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^inh 2011021300 | monograph |
Jüngst brachte die Aufarbeitung einer älteren eigenen kleinen Arbeit mit sich die Wiederbegegnung (nach fünfunddreißig Jahren) mit dem Roman Doktor Faustus von Thomas Mann [DrF2] , nebst wenigem aus dem schier unübersehbaren Bestand an diesbezüglicher Sekundärliteratur.
Aus diesen stach hervor als von grundlegender Bedeutung die "Streitschrift" Faustus lesen von Jürgen H. Petersen [pet] .
Im eigentlichen Sinne zur Lekture empfehlen kann ich dieses schmale Buch dem geneigten Leser leider nicht, da der Autor die Unart hat, seine Gedanken innerhalb von sechs Seiten viermal mit je anderen Worten zu wiederholen, was beim Leser leider nur Verärgerung auslöst, und den Eindruck, die Schrift sei aus verschiedenen, ursprünglich eigenständigen Aufsätzen zusammengestoppelt.
Jedoch haben ihre grundlegenden Gedanken sich für meine Lektüre als so fruchtbar, fundamental, ja revolutionierend erwiesen, dass dem Autor dafür höchste Anerkennung gebührt und dem Leser hier eine knappe Zusammenfassung seiner wichtigsten Thesen geliefert werden möge, gefolgt von darauf aufbauenden weiteren Überlegungen.
Herr Petersen behauptet im einzelnen:
Besonders letzterer Punkt scheint zunächst erstaunlich, wird aber durch wenige Stichproben in den corpus selbst durchaus bestätigt. Einmal die von Herrn Petersen angebotene Star-Operation durchgeführt, stellt der ganze Roman sich "um hundertachtzig Grad gewendet" ganz anders dar, und "macht auf einmal Sinn"!
Zwei fundamentale Beobachtungen sind für diesen Standpunktwechsel Voraussetzung:
Mann selbst schreibt, er wisse nicht mehr, wann ihm die Grundkonstruktion des Romanes, der Freund als Erzähler, eingefallen sei. Diese allerdings ist konsitutiv für das Funktionieren des Textes, und zwar in zweierlei, geradezu entgegengesetzt gepolter Weise, worauf Petersen uns dankenswerterweise die Augen öffnete:
Auf die erste Weise erzielte bisher in mir der Dichter den Effekt, dass ich zwar die Fiktionalität des ganzen Werkes selbstverständlich voraussetzte (man weiß ja, wenn man mit der Lektüre beginnt, dass man einen Roman aufgeschlagen hat!), aber durch die eingeschalteten Reflektionen des Weltgeschehens aus der Zeit der Abfassung des Berichtes durch Zeitblom (die ja fast mit der Abfassung des Romanes zusammenfällt!) eine "Aura von Realität" der Leverkühn-Handlung zugemessen wird.
Dies nicht zuletzt, weil der Ich-Erzähler so dermaßen "farblos" bleibt, dass er "durchsichtig" wird. Zwischen den bekannten, "historisch unbezweifelbaren" Fakten von Alliierten-Landung und Ardennenoffensive einerseits und Pfeiffering-Lebensablauf andererseits scheint nur ein "Nichts" zu stehen, ein um "Objektivität bemühter Berichterstattender", der seine eigenen wertenden Meinungs-Einwürfe ja allemal als solche ausdrücklich kennzeichnet, so daß alles übrige die Farbe eines Tatsachenberichtes erhält.
Der Ablauf meiner ersten Lektüren, auch der jüngsten, "prae Petersen", fuktionierte also so, dass Zeitblom als "völlig uninteressanter Spießer" vom lesenden Bewußtsein ignoriert wurde, als Romanfigut garnicht auftrat, und die historischen Fakten aus der WK-I- und WK-II-Ära "als solche" rezipiert und verglichen wurden.
Genau das ist der "Trick" des Buches, den selbst sein Autor nicht durchschaute, und versperrt den Weg zu seinem wahren Gehalt!
Dies besonders bezüglich des "Dämonischen", welcher Begriff, verändert man die Perspektive des Lesens, geradezu entgegengesetzte Bedeutung gewinnen wird:
Verstehen wir im folgenden den Begriff "dämonisch" als
"von Kräften getrieben, die der rationalen Selbstkontrolle nicht mehr
unterwerfbar sind".
Also für menschliche Verhaltensweisen, die der aufgeklärte Geist
allemal zurückführen würde auf konkrete
den Willen affizierende äußere Einflüsse wie Drogensucht, Psychose,
Konditionierung, neurotische Abwehr, aber auch positiv zu bewertende
wie kreativen "flow", Verliebtheit, Leidenschaft, etc.
Nichtsdestoweniger kann der zusammenfassende Ausdruck "dämonisch" als
kulturhistorisch vermittelter durchaus seinen Zweck erfüllen.
Allzumal er den Eindruck eines betroffenen Dritten, das Gefühl
von Unbegreiflichkeit und Hilflosigkeit gegenüber dem von
"Dämonie" Befallenen, durchaus auf poetische Weise
widerspiegelt.
