! Aber so funktioniert
Musik nicht, diese ganze Ohrenqual
wollen wir uns nicht freiwillig antun, selbst nicht für angeführte Perlenkette!
Es muss ja auch nicht immer geniale Inspiration sein, es reicht ja auch
aufrichtig bemühte Durchdringung der Situation und deren anspruchsvolle
Bearbeitung:
Z.B. das Trio aus Hirtengesang, Schalmeispiel und Pilgerchor: Nichts
von beiden ersteren ist inspiriert, keine bedeutungsvolle Motivik, keine
inhaltliche Substanz, keine Vermittlung, alles uninteressant!
Da ist selbst Siegfrieds "Gestammel auf dem dummen Rohr" ja noch
origineller! Vom Tristan ganz zu schweigen!
Aber das Zusammenspiel, die Kontrapunktik, das gegenseitige Kommentieren,
das ist großartig, das gibt der Szene, trotz fehlender Substanz, eine
verlockende Perspektive und eine ergreifende Wahrheit.
Und dann gibt es noch zwei Momente, die in obige Liste fehlen, weil
sie wirklich Größe haben, weil sie Wagnern als dem
zukünftig größten Komponisten seiner Zeit würdig sind:
Das "Allmächt'ger dir sei Preis, groß sind
die Wunder deiner Gnade!", mit dem dialektisch hereinbrechenden
c-moll und seiner Vermittelung (über ein "falsches E-Dur") als
Subdominante der hier endlich erreichten Tonika-Parallelen G-Dur.
Und der Ton "des", ganz am Schluss,
nach "hoch über aller Welt ist ...", diese plötzliche modale
Entrückung! Dieser Ton ist die eigentliche
Leistung der ganzen Oper, den lieben wir, der ist treffend, wahr und
unvergänglich. Für diesen einen Moment, wenn dieses
"des" die Wirbelsäule runtergleitet, dafür ertragen
wir auch den ganzen misslungenen Rest.
^inh 2011072701 | ereignis |
Im Rahmen der Übertragungen des "ARD Radiofestivals" laufen, da wir heuer das zweite Mahler-Gedenkjahr in Folge haben, "alle seine Sinfonien ab der fünften, aber mit der ersten statt der sechsten." Kann man sich doch merken, oder?
Am Sonntag, 24. Juli 20111, dann also die Achte. Aufführungen dieses Werkes werden immer hoch gehängt, zu Recht, allein schon wegen des notwendigen logistischen Aufwandes. Der Verfasser selber freut sich schon dieses Werk im Herbst hier in Berlin live erleben zu dürfen, allein des circensischen Genusses wegen. Ausserdem ist es ein lebender Beweis, dass elektronische Reproduktionstechniken nicht fähig sind, jedes Kunsterlebnis zu ermöglichen. Es sei denn, man stellt sich dreißig Lautsprecher ins Wohnzimmer und zeichnet ebensoviele Spuren auf!
Sehr beruhigend!
Die Aufzeichnungstechnik, --- die führt aber auch schon zum ersten wichtigen Kritikpunkt an dieser (wie üblich) so hochgelobten Aufführung. Diese war zunächst allerdings ausserordentlich ordentlich! Die Schwierigkeit den ganzen Laden im Durchführungsgetümmel des ersten Satzes und in den tutti des zweiten zusammenzuhalten ist fast immer hinreichend gemeistert worden.
Deutlich negativ stieß nur Weniges auf. So zett-bee in den allerletzten
Takten, ab Ziffer 205: Dort wird der Text "das Ewig-Weibliche / zieht uns hinan
/ zieht uns hinan / zieht uns hinan" zum ersten Mal gesungen, vom Chor
und vom ersten Solo-Sopran, der mit dem Chor-Sopran geht und
ausdrücklich als "(nicht hervortretend)" gekennzeichnet ist.
Erst ab Ziffer 207 steht "(hervortretend)"
an der Solo-Stimme. Das scheint, wenn auch in Klammern, so doch eindeutig!
Nicht jedoch in der Interpretation des Rundfunks! Der stellt den
Solo-Sängerinnen und Sängern
offenhörbar eigene Mikrophone hin, und zieht diese auch Null-De-Be
bis zum Anschlag auf, so dass von "nicht hervortretend" keine Rede mehr sein kann,
(beim besten Willen der Sängerin nicht, die singt so leise sie kann!), ---
eher von "brutal hereinplatzend". Nunja, es war ein Live-Mitschnitt, deshalb
kann man dem Tonmeister wohl keinen Vorwurf machen, und dem Dirigenten
erst recht nicht, weil der das wohl nicht mitkriegen konnte. Es hat
anscheinend keine "Mikrophon-Generalprobe" gegeben?
Allerdings sehr ärgerlich, ein wirklich schlimmer Fehler, denn man hat
als Zuhörer ja nicht zuletzt deshalb die bis dahin achtzig Minuten ausgeharrt,
um den "chorus mysticus" als solchen erleben zu dürfen, und nicht
etwa die "mater emphatica"!
Ein zweiter äußerst übler Fehler ist das "ossia" der "Mater Gloriosa"! Das ist nun völlig unverständlich und unverantwortlich! Diese Rolle gehört zu den bestbezahlten der gesamten Musikliteratur! Für nur fünfzundzwanzig Takte Gesangsarbeit erhält die Darstellerin eine vollständige Abend-Gage! Das ist leicht verdientes Geld. Ist aber kompositorisch wegen der exzeptionellen Stellung der Figur vollkommen nachvollziehbar: Immerhin spricht hier die Gottesmutter und Himmelskönigin persönlich (wie sonst nur im Magnificat, und da ist sie beides ja noch gar nicht!).
Da darf es dann auf ein paar Kronen mehr oder weniger keinesfalls ankommen!
Umso mehr kann man erwarten, dass die Person, die auserwählt wird, diese
königliche Rolle zu singen, diese auch bewältigen kann! Ein "hohes b" ist
ja nun nicht allzu schwer, da müsste doch wer zu finden sein, die das
auch "auf den Kopf" treffen kann!
Das nämlich ist existenziell für den ganzen Satz! Harmonisch geschieht
mit dem "Wenn (er dich ahnet)" der Wechsel von der Haupt-Tonika Es-Dur in
deren Gegenklang g-moll. Das vermittelnde ist das "b", was auf
geheimnisvoll-innig-anrührende Weise hier zur moll-Terz umgedeutet wird.
Den Schmelz dieser Stelle, ihr Geheimnis und ihre Verheißung zerstört
man unweigerlich, wenn man die Variante mit dem vorgeschalteten "d" wählt,
um das b von da aus bequemer anspringen zu lassen.
Diese Variante verdoppelt die harmonische Umdeutung nochmals in der Melodik,
und macht sie so unangenehm und unangemessen deutlich.
Das ist schlecht! Völlig unverständlich,
warum Mahler das jemals komponiert hat? Sollte das eingeschwärzt worden sein?
Durch eine Hof-Intrige?
Heutzutage, bei einer so teuren, öffentlich subventionierten, europaweit ausgestrahlten und in der internationalen Presse hochgelobten Aufführung erwarte ich allerdings, dass die Sänger so ausgesucht werden, dass sie ihre Partien auch meistern können. Dies ossia-d hat sehr viel kaputtgemacht!
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