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^inh 2010083000 editorial
Rechtschrei-Preform und Sexus vs. Genus

Zwei doch recht ärgerliche Dinge müssen hier angesprochen werden, ohne deren Berücksichtigung in heutiger Zeit niemand veröffentlichen kann, -- und sei es so eine private Website, wie diese, die eh keiner liest !-[

Zunächst das Sexus-vs.-Genus-Problem. Unser eigenens Sprachgefühl weigert sich, mit der Schreibweise "der Hörer" ein biologisch/sexuell maskulines Referenzobjekt zu verbinden. Gemeint ist einfach "die hörende Person". Und ebensowenig ist "eine Person" etwas weibliches!

Hingegen sind die feminisierten Wortformen eindeutig auf ein Sexus festgelegt, mit "die Hörerin" und "der Personerich" referiert man nur die Hälfte aller Objekte.

Wenn auch unser Standpunkt eindeutig ist, keinesfalls ein politisch-ablehnender, sondern schlicht die instinktive Reaktion unseres Sprachzentrums im Gehirne beschreibt, so ist es andererseits doch durchaus berechtigt, wenn Leser-Innen durch fortgesetztes Bombardieren mit männlichen Wortformen sich bedrängt und unwohl fühlen.
Wenn wir das auch weder nachvollziehen können, noch für adäquat halten, so ist es doch werden unser Recht noch unsere Pflicht, das beurteilen zu dürfen oder ändern zu müssen. Da mögen noch andere Widernisse mitspielen, die wir nicht zu verantworten haben, ja, die ganz außerhalb der Sphäre der Sprache liegen. Rücksichtsvoller und zweckmäßiger wäre allemal ein Umgang, der o.e. Unmut vermeidet, ohne der Sprache Zwang anzutun.

Während wir also eine konsequente Bi-Sexualisierung aller Hauptworte nicht durchführen werden, und voraussetzen, dass mit "der Komponist", "der Pianist" immer auch sexuell weibliche Repräsentanten gemeint sind (sowie Transgender, Transsexual und Intersexual, etc., und jedes zweite Jahr bringt einen neuen Buchstaben dazu, zur politisch korrekten Bezeichnungen "LGBTTI..." !-), so werden wir doch zwei Maßnahmen von Fall zu Fall ergreifen, die uns angemessen und nicht allzu störend erscheinen:
(a) In beispielhaften Aufzählungen können männliche und weibliche Formen gemischt werden, wenn wir z.B. von "der Interpretin, dem Komponisten und der Hörerin" reden,
(b) und warum nicht auch einfach mal sächliche Formen erfinden, wie "das Interpret" und "das Rezipierende"?

Wohlgemerkt, dies alles ist als Geste der Höflichkeit gegenüber den sich evtl. gestört fühlenden Leserinnen gedacht, nicht als Zugeständnis einer inneren Notwendigkeit. "Studenten" als "Studierende" zu bezeichnen ist nichts anderes als eine wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen ins Deutsche, nicht aber eine Desexualisierung: lat. "studens" hat KEIN Geschlecht, weder grammatisch noch biologisch!

In einem größeren soziokulturellen Kontext mag Unbehagen an männlicher Dominanz berechtigt sein. Die Leserinnen, welche die Sprache als daran schuldige meinen zu erkennen, seien aber gewarnt: das könnte sich um ein Ablenkungsmanöver handeln.

Volute

Eine weitere sehr ärgerliche Angelegenheit ist die vieldiskutierte Rechtschreibreform.

Das meiste daran halten wir für katastrophal.

Die geradezu peinlich falschen Etymologien: warum ist etwas "aufwändig", wenn ich viel dafür "aufwenden" muss?

Wirklich gelungen ist nur die Vereinheitlichung von Doppel-S und Ess-Zett, das war in der Tat eine nicht mehr nachvollziehbare Überlagerung von drei Schichten von Ausnahme-Regelungen.

Wirklich schlimm hingegen ist der nun vorgeschriebene Verlust von Ausdruckskraft: Niemand wird uns je überzeugen, dass
"etwas gutmachen"
...und ...
"etwas gut machen"
dasselbe sei !?!?

Aber nehmen wir's als positive Erweiterungen unserer Möglichkeiten: so wie ab jetzt die Kommasetzung sich sinnvollerweise mehr an der Komplexität des zu Klammernden orientieren darf, so können wir nun, da wir eh zu alt sind, all diese Regeln noch bis ins i-Tüpfelchen zu lernen, unter dem Vorwande der Recht-Schrei-Preform uns einfach mehr Freiheiten nehmen, und so schreiben, wie wir's für den zu vermittelnden Sinn für angebracht erachten!
Also im Sinne Arno Schmidts ruhig mal ety-mologisch trennen und verbinden.
Oder, wenns im Regal der Heiligkeit noch eine Stufe höher gefällig ist, wie Goethe, der Rechtschreibung garnicht konnte und wollte und das seinen Herausgebern überließ.

In diesem Sinne sei die Rechtschreibreform uns Erlaubnis zum kreativen und hoffentlich vergnüglichen Umgang mit der Sprache.

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Nachtrag zum Thema Genus/Sexus:
Jüngst (20150818) dankenswerterweise den Artikel [scholten_gender] von Daniel Scholten zur Kenntnis gebracht bekommen, der die Problematik auf sehr erhellende und mir überzeugend erscheinende Weise in all ihren Aspekten erledigt.

[scholten_gender]
Daniel Scholten
Der Führerin entgegen !
Was die wissenschaftliche Erforschung des deutschen Genussystems zur Genderideologie und ihrem Gendersprech zu sagen hat.
in: Belles Lettres ∙ Deutsch für Dichter und Denker, München, 2014
http://www.belleslettres.eu/artikel/genus-gendersprech.php

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