Auch Heilungsprozesse können in vielen der aufgeführten Fälle
als qualitativer Sprung geschehen, so daß die Metapher vom "Austreiben des Dämons" die
Änderungen in der seelischen Befindlichkeit des Betroffenen gut auszudrücken
scheint.
Von all dem ist aber in Leverkühns Verhalten nicht das geringste nachzuweisen! Ganz im Gegenteil! In gleichsam "apollinischer" Klarheit sitzt er in ungestört seiner Klause, -- hat nur das eine Interesse, kompositorische Probleme zu lösen, -- tut genau das, was er will, -- beherrscht sein Handwerk, -- fühlt sich erfüllt und Teil eines kulturellen Gesamtprozesses, -- hat offenbar auch keine wirtschaftlichen Probleme (warum eigentlich nicht ?), -- vereinbart in der Wahl seiner Stoffe Ironie und Innigkeit.
Was immer die tieferliegenden Problematik des Konsititution Leverkühns ist, was immer sein eigentliches "Problem", es ist definitiv nicht der Pakt mit dem Teufel!
Weder diesen wörtlich genommen: Er wird ja nicht "berühmt" im engeren Sinne, er will das auch garnicht. Der Teufel führt ihm nicht die Feder, sondern er arbeitet distanziert und kontrolliert, komponiert noch, während er mit seinem Freund sich austauscht, und setzt dann und wann eine Note in den Text, während sie plaudern.
Noch metaphorisch: Er paktiert weder mit reaktionären Kreisen noch mit den aufkommenden Nazis noch mit anderen kriminellen Strukturen, er lebt an seiner Zeitgeschichte in staunenswerter Weise vorbei.
Dennoch ist vom "Dämonischen": auf den ersten Seiten des Romantextes bereits ein Dutzend mal die Rede, ohne dass das angebliche Thema des Berichtes, nämlich die ersten vierzig Jahre des "Lebens des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn", dafür auch nur den geringsten Anlaß gäben.
Erwähnt wird es von Zeitblom regelmäßig wiederkehrend, und oft
in Aussageformen, die ihm für seine eigene Person jede Relevanz absprechen:
"Das Dämonische [...] habe ich jederzeit als entschieden wesensfremd
empfunden, es instinktiv aus meinem Weltbilde ausgeschaltet und niemals
die leiseste Neigung verspürt, mich mit den unteren Mächten verwegen einzulassen."
Dies aber ist, mit Petersen, schlichtweg falsch, wenn nicht gar gelogen! Das Gegenteil ist wahr: Die Quelle alles Dämonischen in diesem Roman ist Zeitblom. Er hat geradezu "einen Tick für das Dämonische"! Seine Bewertung des Geschehens um Leverkühn ist nicht zuletzt eine Projektion seiner eigenen unterbewußten Strukturen.
Dies ist die erwähnte Star-Operation, die ich Herrn Petersen ausdrücklich verdanke. Nun lese ich den Roman auf eine ganz andere Weise: Zeitblom wird dabei nicht nur zu einer Romanfigur, sondern vielmehr zur zentralen Figur des Romanes. Es ist seine Tragödie, die sich hier abspielt, und auf einmal ergibt das ganze einen Sinn:
Gegenstand des Romanes ist nämlich dann die "Libido", der Versuch ihrer Kanalisierung durch bürgerliche Sittlichkeit, das Scheitern dieses Versuches, das Scheitern aber auch aller Versuche, diese Kanalisierung zu durchbrechen.
Zunächst Leverkühn:
Die künstlerische Tätigkeit als Sublimation der
Libido ist Gemeinplatz. Hier, beim zolibatär lebenden Einsiedler,
ist sie allerdings grundlegendes Lebenskonzept. Dieses versagt, bricht
zusammen.
Sprachen wir oben davon, dass in Leverkühns Verhalten "garnichts" auf dämonische Züge hinweist, so ist war das in jenem Kontext zutreffend, weitergefasst jedoch zu stark verkürzend: Seine immer wieder erwähnte "Kälte", die Ironie in seinen Meinungsäußerungen, das Nicht-Merken der Namen seiner Mitmenschen, die grundsätzliche Distanziertheit seines Wesens, die Zurückgezogenheit seiner Lebensform deuten schon auf ein starkes Defizit an menschlicher Bindung und Bindungsfähigkeit hin.
Der bewußte Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten, von der er weiß, dass diese Träger der Syphilis ist, ist "Leugnung", "Abtrennung" und "Selbstbestrafung" gleich in mehrfacher Hinsicht. Ich meine, dass weitere Ausführung dieses Komplexes deshalb überflüssig ist, weil die hier übereinandergelegten Konstellationen schon fast "lehrbuchmäßig" zu nennen sind.
Es ist eigentlich nicht verwunderlich, dass eine solche "Lebenskonzeption" scheitern muss, oder?
