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2011021700 | Ein möglicher Begriff Musikalischer Moderne, mittels Metapher |
2011021701 | Wagner und das Wort: Weisheit oder Wahn? |
^inh 2011021700 | phaenomen |
Eine schön anschauliche Definition dessen, was im innersten Kern die musikalische Moderne ausmacht (oder besser, wie im Titel gesagt, was einen von vielen möglichen Begriffen musikalischer Moderne ausmacht, allerdings einen der wichtigsten und tragfähigsten), kann vielleicht mit einer Metapher aus der bildenden Kunst vermittelt werden:
Der (in diesem Sinne !) "vor-modern" Produzierende stellt sich ein rezipierendes Bewußtsein vor, und trifft nun kompositorische, materielle Entscheidungen, die in diesem Bewußtsein einen bestimmten Eindruck hervorrufen sollen.
Welcher Art dieser Eindruck ist, durch welches Wahrnehmungsvermögen dieser wirkt, --- das alles kann äußerst verschieden sein. bis hin zur Gegensätzlichkeit! Ebenso die Methoden der Umsetzung und der Grad ihrer Direktheit, Normierung und Abstraktion.
Im allernaivsten Falle, so wie vielleicht ein Achtjähriger zu komponieren beginnt, nimmt man sich, ohne es zu merken, das eigene Gehirn als Test-Objekt, probiert Akkord- und Melodiefragmente auf erwähnte Wirkung hin aus, beobachtet die innere Reaktion und stückelt so Stücke zusammen.
Im elaboriertesten Falle gibt es ein kulturell über Generationen entwickeltes Instrumentarium, z.B die "doppelten Kontrapunkte" in den verschiedenen Intervallen, von denen dann "man weiß, welchen" Effekt sie im Hörer hervorrufen.
Die Moderne aber kümmert das alles nicht! Sie stellt ein
Klangobjekt in den Raum, sie fügt Töne zusammen, die von Musikern
gespielt werden, nach Regeln, mehr nicht.
Was wir Hörer damit anfangen, bleibt (angeblich!) uns selbst überlassen.
Somit stellt die Vor-Moderne sich dar wie ein klassisches Tafelbild: Es ist zwar nur zwei-dimensional, aber es stellt eine Blick dar, ja, mehr noch, es soll im Betrachter das Gefühl hervorrufen, auf ein dreidimensionales Ding zu blicken, und zwar genau aus dem einen Winkel, mit der einen Beleuchtung, ja, in der einen inneren Gestimmtheit, die der Künstler uns vermitteln, übertragen und erregen will.
Genau umgekehrt die Plastik, die Skulptur: Sie "ist" tatsächlich, körperlich. Wir können sie um-beleuchten, wir können drumrumgehen, sie aus den verschiedensten, von uns bestimmten Winkeln betrachten, uns unser eigenes Bild machen, unsere eigenen vielen Bilder machen,
Dieser Gegensatz entspricht genau dieser (einen möglichen!) Definition
von musikalischer Moderne:
Die vor-moderne Komposition vermutet in ihrer Rezeption eine
Tiefenstruktur von Ahnung, Empfindung und Erkenntnis (in durchaus
unterschiedlichen Mischungen), und versucht, diese zu kontrollieren.
Die moderen Komposition operiert nur auf der Ebene des Objektes, und will die gleichsam "physikalischen" Eigenschaften ihrer Klang-Körper geordnet und strukturiert gestalten, also Materialien, Farben, Dichte und die darauf definierten Prozesse, etc. Die entstehende Komposition wird als "Gegen-Stand" gesehen, den der Hörer jetzt betrachten darf, der aber unabhängig von diesem "im Raum steht" und seine "schönen Proportionen" hat, wie eine Skulptur. Eine Komposition, die (angeblich) nicht mehr sein will, nicht mehr darstellen will, das das, was sie selbst "tatsächlich" "ist", als eine Zusammen-Stellung von Ton-Ereignissen in ihrem An-sich-sein. Allemal ein ehrenwerter Versuch von "Objekt-ivismus".
Die vor-moderne Setzweise findet einen ihrer Höhepunkte zweifellos in Beethoven, der es meisterhaft versteht, durch wenige eingeworfenen Bass-Noten den Eindruck zu vermitteln, dort würde die ganze Zeit schon eine höchlichst wichtige und kunstvolle Gegenstimme ablaufen, wir hätten nur versäumt, hinzuhören.
Während bei diesem jedoch, besonders im Spätwerk, die emanzipatorischen, entlarvenden Tendenzen überwiegen, ist ein Höhepunkt der "Trickserei" bestimmt bei Wagnern erreicht, von dem Adorno ja nicht ganz zu unrecht behauptete, sinngemäß, die "Verdeckung der Produktionsweise durch das Produkt" sei bei ihm geradezu konstitutiv für das Werk.
In der Tat hat die Entscheidung zwischen "Illusions-Malerei" und "ehrlichem Handwerksstück" etwas mit dem Verhältnis zum Rezipienten und der Einschätzung seiner Rolle und Mündigkeit zu tun.
Skulptur sind dann eindeutig die Werke Xenakis' und Cage's, auf dreiviertel der Strecke zum reinen Objekt stehen vielleicht Stockhausen und Messiaen.
Jedoch darf man nicht dem Fehler verfallen, die Geschichte zu einem linearen Ablauf zu vereinfachen: "Moderne" (im der hier verwendeten Bedeutung) gab es schon in der Renaissance (vielleicht bei Ockeghem?).
Modernes und Vor-Modernes gibt es in unterschiedlichen Anteilen wohl in jedem Lebenswerk, ja, vielleicht sogar in Splittern in jedem Einzelwerk.
Bei Bach findet sich allemal beides: die Kanons aus dem Musikalischen Opfer sind selbsttragende Klangskulpturen, die Triosonate hingegen im selben Werk spielt bewußt mit Erwartungshaltung und Erkenntnisvermögen.
Modern sind zweifellos die zerklüfteten Punktierungsschründe der "Großen Fuge op. 133", hingegen vor-modern vielleicht sogar die Klagelaute des "Il canto sospeso".
^inh 2011021701 | monograph |
Ein wichtiges Argument gegen seine Programmatik
liefert Wagner schon selbst durch sein Werk:
Dass die Götterdämmerung, und damit der ganze Ring
mit einem langen instrumentalen Nachspiel zur Apotheose kommt!
Wo ist das das vielbeschworene Primat der Sprache, die Ab-, ja Er-lösung der
absoluten Musik durch das Wort?
"Zurück vom Ring!", das Fragment bleibt, das Fluchmotiv zerbricht,
und dann gehts richtich ab! In absolut-musikalischer Polyphonie, in klassischster
Sinfonischer Tradition, durchführend durch den Quintenzirkel, ohne
jedes gesungene Wort, aber modulierend und Motive türmend und zerspaltend.
Vom zentralen Trauermarsch ganz zu schweigen, dem eigenen Zeugnis nach
ein "griechischen Chor"! Nur für Orchester.
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