Dann Zeitblom:
Mag seine "Liebe" zu Leverkühn wähtend der gemeinsamen Jugend auch
eine durchaus übliche und vorübergehende homoerotische Orientierung gewesen sein,
so weisen doch die Aussagen über die
immer wieder nur auf diesen einen Menschen hin ausgerichteten
Entscheidungen in seiner weiteren
Lebensführung, besonders aber die über
seine am Schluß des Werkes, nach dem Tode des Freundes
eingetretenen völlige Vereinsamung, darauf hin,
dass hier ein Bedürfnis nach einer tiefergehenden Beziehung, in welcher
Form auch immer, ein Leben lang bestanden hat, ein Leben lang nicht ausgesprochen
wurde, und ein Leben lang nicht aufgegeben werden konnte!
Zeitblom spaltet seine Sexualität ab: Die Frau, Helene geb. Ölhafen, bleibt in Freising, immer wenn er nach München fährt um dort die mondäne oder bohème-hafte Gesellschaft zu besuchen, zu beobachten. Auch seine Vereinsamung am Ende des Berichtes kann oder darf oder will sie nicht überwinden, das Verhältnis zu den Kindern ist zerüttet, weil diese der Nazi-Propaganda preisgegeben wurden.
Selbst am Schluss, als der geliebte Mensch in Ohnmacht auf den Tod wartet, ist er nicht fähig sich ihm zu nähern, und reist ohne körperliche Berührung, ja, sogar ohne jeden Blickkontakt wieder ab.
Dieser Roman ist wahrhaftig seine Tragödie!
Dann viele andere, so Ines Institoris:
Aus Angst vor materiellem Abstieg opfert sie ihre Liebesfähigkeit einem
ungeliebten "Männchen" in gesicherten Verhältnissen, beginnt bald darauf eine
Affäre, die sie manchen Freunden gegenüber in aller Offenheit, ja mit
Stolz zugibt und sogar
noch metaphysisch verklärt, und erschießt letztlich den Geliebten, als
dieser sie verläßt und sich einer anderen verlobt.
Die Krankhaftigkeit, Unterdrücktheit, Zerrüttetheit, Verlogenheit und Angstbesetztheit aller dieser Versuche, sich der eigenen Libido nicht stellen zu müssen, ist zutiefst erschreckend.
Das aber stellt zuletzt die stimmige Verbindung her zum Weltgeschehen:
Denn nicht zuletzt diese Entfremdung von den eigenen innersten Bedürfnissen
war es ja, die (selbstverständlich neben vielen anderen, zumindest
gleich wichtigen Faktoren) den totalitären und gewaltverherrlichenden
Bewegungen, erst der Freikorps-Zeit, dann der des Nazi-Unwesens,
in den Reihen des Bürgertums half sich durchzusetzen.
Dies ist inzwischen dankenswerterweise ausführlich analysiert worden
(z.B. [the] ), und
strittig ist wohl nur noch die Gewichtung der verschiedenen Faktoren,
wie Sexualunterdrückung, Kapitalinteressen, wirtschaftliche Not, etc.
Im Roman wird dieser erste Schritt von Libido-Verleugnung zu faschistischer
Großsprecherei an den Figuren des Kridwiß-Kreises und nicht zuletzt an
Institoris selbst demonstriert. Deren aller Sexualleben wird zwar nicht
porträtiert, es gibt aber keinerlei Anlass zu der Vermutung, dass diese auch
nur einen Deut ausgewogener wären.
Wirkmächtig "dämonisch", in oben beschriebenen Sinne, ist also gerade nicht die Prostituierte und ihr Zuhälter, der beschworene Anti-Christ oder gar die Sexualität als solche, sondern, ganz im Gegenteil, die bürgerlichen Mechanismen zu deren Kanalisierung, die (vielleicht im Gegensatz zu einer noch intakten "ländlichen" Kultur) bestenfalls noch als als Verbiegungen funtionieren, wenn nicht als Zerbrechung, als Vernichtung.
Letztlich bewahrheitet sich der Satz Thomas Manns, dass in Zeitblom und Leverkühn mehr von ihm selbst stecke als zunächst ersichtlich, auf ganz andere Weise als von ihm gemeint, denn die vielfältigen Aussagen des Autors über sein Werk, siehe oben, gehen alle in ganz andere Richtung. Wir aber meinen, angeregt durch Petersen, dass gerade weil die Gestalt des Zeitblom als "transparent", als "außer der Handlung stehend" angelegt ist, sie deshalb gerade zum "Staubfänger" wurde, gerade deshalb all die verdrängten Bedürfnisse, kranken Verhältnisse, Ängste und Abwehrhaltungen des Menschen Thomas Mann in seine Persönlichkeit aufnahm, gerade weil er nicht als Persönlichkeit angelegt ist, sondern als Schemen, und weil deshalb sein Autor das garnicht merken konnte, weder im Schreib-Prozess, noch bei späterer Reflektion!
Hat man ihn aber einmal als die zentrale Gestalt erkannt, dann liest sich der Roman um so eindringlicher und beängstigender.
[DrF2]
Doktor Faustus S. Fischer, Frankfurt, 1980 |
[pet]
Faustus lesen --- Eine Streitschrift über Thomas Manns späten Roman Königskausen und Neumann, Würzburg, 2007 |
[the]
Männerphantasien Roter Stern, Stroemfeld, 1977 |
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